HBS Blog

Lehrstuhl für Historische Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems, Prof. Dr. Lucien Criblez

Schule als Demokratisierungsfaktor in Costa Rica 1882-1949

Die Annahme einer konstitutiven Beziehung zwischen Demokratie und Schule hat eine lange, nicht nur politische und historiographische Tradition. Darauf gründen auch etliche nationale und internationale Projekte zur Förderung politischer Demokratien weltweit, die auf den Aufbau des Schulsystems als Garant politischer Demokratisierung setzen. Dieses Projekt widmet sich der Konstruktion dieses Zusammenhangs in einem nicht-industrialisierten Land mit demokratischer Tradition, in dem die gegenseitige Bedingtheit von Schule und Demokratie zum historiographischen und populären Selbstverständnis gehört: Costa Rica, ein Land, dessen Nachbarstaaten Jahrzehnte lang von Bürgerkrieg betroffen waren, selbst aber seit Mitte der 1950er Jahre politische Stabilität erreichte.

Mit der Verfassung von 1949 wurden in Costa Rica nicht nur die Institutionen festgelegt, die für eine funktionierende Demokratie erforderlich sind und das Bildungssystem weiter ausgebaut, sondern die Armee (vordergründig zugunsten des Bildungs- und Sozialwesens) abgeschafft. Damit erhielt die seit der Unabhängigkeit gepflegte Betonung der «costa-ricanischen Besonderheit» neues Gewicht.

Costa Rica gilt als eine der ältesten und stabilsten Demokratien Lateinamerikas. Der Demokratisierungsprozess erfuhr jedoch gegen Ende des 19. Jahrhunderts die für den Erfolg nötige Beschleunigung. Der Demokratisierungserfolg wird in der Selbst- und Fremdwahrnehmung in kausalem Zusammenhang zum Schulsystem gesehen. Das Projekt will diesen Zusammenhang untersuchen. Zum einen wird die programmatische Konstruktion des Zusammenhangs analysiert. Zum anderen wird diese Konstruktion in historische programmatische Traditionen und in den historischen Kontext eingebettet, in dem der politische Demokratisierungsprozess beschleunigt und erfolgreich institutionalisiert wurde und in dem verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Motivationen auf das vermeintlich konstitutive, programmatisch festgelegte Verhältnis zwischen Demokratie, Erziehung und Schule zurückgreifen oder auch nicht. Im Zentrum steht die Analyse der Funktion dieses «Programms» im Demokratisierungsprozess.

Auf der Grundlage von öffentlichen, offiziellen, normativen, professionellen und sozialen Quellen werden einerseits ideengeschichtlich und andererseits akteurzentriert die Programmatik des Zusammenhangs zwischen Demokratie und Schule sowie der Umgang der sozialen Akteure mit dieser Programmatik untersucht. Das Projekt leistet damit einen Beitrag zur Geschichte von Demokratisierungsprozessen und zur Rolle der Bildungspolitik in diesen Prozessen.

 

Beteiligte

Dr. Marianne Helfenberger