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Die Anfänge der Pockenimpfung in Zürich

14. Juni 2021 | HBZ | Keine Kommentare |

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Der englische Arzt Edward Jenner gilt als Erfinder der Vakzination gegen die Pocken. Er publizierte seine Erkenntnisse erstmals 1798. Bereits zwei Jahre später, im Jahr 1800, impfte der Arzt Johann Heinrich Lavater das erste Kind in Zürich.

Kurz darauf führte die Gesellschaft der Wundärzte auf dem Schwarzen Garten – die damalige Zürcher Ärztegesellschaft – die wohl erste Impfkampagne Zürichs. Die Ärzte und Chirurgen der Gesellschaft hatten 1782 das medizinisch-chirurgische Institut gegründet, ein Vorgänger der 1833 gegründeten medizinischen Fakultät. Ihre Mitglieder sahen sich als aufgeklärte Vordenker in der Anwendung von fortschrittlichen wissenchaftlichen Methoden zum Wohle der Allgemeinheit. Entsprechend begeistert reagierten sie auf die neue Impfung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Pocken die am meiste gefürchtete Infektionskrankheit. In regelmässig wiederkehrenden Epidemien fielen der Krankheit vor allem zahllose Kinder zum Opfer. Selbst wer die Krankheit überstand, blieb oft von Narben gezeichnet oder trug andere Beeinträchtigungen davon.

In den Jahren 1804 bis 1806 propagierte die Gesellschaft der Wundärzte auf dem schwarzen Garten die Pockenimpfung in drei Ausgaben ihres Neujahrsblatts, dass sich an die zürcherische Jugend richtete. Jedes Neujahrsblatt umfasste einen Kupferstich und einige Seiten Erklärungen dazu. In der damals noch bilderarmen Zeit stiessen die besonders die Abbildungen auf Interesse.

Kinder erhalten ein Geschenk nach der Impfung. 14. Neujahrstück von der Gesellschaft der Wundärzte zum Schwarzen Garten, an die liebe Zürcherische Jugend, auf das Neujahr 1804. Kupferstich von Franz Hegi. Hauptbibliothek – Medizin Careum.

Ein Geschenk in die Schutzblattern

Den Auftakt machte 1804 die Darstellung einer elegant gekleideten Familie aus dem städtischen Bürgertum mit ihren Bediensteten. Die Mutter im modischen Empirekleid nach französischen Vorbild legt zärtlich die Arme um einen Knaben und ein Mädchen, die soeben ein Steckenpferd und eine Puppe als Impfgeschenk erhalten haben. Ein weiteres, kleineres Kind liegt noch in den Armen einer Pflegerin. Im Text wird erläutert, dass die Familie an den Brauch anknüpft, dass Verwandte Kindern, welche die Pocken überstanden hatten ein «Geschenk in die Blattern» schickten. Die beiden Kinder dieser Familie, erhalten stattdessen «Geschenke in die Kuhpocken, oder Schutzblattern».

Das Neujahrsblatt lobt «den klugen Hausvater und die vorurteilsfreie Hausmutter», die sich «mit der beruhigenden Überzeugung, das Beste gewählt zu haben» für eine Schutzpockenimpfung entschieden haben. «Alle drei, das zarte Kleine, welches die Wärterin trägt, so wie die beiden anderen, haben diese leichte und gefahrlose Krankheit beinahe überstanden, und erhalten das gewöhnliche Geschenk in die Blattern. Sie sind nicht schwach und kränkelnd, diese Kleinen; sie leiden an keinen üblen Folgen der Krankheit; ihre Gesichter sind nicht verunstaltet; ihre Augen haben keinen Schaden gelitten; sie können sogleich Freude haben an ihren Geschenken. »

Das charakteristische Aussehen der Impfpustel in fünf Stadien am Tag 5 (a), am Tag 6 (b), am Tag 8 (c) und am Tag 11 (d). 15. Neujahrstück von der Gesellschaft der Wundärzte zum Schwarzen Garten, an die liebe Zürcherische Jugend, auf das Neujahr 1805. Kolorierter Kuperstich von Prof. Meyer. Hauptbibliothek – Medizin Careum.

Die «ächte Schutzblatter»

Das Neujahrsblatt von 1805 stellt im Titelkupferstich die idealtypische Entwicklung der Impfpustel dar. Mit dieser Abbildung sollten die Zürcher Ärzte mit den «ächten Schutzblattern» bekannt gemacht werden. Die Bilder und die Beschreibung des Krankheitsverlaufs waren ein wichtiger Bestandteil der Anleitung für die neue Methode, denn nur durch eine genaue Beobachtung der Entwicklung der Pusteln konnten die Ärzte sicher sein, dass es sich wirklich um die Schutzpocken handelte.

