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Wie entstand PubMed?

2. Oktober 2018 | Martina Gosteli | Keine Kommentare |

Heute suchen wir in der Medizin und den Gesundheitsberufen ganz selbstverständlich nach wissenschaftlichen Artikeln in Datenbanken wie PubMed. Häufig sind die Volltexte bereits verlinkt. Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie alle diese Referenzen in die Datenbank gekommen sind und wie eigentlich vor der digitalen Revolution recherchiert wurde?

 

Indexierer in der NLM, 1960er Jahre (Bild: NLM)

 

Index-Catalogue und Index Medicus
Die Anfänge von PubMed gehen ins Jahr 1870 zurück. In der National Library of Medicine (NLM) in den USA, damals bereits eine der grössten Medizinbibliotheken der Welt, hatte der Direktor John Shaw Billings einen ambitionierten Plan. Er wollte dem stundenlangen Suchen in einzelnen Zeitschriftenindices ein Ende setzen. Die Idee war, eine umfassende Bibliografie für Medizin zu erstellen, die sowohl Zeitschriftenartikel wie auch Buchtitel enthalten und nach Sachbegriffen geordnet sein sollte. Alle neu eintreffenden Zeitschriften wurden direkt eingearbeitet. Shaw markierte die zu indexierenden Artikel und vergab die Sachbegriffe. Seine Mitarbeitenden trugen alle Referenzen handschriftlich in einen Kartenkatalog ein. Ältere Jahrgänge wurden laufend eingearbeitet.

Ab 1880 wurde der Index-Catalogue gedruckt. Es dauerte fünfzehn Jahre, bis die erste Auflage mit sechzehn Bänden komplett war. Der Index-Catalogue war zwar sehr umfassend, aber weil es sehr lange dauerte, bis alle Bände gedruckt werden konnten, war die Aktualität nicht gewährleistet. Schon 1879, vor dem Erscheinen des ersten Bandes, wurde der Index-Catalogue deshalb mit einer zweiten Publikation ergänzt, dem Index Medicus, der monatlich erschien und die jeweils neusten Artikel verzeichnete. Die beiden Publikationen ergänzten einander. Nach und nach entwickelten sich der Index-Catalogue und vor allem der Index Medicus zu unverzichtbaren Rechercheinstrumenten für die Medizin.

Sieben Schritte zur Indexierung eines Zeitschriftenartikels, inklusive geschlechtertypische Rollenverteilung (Bild: NLM)

 

MEDLARS
Bereits in den 1960er Jahren verwendete die NLM erstmals Computer, um ihre bibliographischen Daten zu verwalten. Das von der NLM entwickelte System MEDLARS (die Abkürzung steht für «Medical Literature Analysis and Retrieval System») erleichterte die Publikation des Index Medicus und bot gleichzeitig das erste Mal eine computerbasierte Datenabfrage. Die NLM nutzte die Abfragefunktion für das Erstellen von Spezialbibliografien im Auftrag von Fachgesellschaften, erlaubte aber auch individuelle Suchanfragen. Diese gelangten von Bibliotheken direkt an die NLM. Die Antwortzeit für eine einfache Datenbankabfrage betrug drei bis sechs Wochen. Später waren Abfragen auch in Partnerbibliotheken möglich, die von der NLM regelmässig Kopien der MEDLARS-Computerbänder erhielten.

MEDLINE-Terminal. Eine Übersicht zu den MeSH-Terms von 1974 liegt neben dem Computer (Bild: NLM)

 

Von MEDLINE zu PubMed
Eine wahre Pionierleistung erbrachte die NLM, als sie 1971 mit MEDLINE (steht für «MEDLARS-online») die erste grosse elektronisch benutzbare bibliographische Datenbank entwickelte. In den ganzen USA standen in Universitätsbibliotheken Terminals, die über Modem und eine Telefonleitung mit der NLM verbunden waren. Die Antwortzeit war jetzt nur noch wenige Minuten. Die Abfragen wurden von spezialisierten Bibliothekarinnen und Bibliothekaren durchgeführt, die zum Erlernen der Suchtechnik einen dreiwöchigen(!) Kurs in der NLM besucht hatten. Alle tippten sie nun die Sachbegriffe der NLM – die MeSH-Terms – ins Terminal ein. Ab 1980 ermöglichte die NLM internationalen Partnern Zugriff auf ihr Online-System. Auch in Schweizer Universitätsbibliotheken standen in den 1980er Jahren erstmals MEDLINE Terminals. Die Bibliotheksmitarbeitenden formulierten die Suchabfragen im Auftrag der Forschenden. Erst wenn die Abfrage fertig ausformuliert war, wählten sie sich ein und stellten die damals noch sehr teure Telefonverbindung her.
Selber Recherchieren konnten Forschende erst in den 1990er Jahren mit dem Aufkommen des Internets und der Lancierung von PubMed. Zuerst nur als Projekt erstellt, wurde PubMed 1997 offiziell freigegeben als kostenfreier Zugang zu MEDLINE für jedermann.

 

PubMed und Index-Catalogue für historische Recherchen
Dank der weit zurückreichenden Geschichte von PubMed, MEDLINE, MEDLARS, Index Medicus und Index-Catalogue sind diese Datenbanken auch für Medizinhistoriker interessant. In PubMed können dank Retrodigitalisierung in der NLM Zeitschriftenaufsätze ab 1946 bis heute gesucht werden. Der Fokus liegt auf englischsprachigen Publikationen. Bei Artikeln in anderen Sprachen ist der Titel übersetzt.

Auch der fast vergessene gegangene Index-Catalogue wurde inzwischen von der NLM als separate Datenbank digitalisiert. Er ist ein ausgezeichnetes Rechercheinstrument für vor 1946 erschienene Zeitschriftenartikel.

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