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Digitalisierung im Kloster: Stabilitas in Progressu

13. April 2022 | Jan Danko | Keine Kommentare |

Das Kloster Disentis ist lebendige Tradition: Es ist das wohl älteste, ununterbrochen existierende Benediktinerkloster nördlich der Alpen. Gleichzeitig geht das Kloster durchaus mit der Zeit: Die Gemeinschaft hat unter anderem einen Social Media-Auftritt, einen Gottesdienst-Livestream auf der eigenen Homepage, mittlerweile zwei App-Produktionen. Aber wie nimmt ein Mönch die Kloster-Digitalisierung wahr? Wir haben Bruder Martin getroffen, welcher uns durch die digitale Welt im Kloster geführt hat.

Bruder Martin, viele von uns blicken auf lange Stunden in der Klausur des Home-Office zurück. Wie war das bei Euch im Kloster? Habt Ihr digitale Medien genutzt, um die Herausforderungen dieser Zeit anzugehen?

Kürzlich konnte ein Mitbruder in der wöchentlichen Info-Runde, wo wir Mönche die anstehende Woche besprechen, krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Wir haben den Mitbruder auf seinen Wunsch hin dann einfach per Whatsapp-Video-Call zugeschaltet. Das war ein Novum. Und im Lockdown haben wir einen Livestream unserer Gottesdienste eingerichtet. Nach dem Lockdown haben wir das Angebot aber wieder zurückgefahren. Wir möchten keine Inflation der Online-Eucharistiefeiern. Unser Abendgebet, die sogenannte Komplet, werden wir aber weiterhin als Livestream über unsere Website zeigen.

Wie kann man sich das vorstellen, hat denn jeder im Kloster ein Smartphone?

Einige Mönche möchten bewusst kein Smartphone, andere haben ein älteres Natel für Notfälle. Interessanterweise haben aber beinahe alle älteren Klostermitglieder bei uns ein Smartphone (lacht). In meiner Arbeit als Betreuer in unserem Gymnasium und Internat muss ich manchmal erreichbar sein. So bin ich zu meinem ersten Handy gekommen – auf welchem ich für meine Aufgaben neben Telefonieren vor allem WhatsApp und Outlook verwende. Wir Benediktiner möchten uns ja nicht von der Welt abschotten.
Da wir uns aber für ein Leben im Kloster entschliessen, wollen wir nicht gewissermassen alles Weltliche ins Kloster holen. Das ist der Sinn der Klausur, einen Schutzraum gegen die Versuchungen und den Lärm der Welt zu schaffen. Hier sehe ich auch eine Herausforderung der Digitalisierung. Stift und Schreibtafel sollten nach Sankt Benedikt, unserem Ordensgründer, nicht die ewige Begleitung des Mönches sein. Die Anwendungsbereiche meines Smartphones sind ja aber von der Schreibtafel gar nicht so weit entfernt.

Drohnenfoto des Kloster Disentis im Surselvatal: In den geschichtsträchtigen Klostermauern setzen sich die Benediktinermönche auch intensiv mit dem Thema Digitalisierung auseinander. Quelle: https://www.kloster-disentis.ch/home

Wie erlebst Du das, empfindest Du die Dauererreichbarkeit, die durch die digitalen Medien ermöglicht wird, manchmal als störend? Zum Beispiel, wenn beim gemeinsamen Gebet das Handy schellt?

Das Problem löse ich mit meiner Smartwatch (lacht). Wenn dann eine Nachricht oder ein Telefon kommt, kann es vorkommen, dass ich diskret auf meine Uhr schaue. Die Lösung mit der Smartwatch erlaubt mir einerseits, trotz Pikett im Internat am gemeinsamen Gebet teilzunehmen. Andererseits kann ich mich auch ohne zu stören entfernen, falls ich doch einmal gebraucht werde. Das wäre ein Beispiel dafür, dass es darauf ankommt, um welche digitale Technologie es sich handelt, ob diese störend oder hilfreich ist.

Könnte man das Handy dann auch zu Unterhaltungszwecken verwenden?

Ja, natürlich. Schon zu Zeiten Benedikts konnte man sich mit «Müssiggang oder Geschwätz» ablenken. Gemeinsame Zeiten des Gesprächsaustausches sind uns hingegen wichtig. Nach Benedikt sind je nach Situation sinnvolle Ausnahmen möglich, es soll aber stets Mass gehalten werden. In der Nacht bleibt deshalb das Internet im Kloster ausgeschaltet.  
Uns Mönchen ist es da wichtig, über unseren Mediengebrauch gemeinsam nachzudenken. Als wir die digitalen Wandtafeln in den Schulzimmern eingebaut haben, haben wir im Speisesaal der Mönche als Tischlesung das Buch «Digitale Demenz» von Manfred Spitzer gelesen (lacht).