Empfohlen wurde die Impfung von Arm zu Arm. Dazu entnahm man der voll ausgebildeten Impfpustel des einen Kindes mit einer Impfnadel oder Lanzette etwas Pustelflüssigkeit. Dem direkt gegenüberstehenden Kind wurden ebenfalls mit einer Lanzette feine Schnitte in den Oberarm gemacht, die wie eine Klappe geöffnet werden konnten. In diese Öffnungen wurde die Lymphe appliziert. Konnte nicht von Arm zu Arm geimpft werden, wurde die Lymphe auf kleinen Glasplättchen getrocknet, die zu einem späteren Zeitpunkt einem anderen Impfling an die Schnitte am Oberarm gedrückt werden konnten. Weitere Methoden waren das Tränken eines Baumwollfadens mit Lymphe oder die Verwendung des getrockneten Schorfes einer Impfpustel im späteren Stadium.

Charakteristisches Aussehen

Nach drei Tagen entwickelten sich zumindest an einem Teil der geimpften Stellen ein kleines, rötliches, hartes Knötchen, das allmählich zu einem Bläschen anwuchs. Die Impfung galt als gelungen, wenn mindestens eine Pustel nach acht Tagen das charakteristische Aussehen der sogenannten «Schutzblatter» aufwies, wie im Kupferstich in der Mitte des Bildes dargestellt. Nun konnte bei Bedarf Lymphe für weitere Impfungen entnommen werden. Die Pustel bildete sich dann allmählich zurück, bis sie fast ganz von Schorf bedeckt war. Zum regelmässigen Verlauf der Schutzblattern gehörte auch ein bis zwei Tage Fieber und allgemeines Unwohlsein.

Laut dem Neujahrsblatt war die Impfung in der Stadt Zürich 1805 bereits allgemein eingeführt worden, so dass während einer Pockenepidemie von 1805 in der Stadt Zürich «nur 6 nicht vaccinierte Kinder die Menschenblattern bekamen. » Auf dem Land hingegen sei die Impfung noch viel weniger verbreitet. Im benachbarten Dorf Schwamendingen seien wieder viele Kinder gestorben, auf zehn Erkrankte ungefähr sieben. 

Portrait Edward Jenner. 16. Neujahrstück von der Gesellschaft der Wundärzte zum Schwarzen Garten, an die liebe Zürcherische Jugend, auf das Neujahr 1806. Kuperstich von Johann Heinrich Lips. Hauptbibliothek – Medizin Careum.

Der Held der Impfung

Das letzte Neujahrsblatt der Serie war Edward Jenner gewidmet. Für die Herstellung des Portraits hatte Johann Heinrich Lavater eigens einen Kupferstich aus England kommen lassen. Der Zürcher Künstler und Kupferstecher Johann Heinrich Lips zeichnete diesen ab und stoch in neu in Kupfer. Im Text wird Jenner als Vorbild für die jungen Leser aller Stände empfohlen, denn «sein Benehmen bey Entdeckung und Bekanntmachung der Schutzpocken ist ein Muster, nicht bloss für Ärzte und Naturkundige, sondern für jedermann, der Gelegenheit hat, natürliche Vorfälle zu bemerken, zu beurtheilen, und interessante Folgen daraus herzuleiten: und solche Gelegenheiten zeigen sich jedem Menschen, was Standes und Berufes er seyn mag, im Lauf seines Lebens öfter. »

Tatsächlich machte Jenner seine Entdeckung nicht als medizinische Autorität, sondern als einfacher Landarzt. Sein Verdienst war, dass er den Erfahrungen von Melkerinnen auf den Grund ging, die sich durch offene Wunden an den Händen beim Melken erkrankter Tiere mit den Kuhpocken angesteckt hatten und danach eine Immunität gegen die Pocken bei sich feststellten. Seine Versuche mit Kindern – darunter sein eigener Sohn – zeigten, dass eine absichtliche Infektion mit den Kuhpocken zuverlässig vor den Pocken schützte und mit deutlich weniger Gefahren verbunden war als die bereits bekannte Methode der Inokulation, der absichtlichen Übertragung der echten Pocken. Mit der Publikation durch die Royal Society verbreitete sich die Vakzination (nach lat. variolae vaccinae= Kuhpocken) rasch in ganz Europa. Jenner wurde als «Retter von tausenden von Leben» zu einem der ersten populären ärztlichen Helden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Kinderspitäler und andere medizinische Einrichtungen für Kinder nach ihm benannt.

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