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Erinnerungen an einen Aufenthalt im Kinderkurheim

25. November 2019 | Esther Peter | Keine Kommentare |

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Bis weit ins 20. Jahrhundert waren Kuraufenthalte auch für Kinder üblich. Sie verbrachten Wochen oder Monate getrennt von ihren Eltern. Der heute 65jährige Jörg Zemp erinnert sich am seinen Aufenthalt im Kinderkurhaus Theresia in Unterägeri.

Mit Jörg Zemp sprach Ursula Reis, Fachreferentin für Medizingeschichte der Hauptbibliothek – Medizin Careum.

Jörg Zemp blättert im Dossier Ägerisee der Kurorte-Sammlung der Hauptbibliothek. Die Region hatte sich mit mehreren Institutionen auf Kur- und Ferienaufenthalte von Kindern spezialisiert.

Wie alt warst du bei deinem Aufenthalt im Kinderkurhaus und was war der Grund für deinen Aufenthalt?

Das war im Jahr 1961. Ich war sechs Jahre alt und lebte mit meiner Familie in Ebikon in der Nähe von Luzern. Im Kinderkurhaus war ich, um mich von einer Lungenentzündung zu erholen. Es lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, wer die Kur angeordnet hat. Vermutlich unser Dorfarzt. Ich erinnere mich aber noch, wie ich krank wurde. Eines Tages war mir im Kindergarten unwohl. Ich ging heim und blieb dann über eine längere Zeit im Bett. Ich muss hohes Fieber gehabt haben. Der Kindergarten fiel für mich bis Ende Jahr aus.

Liegehalle Kinderkurhaus Theresia (Ortskundliche Sammlung Unterägeri)

Welche Erinnerungen hast du an den Alltag im Kinderkurheim?

Ich habe wegen der Trennung von zuhause sehr gelitten. Es war mir nicht klar, weshalb ich dort war. Ich bin in der Nacht erwacht, hatte Heimweh. Ich sehe vor mir, wie ich aus den Fenstern auf den See geschaut habe und mich gefragt habe, was hier passiert und ob es wohl bald fertig ist. Das ist meine hauptsächliche Erinnerung an diese Zeit: Ein Gefühl der Verlorenheit.

Das Kinderkurheim wurde von Ordensschwestern geführt, die ganz in weiss gekleidet waren. Ich erinnere mich an grosse Metallkübel zum Baden. Wir wurden hineingesteckt und geschrubbt. Für die Liegekuren im Freien wurden wir dick in Wolldecken eingepackt. Wir konnten kaum den Kopf drehen, um miteinander zu sprechen. Die Liegen standen mit etwas Abstand voneinander auf der Terrasse.

Jörg Zemp 1961 mit seiner Mutter Erika Zemp-Frei. Das Kinderkurhaus Theresia ist auf der anderen Seeseite ganz links zu erkennen (Privates Foto Jörg Zemp)

Das Foto mit meiner Mutter ist bei einem Besuch meiner Eltern entstanden. Natürlich freute ich mich über das Wiedersehen. Wir machten einen Spaziergang etwas weiter weg vom Kurhaus, wo ich sonst nicht war. Meinen Eltern schickte ich während meinem Aufenthalt auch Karten. Wir Kinder fertigten diese in den Bastelstunden mit den Schwestern selber an.

Was war der Anlass, dass Du Dich Jahre später mit diesem Aufenthalt befasst?

Ich habe früh meine Mutter verloren. Sie starb als ich zwölf Jahre alt war an Krebs. Ihr Tod beschäftigte mich und brachte mich dazu, nach Spuren meiner Vergangenheit zu suchen. Vor etwa fünfzehn Jahren habe ich bei einem Besuch meines damals noch lebenden Vaters gesehen, dass er Fotos sortierte. Er war ein leidenschaftlicher Hobbyfotograf. Ich bin unter anderem auf das Foto mit mir und meiner Mutter beim Kinderkurhaus gestossen und neugierig geworden.

Broschüre des Schulsanatoriums, einer Vorgängerinstitution des Kinderkurhauses Theresia

Ich war kürzlich in Unterägeri. Das Gebäude steht leider nicht mehr. Es wurde in den 1980er Jahren abgebrochen. Das Kinderkurheim Theresia wurde 1965 geschlossen, nur vier Jahre nach meinem Aufenthalt. Zuvor hatte an dieser Stelle bereits seit 1881 ein privates Kindersanatorium bestanden. In den 1930er Jahren wurde es von den Chamer Heiligkreuz-Schwestern übernommen und erhielt den Namen Kinderkurhaus Theresia.

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