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Sie konserviert die Moulagen aus dem Pockenjahr 1921

3. Mai 2021 | HBZ | Keine Kommentare |

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Sabina Carraro arbeitet als Konservatorin-Restauratorin im Moulagenmuseum, das gemeinsam von der Universität Zürich und dem Universitätsspital Zürich geführt wird. Während ihrer Ausbildung lernte sie die Moulagentechnik kennen und wusste sofort, dass sie das auch machen wollte. In diesem Interview erzählt sie, wie die Moulagen aus der letzten Schweizer Pockenepidemie entstanden.

Interview: Valentina Porfido, Lernende Fachfrau Information und Dokumentation

Sabina Carraro an ihrem Arbeitsort im Moulagenmuseum

Wie genau ist es dazu gekommen, dass in Zürich Moulagen von Personen erstellt wurden, welche mit Pocken infiziert waren?

Seit 1918 wurden in Zürich Moulagen erstellt. Erkrankte Körperteile werden dabei dreidimensional in Wachs nachgebildet, um das Krankheitsbild zum Beispiel für die Lehre festzuhalten. Das damalige Kantonsspital Zürich hatte Lotte Volger als erste eigene Moulageuse angestellt. Sie hatte den Auftrag bekommen, die stets wachsende Lehrsammlung mit Moulagen noch nicht dokumentierter Krankheiten zu bereichern. Anfang des 20. Jahrhunderts traten die Pocken nicht mehr so häufig auf, da zu diesem Zeitpunkt schon sehr viele Personen dagegen geimpft waren. Pockenmoulagen fehlten jedoch bis zur Epidemie von 1921 noch in der Sammlung. Da sich die Krankheit stark über die Haut zeigt, war es umso wichtiger, Abformungen zu machen.

Lotte Volger wohnte und arbeitete ganz nah am Kantonsspital. So konnte sie, wann immer nötig, ins Spital zu den Patientinnen und Patienten, die ihr als Modelle dienten. Grundsätzlich galt die Regel, dass Moulagen nur in Anwesenheit des Patienten oder der Patientin und bei Tageslicht bemalt werden durften. Schwierig wurde es, wenn sich das Hautbild im Laufe der Zeit veränderte.

Moulagen in der Ausstellung der Hauptbibliothek – Medizin Careum „Pocken in Zürich vor 100 Jahren“

Wie wird eine Moulage hergestellt? Was ist der Arbeitsvorgang?

Wenn man beim klassischen Herstellungsprozess für ein Gesicht bleibt, braucht man dafür erst einmal Gips, um ein Negativ zu erstellen. Es werden meistens zwei Teile erstellt, die dann zusammengefügt werden. So entsteht zwar eine kleine Gussnaht, welche jedoch gut ausgebessert werden kann. Als nächstes wird die Moulagenmasse aus Bienenwachs, Dammarharz und vier Ölfarben (Rot, Blau, Braun, Gelb) hergestellt. Diese Masse wird dann ins Gipsnegativ gegossen. Wenn das heisse Wachs bis zur Zimmertemperatur heruntergekühlt ist, wird es wieder fest und man kann das Gipsnegativ entfernen. Daraus resultiert dann das Wachspositiv. Dieses hat natürlich noch keine Haare und Augen.

Anschliessend steht die Bemalung der Haut an, was mehr als einen Tag dauert. Der Grund dafür ist, dass mit jedem Trocknungsvorgang Zeit vergeht, da man nach einer neuen dünnen Farbschicht immer warten muss. Dann werden mit einem warmen Messer von der Innenseite her Öffnungen hineingeschnitten, in die man die separat modellierten Glasaugen einsetzen kann. Als letzter Schritt werden die Haare eingesetzt, indem man für die einzelnen Haare kleine Löchlein sticht. Ganz am Schluss setzt man stellenweise Glanzstellen mit einem Lack, um die Moulage echter wirken zu lassen.

Die fertige Moulage wird mit ein wenig heissem Wachs auf ein schwarzes Holzbrett montiert und schlussendlich fasst man das Körperteil mit Hilfe eines weissen Tuches ein. Der einzige Unterschied zur heutigen Anfertigungen besteht darin, dass man anstatt dem Gips hautfreundliches Silikon nehmen würde.

Was hat Dich an diesem speziellen Beruf so gereizt?

Als während meiner Ausbildung an der Hochschule der Künste im Zeichnungsunterricht von der Moulagensammlung des Unispitals Zürich die Rede war, besuchte ich sie aus Interesse in meiner Freizeit und eigentlich kann man sagen, es war Liebe auf den ersten Blick.

Ich hatte schon immer Interesse am Gebiet zwischen der Medizin und der Kunst. Für mich ist dies genau der Ort, an dem sich beides trifft. Ausserdem wollte ich schon immer mit meinen Händen arbeiten, aber auch den wissenschaftlichen Aspekt dabeihaben. Nach meiner Ausbildung zur Restauratorin konnte ich mir den Traum erfüllen. Das Restaurieren der Moulagen ist sehr spannend, vielfältig und komplex, denn die Moulagen stellen mich als Restauratorin immer wieder vor neue Fragen. Heute reicht die Zeit leider nur noch selten, um selber neue Moulagen herzustellen, aber dass wir diese Kunst in Zürich immer noch beherrschen, ist natürlich sehr erfreulich.

Link: Moulagenmuseum der Universität Zürich und des Universitätsspitals Zürich

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