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Lehrstuhl für Historische Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems, Prof. Dr. Lucien Criblez

Inventarisierung der Bundesstatistik über die Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung (1933–1988)

23. November 2020 | Stefan Kessler | Keine Kommentare |

Von Jennifer Mazzarella, 20. November 2020

Zunächst im Rahmen eines Forschungspraktikums und nun als Projektmitarbeiterin im SNF-Forschungsinfrastrukturprojekt Bildung in Zahlen wird die Statistik zur Tätigkeit der Berufsberatungsstellen inventarisiert, die durch das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (später: Staatssekretariat für Wirtschaft) ab 1933 jährlich erhoben wurde. Die in der Volkswirtschaftsdepartementszeitschrift «Die Volkswirtschaft» über einen Zeitraum von über 50 Jahren veröffentlichten Jahresberichte enthalten Daten über die Tätigkeit jener Berufsberatungsstellen, die mittels des ersten Berufsbildungsgesetzes institutionalisiert und infolgedessen staatlich subventioniert worden sind. Im Folgenden werden die Rekonstruktion der statistischen Haupt- und Subkategorien beschrieben, inhaltliche Aussagen über die Statistik des zuständigen Amts aufgegriffen und die Kontinuität der statistischen Erhebung diskutiert. Der Beitrag schliesst mit einem Ausblick auf die heutige Berufsberatung und einigen Perspektiven auf mögliche weiterführende Forschungsfragen.

Rekonstruktion der statistischen Haupt- und Subkategorien

Ein erster Arbeitsschritt diente der Übersichtsgewinnung über die Statistiken und der Rekonstruktion der statistischen Haupt- und Subkategorien, unter welchen sich die jeweiligen Daten subsumieren. Letztere präsentieren sich in allen Kategorien stringent nach männlichen und weiblichen Ratsuchenden und deren kumulierter Gesamtzahl. Bediente man sich zu Beginn der prozentualen Darstellung von Zahlen, folgte ab 1938 eine konsequente Darstellung in absoluten Zahlen.

Abbildung 1: Lehrstellenvermittlung in unterschiedlichen Branchen im Jarh 1933 (Quelle: BIGA, 1934, S. 457)

Die vier Hauptkategorien stellen dabei eine Beschreibung der Ratsuchenden selber (Gesamtzahl, nach Kanton, Schulbildung und Art der Beratungsfälle), der Berufswünsche (häufigste Berufswünsche, nach Berufsgruppen und nach Gewerbe- und Industriezweigen), der Lehrstellenvermittlung (Angebots-, Nachfrage- und Vermittlungsseite sowie spezifische Platzierungen in Gewerbe- und Industriezweigen) und der übrigen Vermittlungstätigkeit der Berufsberatungsstellen (Vorlehre und ähnliche Zwischenlösungen, Berufsschulen, Mittelschulen und Arbeitsstellen) dar.

Statistische Berichterstattung über die Tätigkeit der Berufsberatungsstellen

Im weiteren Verlauf wurden die statistischen Daten nicht mehr in dem inhaltlichen Ausmass erläutert wie zu Beginn, sondern beschränkten sich zusehends auf eine tabellarische Darstellung. Dieser Trend hielt zu Beginn des 2. Weltkrieges Einzug. In selbigem Zeitraum lassen sich seitens des BIGA inhaltliche Aussagen zur Qualität der Daten und der Tätigkeit der Berufsberatungen ausfindig machen, wovon zwei hier hervorgehoben werden sollen.

1939 werden die Daten entsprechend der europapolitischen Umstände kontextualisiert, was u.a. «den Rückgang der männlichen Ratsuchenden in den Daten, aufgrund der Mobilisation der Armee» legitimiert (BIGA, 1939). 1940 und 1941 wird weiter erklärt, dass die Tätigkeit der Berufsberatungsstellen eingeschränkt sei, aufgrund der zeitweiligen Abwesenheit der Leiter durch den Militärdienst (BIGA, 1940 und 1941).

Umbrüche und Neuordnung der statistischen Erhebungskategorien

Ein erster Vergleich von statistischen Daten bezüglich der gesamten Vermittlungstätigkeit ist in der folgenden Grafik dargestellt. Mit dem Anstieg der Ratsuchenden ist auch ein Anstieg der Vermittlungstätigkeit zu verzeichnen. Insbesondere Platzierungen in das nachobligatorische Bildungswesen nehmen über den Erhebungszeitraum zu. Aussagen zu Nicht-Platzierungen können an dieser Stelle nicht getroffen werden, da entsprechende Statistiken dazu fehlen. Die entstandene Lücke zur Gesamtzahl der Ratsuchenden ist zu Teilen darin begründet. Zudem werden nicht alle Arten der Beratungsfälle und darauf bezogene Vermittlungstätigkeiten statistisch erfasst, was als weitere Erklärung der entstandenen Lücke dienen kann. Die Grafik kann aber eine Darstellung der Relation der Vermittlungstätigkeit gegenüber der Gesamtzahl der Ratsuchenden leisten.