Wie passt die Digitalisierung im Kloster mit der Regula Benedicti zusammen, welche vor rund 1500 Jahren verfasst wurde, und nach welcher Ihr bis heute lebt?

Innovation gab es im Kloster schon immer. In der 1400-jährigen Geschichte des Kloster Disentis stand die Gemeinschaft immer wieder vor Herausforderungen. Tradition und Wandel mussten stets vereinbart werden – Digitalisierung ist in diesem Sinne nichts Neues. Unser Motto ist denn auch stabilitas in progressu.
So gab es, als das Radio Verbreitung fand, im Kloster einen Radioraum. Mittlerweile gibt es auch diesen nicht mehr. Das Cinema des Internats und das Fernsehzimmer für uns Mönche sind bis heute aber geblieben.

Ist Digitalisierung auch ein Thema in Eurem Gymnasium und Internat?

Ganz klar: Ohne Schule wäre die Digitalisierung in unserem Kloster wohl nicht so weit fortgeschritten. Ein paar Jahre war das Gymnasium mit digitalen Tools, wie zum Beispiel mit dem elektronischen Kalender, dem Kloster vielleicht voraus. Wir haben hier nach einer Vereinheitlichung gesucht und dann für den ganzen Klosterbetrieb eine digitale Office-Lösung gefunden. Heute bauen die Schüler und Schülerinnen im Informatikunterricht Roboter zusammen. Und aktuell setzt sich ein Schüler in seinem Matura-Projekt mit der Blockchain-Technologie auseinander. Unser Gymnasium & Internat kann als ein wichtiger Innovationstreiber in unserem Kloster gesehen werden.

«E-labora et e-lege»: Bruder Martin OSB an der digitalen Wandtafel in einem Klassenzimmer des Kloster-Gymnasiums.

Was sind die Innovationen der letzten Jahre, welche im Kloster umgesetzt wurden?

In unserem Kloster lässt sich beinahe alles digital steuern (lacht). Die Aussenbeleuchtung, die Heizung, die Kirchenbeleuchtung, all das lässt sich per Touchscreen einstellen. Sogar unsere Orgel lässt sich per Tablet kontrollieren. Und unser Peter Kaiser Saal gilt als eine der modernsten Veranstaltungsorte der Region, weswegen wir den Saal gerne als Royal Albert Hall der Surselva bezeichnen.
Daneben hat das Kloster eine prämierte Homepage, einen Social Media-Auftritt, und wir haben bereits zwei Apps entwickelt. Einerseits die App Hora Benedicti, welche die Benediktsregel aufs Handy bringen soll. Regelmässig werden Impulse von Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft gebracht. Hora Benedicti soll als Entscheidungshilfe und Inspiration auch im Alltag dienen. Und dann gibt es die Kloster-Disentis-App, welche die Sehenswürdigkeiten des Klosters beschreibt und Einblicke in das Leben der Benediktinermönche in Disentis gibt.

Quo vadis, Kloster Disentis? Wohin wird sich das Kloster in den nächsten Jahren entwickeln, sind weitere Digitalisierungsprojekte geplant?

Wir reflektieren stets aktuelle Entwicklungen, und was diese mit uns zu tun haben. Auch unser Abt sagt oft: Wir Benediktiner seien ein Abbild der Gesellschaft. Meistens machen wir das so, dass wir etwas im Kleinen ausprobieren. Und wenn es sich bewährt, können wir es dann breiter einführen. Viele Impulse kommen auch aus der Schule und unseren Betrieben. So haben diese die Diskussion angeregt, ob Bitcoin-Spenden an das Kloster ermöglicht werden sollten. Wir müssen nichts überstürzen, aber wollen offen für Entwicklungen bleiben. Und wichtig: Wir bleiben offen für den Austausch mit der Öffentlichkeit und auch mit der Forschung.

Bruder Martin Hieronymi OSB lebt seit 2006 im Benediktiner-Kloster Disentis. Mit 23 Jahren hat er sein Auslandstudienjahr als Theologiestudent in Bolivien verbracht, wo er bei Ordensleuten wohnen durfte. Hier ist der Wunsch gereift, sein Leben in einer Glaubensgemeinschaft zu verbringen. Im Jahre 2011 hat Bruder Martin seine feierliche Profess als Benediktiner des Klosters Disentis abgelegt. Und wurde somit vollwertiges Klostermitglied auf Lebenszeit. In seiner Freizeit geniesst er die regionale Bergwelt zu Fuss, auf den Skis – oder per (E-)Bike.


Das Interview mit Bruder Martin wurde von Jan Danko geführt, Doktorand im UFSP-Projekt P4 – Die Corporate Governance religiöser Organisationen in einer digitalen Gesellschaft

Abgelegt unter: Projektvorstellung
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