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Drei Fragen an Corinne Steinbrüchel-Boesch zum «Year of the Nurse and the Midwife»

1. April 2020 | Martina Gosteli | Keine Kommentare |

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Die Coronakrise fällt mitten in das Year of the Nurse and the Midwife der WHO. Mit der Veröffentlichung dieses vor dem Covid-19 Ausbruch geführten Interviews möchten wir unsere Dankbarkeit und Anerkennung für die Leistung der Pflegenden zum Ausdruck bringen.

Corinne Steinbrüchel-Boesch ist Pflegeexpertin APN in der Geriatrischen Klink des Universitätsspitals Zürich. Nach langjähriger Erfahrung in der Spitex und einem Master of Science in Nursing hat sie sich vor einigen Jahren als Advanced Practice Nurse (APN) weitergebildet. Heute arbeitet sie in der akutgeriatrischen Pflege eng mit dem ärztlichen Dienst zusammen.

Corinne Steinbrüchel-Boesch, MScN, RN, Pflegeexpertin APN

Interview: Ursula Reis

Was ist Ihre Rolle als Pflegeexpertin APN in der Klinik für Geriatrie?

Corinne Steinbrüchel-Boesch: Die Klinik für Geriatrie besteht erst seit fünf Jahren. Ich war von Anfang an als Pflegeexpertin APN dabei, als die Bettenstation aufgebaut wurde. Zuerst hatten wir nur zwei Betten. Heute sind es achtzehn. Ich investiere viel in eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit und bin oft das Bindeglied zwischen der Pflege und den anderen Gesundheitsberufen, also dem ärztlichen Dienst, Physiotherapie, Sozialdienst, Ernährungsberatung und so weiter. In der Geriatrie ist die Interprofessionalität hochgeschrieben. Wir bieten betagten Patientinnen und Patienten mit mehreren Krankheiten eine frühe Rehabilitation. Das umfasst viele Therapien mit verschiedenen Berufsgruppen.

Es gehört zu meinen Aufgaben, im Blick zu haben, welche Patientinnen und Patienten bei uns sind, was ihr pflegerischer Bedarf ist und worin die besonderen Herausforderungen bestehen. Ich bin bereits beim Gespräch mit den Patienten und der Ärztin beteiligt, wenn jemand auf unsere Abteilung verlegt werden soll, und entscheide aus pflegerischer Perspektive mit, ob die Verlegung Sinn macht. In unserem Team habe ich die fachliche Leitung. Die personelle Leitung liegt bei der Stationsleiterin. Ich bin unter anderem dafür verantwortlich, dass die Mitarbeitenden spezifisch geriatrisches Wissen erwerben können, das sie für ihre Arbeit brauchen. Es ist ein Vorteil, dass ich im Team mitarbeite. So sehe ich zum Beispiel bei der täglichen Arbeit, wie gut uns die Umsetzung von evidenzbasierter geriatrischer Pflege gelingt und wo noch Handlungsbedarf besteht.

Welche Chancen sehen Sie für das Schweizer Gesundheitswesen, wenn der Beruf der Pflegeexpertin APN sich etabliert?

Corinne Steinbrüchel-Boesch: Die APN ist eine Chance für chronisch Kranke. Es gibt immer mehr Menschen, die an mehreren Krankheiten leiden und mehrere Therapien gleichzeitig brauchen. Es genügt nicht, die Therapien zu verordnen. Sie müssen umgesetzt werden. Das ist eine klassische Aufgabe für APNs. Soll ich ein Beispiel nennen? Ein Arzt verordnet einem multimorbiden Patienten Medikamente. Das können sieben oder acht verschiedene sein. Ich kläre mit dem Patienten, wie sie im Tagesablauf eingenommen werden können, wie die Dosis nach Vorgabe des Arztes angepasst wird, worauf geachtet werden muss, und so weiter. APNs können in verschiedenen Versorgungsbereichen wichtige Aufgaben wahrnehmen. Ich habe eine zweite Stelle als APN in einer Gemeinschaftspraxis. Dort mache ich auch Hausbesuche bei Hochbetagten. Dafür haben Ärzte kaum noch Zeit, weil auch ihre Aufgaben immer spezialisierter werden.

Für Pflegefachpersonen bietet die Rolle der APN eine spannende Entwicklungsmöglichkeit. Eine ausgebildete Pflegefachperson, die mehr wissen und können will, konnte früher nur in Personalführung Karriere machen. Mit der Weiterbildung als APN an einer Universität oder Fachhochschule kann sie sich heute für fachlich anspruchsvolle Aufgaben beim Patienten qualifizieren.

Ich finde es wichtig, dass die Bezeichnung Pflegeexpertin APN reguliert wird. Im Moment ist sie in der Schweiz kein geschützter Titel. Für diese anspruchsvolle Aufgabe braucht es eine fundierte Ausbildung. Wir sollten uns an internationalen Vorbildern orientieren, die einen Masterabschluss verlangen. Ich teile die Befürchtungen einiger Politiker nicht, dass ein im Gesetz verankerter eigenständiger Bereich der Pflege zu einer Kostenexplosion führen soll. Es ist eine akademische Ausbildung und wir sind in der Lage, Mitverantwortung zu tragen.

Wir führen dieses Interview anlässlich des «Jahrs der Pflegenden und Hebammen» das die WHO für das Jahr 2020 weltweit ausgerufen hat. Was glauben Sie braucht es, um die Pflege in der Schweiz zu stärken?

Corinne Steinbrüchel-Boesch: Es braucht ein Umdenken in der Gesellschaft. Die Pflege wird in der Öffentlichkeit (und übrigens auch im Gesetz) immer noch als medizinischer Hilfsberuf wahrgenommen. Sie hat sich aber in den letzten Jahrzehnten enorm entwickelt. Wir haben unterdessen hochqualifizierte Fachleute und eigene Themen. Damit die Akzeptanz steigt, braucht es die akademische Pflege aber nicht nur in der Forschung und Lehre, sondern auch viel mehr direkt am Bett. Es genügt nicht, wenn wir nur vom Schreibtisch aus Anweisungen geben, wie evidenzbasierte Pflege umgesetzt werden soll. Auch im USZ muss ich gelegentlich dafür kämpfen, dass ich nahe am Patienten arbeiten kann.

Allgemein müssen wir mehr in die Ausbildung investieren. Fachangestellte Gesundheit (FaGe) mit einer anschliessenden Weiterbildung an der Höheren Fachschule (HF) oder Fachhochschule (FH) sind topausgebildet und gesucht. Es gibt aber zu wenig FaGe-Lehrstellen. Der Beruf wäre bei den Jugendlichen beliebt. Es bewerben sich jedes Jahr viel mehr Schulabgänger als wir Lehrstellen bieten können. Wenn die jungen Leute dann noch die HF machen wollen, verdienen sie während der Ausbildung zu wenig. Ich erlebe immer wieder Fälle, in denen sich eine junge FaGe die HF Ausbildung nicht leisten kann. Bei der Polizei ist das beispielsweise anders geregelt. Polizisten und Polizistinnen in Ausbildung verdienen doppelt so viel wie angehende Pflegefachpersonen. Das ärgert mich.

Ursula Reis ist Fachreferentin in der Hauptbibliothek – Medizin Careum

Abgelegt unter: AusstellungenHBZ – Medizin CareumMedizingeschichte
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