Abbildung 2: Vermittlungstätigkeit der Berufsberatungsstellen 1936–1966 (Quelle: BIGA, 1937–1967)

Die Erhebung innerhalb dieser Kategorien unterliegt im Zeitverlauf Schwankungen, die u.a. in sozialstatistischen politischen Reformentscheidungen begründet liegen. Insofern führt die Definition von neuen Berufsgruppen dazu, dass die Daten ab 1959 nicht mehr mit Erhebungen aus den Jahren 1934–1958 verglichen werden können. Nicht davon betroffen ist die Hauptkategorie «Übrige Vermittlungstätigkeit», deren Anteile in der obigen Grafik abgebildet sind.

Ein grosser Bruch in der statistischen Erhebung vollzieht sich sodann im Jahre 1970. Als Legitimation dafür lassen sich in der Volkswirtschaft folgende Aussagen finden: 1967 wurde eine Studienkommission des Schweizerischen Verbandes für Berufsberatung (SVB) eingesetzt, die die Erhebung den damaligen Verhältnissen anpassen sollte (ebd.). Die Hauptkategorie Berufswünsche fiel im Zuge dessen gänzlich weg. «Die Fachleute waren der Ansicht, dass bei dieser Frage vielfach eher die Ansicht der Berater als die Berufswünsche der Ratsuchenden zum Ausdruck kommen» (BIGA, 1971, S. 168). Daneben hat die neue Definition des Begriffes Beratungsfall insofern Einfluss, als dass «[…] die Ergebnisse aus den Jahren 1934–1969 mit denjenigen Statistiken ab 1970 nicht mehr vergleichbar sind» (ebd.). Ferner wird die vormalige Subkategorie «Zwischenlösungen» der Hauptkategorie «Übrige Vermittlungstätigkeit» zu einer eigenen Hauptkategorie der neuen Statistik der Berufsberatungen. Zudem wird 1972 eine weitere Hauptkategorie eingeführt, die über die «Allgemeine Aufklärung über die Berufs- und Studienwahl» berichten soll.

Berufsberatungsstellen heute und Ausblick Forschungsinteressen

Der zuletzt genannte Fokus zählt wohl heute noch zur Haupttätigkeit der Berufsberatung. Für den Kanton Zürich lässt sich beispielsweise aufzeigen, dass durch die Neustrukturierung der 3. Oberstufe und der Implementierung der Berufsberatungsangebote im Rahmenkonzept zur Zusammenarbeit Berufsberatung – Sekundarstufe ein institutioneller Steuerungsmechanismus zur Förderung der Chancengerechtigkeit im Übergangsprozess im obligatorischen Schulsystem verankert ist (Amt für Jugend und Berufsberatung, 2012). In diesem Kontext handelt es sich bei der Berufsberatung somit um eine vermittelnde Institution.

Aus einer Forschungsperspektive könnte es hier auch interessant sein, die Auflösung des Schweizerischer Verbandes für Berufsberatung (SVB) im Jahr 2010 zu beleuchten. Eine theoretische Einbettung dieses Umstandes in Zusammenhang mit den statistischen Daten zur Berufsberatung steht aus. Die vorliegende Inventarisierung bezieht sich jedoch nur auf den Zeitraum 1933–1988. Anschliessend an diese Idee könnten sich weitere Einblicke qualitativer oder quantitativer Natur ergeben und als Grundlage oder Ergänzung eines Potpourri an Forschungsinteressen dienen. Man könnte ergänzend zu den inventarisierten Daten Fragen nach der Qualität der Arbeit der Berufsberater*innen und ihrer Ausbildung klären oder sich Doing-Gender Fragen widmen, die sich in der Beeinflussung der Ratsuchenden zeigen könnten, Evidenzen zu Institutionalisierungsmechanismen ausfindig machen, Daten zur Verwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes nutzen u.v.m.

In der weiteren konkreten Auseinandersetzung im Rahmen des SNF-Projektes, steht zunächst der Abschluss der Dateninventarisierung im Vordergrund als auch die Schaffung einer Produktidee, die den Bestand der Statistiken über den gesamten Zeitraum von 50 Jahren darstellt.

Quellen

Amt für Jugend und Berufsberatung (2012). Rahmenkonzept Zusammenarbeit Berufsberatung-Sekundarstufe. Zürich: Bildungsdirektion Kanton Zürich.

BIGA ([1934–1967, 1971]). Jahresberichte über die Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung [1933–1966, 1970]. Die Volkswirtschaft, [7–39, 44].

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