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Drei Fragen an die Hebamme Elisabeth Kurth, zum «Year of the Nurse and Midwife»

17. April 2020 | HBZ | Keine Kommentare |

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Die Coronakrise fällt mitten in das Year of the Nurse and the Midwife der WHO. Mit der Veröffentlichung dieses vor dem Covid-19 Ausbruch geführten Interviews möchten wir unsere Dankbarkeit und Anerkennung für die Leistung der Pflegenden zum Ausdruck bringen.

Hebamme Dr. Elisabeth Kurth © Photo Dominik Plüss

Elisabeth Kurth ist Geschäftsführerin des Vereins «familystart» beider Basel. Dieses Hebammen-Netzwerk engagiert sich für die flächendeckende Betreuung von Familien mit Neugeborenen nach Spitalaustritt. Elisabeth Kurth war die erste Hebamme, die an der Universität Basel mit angewandter Forschung promovierte. Heute ist sie in der Forschung und Lehre tätig. Sie begleitet nach wie vor Wöchnerinnen und Neugeborene in schwierigen Situationen.

Interview: Ursula Reis

Sie sind seit der Gründung Geschäftsführerin des Vereins «familystart» beider Basel. Was sind die Ziele des Vereins? Was wurde in den vergangenen Jahren erreicht?

Elisabeth Kurth: Ziel des Vereins ist, dass möglichst alle Mütter mit Neugeborenen nach Spitalaustritt zuhause betreut werden, unabhängig davon ob sie sich selber eine Hebamme organisieren konnten oder nicht. Wir arbeiten dafür mit Geburtskliniken im Raum Basel zusammen. Die Mütter werden in der Wochenbettabteilung angesprochen und können sich direkt für die Vermittlung einer Hebamme aus unserem Netzwerk anmelden. Die Kosten werden vollumfänglich durch die Grundversicherung übernommen. Eine Evaluation 2016 hat gezeigt, dass in unseren Partnerspitälern nach fünf Jahren der Anteil von Mutter-Kind Paaren mit Nachbetreuung durch Hebammen bereits von 78 auf 97 Prozent gestiegen ist.

2018 wurde «familystart» um das Projekt «Sorgsam – Support am Lebensstart» erweitert. Wir gehen davon aus, dass mit der Erhöhung der Zielgruppenerreichung insbesondere vulnerable Familien vermehrt von Hebammen betreut werden. Das zeigt sich unter anderem dadurch, dass Hebammen zunehmend von stark fordernden Situationen berichten. Wenn Mütter keine Unterstützung haben, akute Armut, häusliche Gewalt oder psychische Erkrankungen ins Spiel kommen, ist die Hebamme in der Verantwortung, die Situation von Mutter und Kind einzuschätzen und nach Bedarf Hilfe zu organisieren. «Sorgsam» bietet den Hebammen von «familystart» eine Hotline für Support in Risikosituationen. Sie können die Probleme mit einer erfahrenen Hebamme besprechen und nach dem Vier-Augen-Prinzip über weitere Schritte entscheiden. Meistens werden die Familien an Unterstützungsangebote vermittelt. Es gibt aber auch Fälle, wo eine Gefährdungsmeldung an die KESB nötig wird.

Weil zusätzliche Koordinationsleistungen von den Krankenkassen nicht vergütet werden, haben wir einen Härtefallfonds eingerichtet. Über diesen können die Hebammen sich ihre oft zeitintensiven nichtmedizinischen Leistungen in Risikosituationen bezahlen lassen.

Sie haben einen Lehrauftrag am Institut für Hebammen der ZHAW und forschen am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Was sind ihre Forschungsthemen?

Letztes Jahr war ich an einer Studie des BAG zu Telefon-Dolmetschen in der Berufspraxis von Hebammen beteiligt. Wir stellten den Hebammen von «familystart» für die Kommunikation mit Migrantinnen einen kostenlosen Telefondolmetschdienst zur Verfügung. Er wurde verhältnismässig wenig genutzt. Die Gründe dafür konnten wir mit Fokusgruppendiskussionen erheben. Der Praxisalltag der Hebammen ist stark von nonverbaler Kommunikation geprägt. Sie zeigen ohne viel Worte wie ein Kind gestillt oder gewickelt wird. Diese Art der Kommunikation hilft, Vertrauen aufzubauen und wird von den Hebammen als intuitiv und respektvoll empfunden. Der Beizug eines externen Dolmetschdienstes wurde von einigen Befragten als mögliche Beeinträchtigung einer vertrauensvollen Beziehung empfunden und deshalb vermieden. Eher genutzt wurde die Dienstleistung, wenn die verbale oder nonverbale Kommunikation der Wöchnerin darauf schliessen liess, dass relevante Informationen nicht übermittelt werden konnten oder wenn es zu Notsituationen kam.

Momentan beschäftigt mich die Evaluation von «Sorgsam – Support am Lebensstart». Es zeigt sich bereits, dass die Hebammen in Risikosituationen Koordinationsleistungen mit vielfältigen Akteuren erbringen. Die Helpline und der Härtefallfonds werden regelmässig genutzt. Es wurden teils grosse soziale Notlagen erkannt. Es braucht dieses Angebot dringend.

Wir führen dieses Interview anlässlich des «Year of the Nurse and Midwife», das die WHO für das Jahr 2020 ausgerufen hat. Was bedeutet dieses Jahr für die Hebammen in der Schweiz? Wie können die Hebammen gestärkt werden?

Die Hebammen sind an einer wichtigen Schnittstelle im Frühbereich zwischen Gesundheits- und Sozialwesen sowie Frühförderung. Sie können eine wichtige Rolle einnehmen, damit kein Kind in durch die Maschen fällt. Es wäre wichtig, dass die integrative Arbeit der Hebammen, die sozialen und psychologischen Aspekte, auch anerkannt werden.

Bildungspolitisch stehen wir Hebammen in der Schweiz gut da. Die Hebammenausbildung auf Bachelorniveau bewährt sich. Ich bin sehr froh, dass die ZHAW und die Berner Fachhochschule nun auch einen Masterstudiengang für Hebammen anbieten. Jeder Beruf, der sich qualitativ weiterentwickeln will, braucht eigene Forschung. Für Hebammen ist es ein Weg, sich für zusätzliche Aufgaben zu qualifizieren, um zum Beispiel als Expertin in komplexen Situationen andere Hebammen zu unterstützen oder eine Laufbahn als Dozentin einzuschlagen.

Ursula Reis ist Fachreferentin in der Hauptbibliothek – Medizin Careum

Abgelegt unter: AusstellungenHBZ – Medizin Careum
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