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Lehrstuhl für Historische Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems, Prof. Dr. Lucien Criblez

Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) Freiburg / École supérieure de cadres pour l’économie et l’administration (ESCEA) de Fribourg – Die erste zweisprachige HWV in der Schweiz

9. Mai 2023 | Stefan Kessler | Keine Kommentare |

Von Carolina Gayer, 9. Mai 2023

Im Rahmen eines Forschungspraktikums im SNF-Forschungsinfrastrukturprojekt «Bildung in Zahlen» durfte ich mich mit der historischen Entwicklung der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen (HWV) in der Schweiz, spezifisch mit der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule Freiburg, befassen. Eine meiner Aufgabe bestand darin, Quellen zu den Studierendenzahlen der HWV Freiburg, im Zeitraum von 1991 bis zur Überführung in die Fachhochschulen im Jahre 1998, zu beschaffen und Daten zu inventarisieren. Vor der Quellenbeschaffung zur HWV Freiburg studierte ich Literatur zum historischen Entwicklungskontext der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen in der Schweiz.

Bis weit ins 20. Jahrhundert wurde interessanterweise überwiegend der technische und wissenschaftliche Nachwuchs gefördert. Der Sputnik-Schock von 1957 stützte die Ansicht, es bräuchte primär Nachwuchs im technischen Bereich mit breitem Wissen in Mathematik und Naturwissenschaften (Maienfisch, 2018). Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung in der Nachkriegszeit und der wachsenden Bedeutung des Sekundär- und Tertiärsektors wuchs die Studierendenzahl im kaufmännischen Bereich an. Bis anhin gab es im kaufmännischen Bereich auf dem beruflichem Bildungspfad keine Institution, welche eine allgemeine höhere Bildung anbot (Wuillemin, 2021). Ein Mangel an kaufmännischem Führungspersonal führte schliesslich in den 1950er Jahren zur Gründung erster Kaderschulen. Die Ausbildungen waren alle berufsbegleitend. Ende der 60er Jahre wurden – entsprechend dem Modell des Technikums für das Ingenieurswesen – erste HWV Schulen, nun auch mit der Möglichkeit für ein Vollzeitstudium, gegründet. Es folgte eine Gründungswelle in der Deutschschweiz in den Jahren 1968 bis 1972. Dies im Gegensatz zur Westschweiz, wo sich das Interesse an der Gründung der neuen Bildungsinstitution zunächst als gering erwies. In der zweiten Gründungswelle ab 1980 bis 1993 wurden dann auch HWV Schulen in der Westschweiz gegründet, darunter auch die HWV Freiburg im Jahre 1991 (Maienfisch, 2018). Die HWV Freiburg war die vorletzte in der Schweiz gegründete HWV (Wuillemin, 2021). An der HWV Freiburg konnte in berufsbegleitender Ausbildung in drei Semester und in der Vollzeitausbildung in zwei Semester das Vordiplom erlangt werden. Das Vordiplom berechtigte den Zugang zum Hauptstudium an einer anderen HWV. Eine Vereinbarung zwischen den Kantonen Bern und Freiburg regelte die Aufnahme der Freiburger Studierenden an der HWV Bern. Das Hauptstudium in Bern konnte in vier Semester in der Vollzeitausbildung und in fünf Semester in berufsbegleitender Ausbildung absolviert werden. Das Vordiplom in Freiburg wurde im März des jeweiligen Jahres erlangt, das berufsbegleitende Hauptstudium in Bern begann im April – eine nahtlose Aufnahme des Hauptstudiums war sichergestellt. Studierende, welche sich nach Erlangen des Vordiploms für ein Vollzeitstudium in Bern entschieden, mussten mit einer zeitlichen Verzögerung rechnen, da die Vollzeitausbildung in Bern erst im Oktober startete (StABE BB 05.12.524: Schweizerische HWV-Schulleiterkonferenz, o.J.). Aus den Statistischen Jahrbüchern des Kantons Freiburg 1994-1999 konnten die Studierendenzahlen in Total, ab dem Studienjahr 1992/93 unterteilt in männliche und weibliche Studierende, entnommen werden. Abbildung 1 zeigt die Studierendenzahlen in den Jahren 1991-1999, wobei die Zahlen für die Jahre 1991/92 aus dem Statistischen Jahrbuch 1994 herausgelesen wurden.

Abb. 1: Studierendenzahlen total und nach Geschlecht (m, w) an der HWV Freiburg, 1991/92–1998/99

Die HWV Freiburg verzeichnete 1991 einen Start mit 16 Studierenden. 1992 meldeten sich keine neuen Studierenden an. Lucien Wuillemin, Direktor der Hochschule ab 1994, bezeichnete die Situation in den Jahren 1992 und 1993 als «besorgniserregend» (Wuillemin, 2021). Ab Herbst 1994 konnte das Vollzeit-Studium in Deutsch, Französisch oder zweisprachig absolviert werden, das berufsbegleitende Studium in Deutsch oder Französisch. Die HWV Freiburg stellte damit die erste zweisprachige HWV der Schweiz dar (ESCEA, 1991). Das Vordiplom wurde mit der Bemerkung «zweisprachig» versehen, sofern mindestens ein Fünftel der Module in der Zweitsprache Deutsch oder Französisch absolviert wurde. Die Module wurden parallel in beiden Sprachen angeboten (Wuillemin, 2021). In den Statistischen Jahrbüchern des Kantons Freiburg ist zwar zweisprachig nebst Deutsch und Französisch angegeben, es sind jedoch keine Studierende in dieser Spalte vermerkt. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass sich die Zahlen in den Statistischen Jahrbüchern zum zweisprachigen Studium auf die Anmeldung der Studierenden beziehen und nicht auf die Unterrichtssprache, welche im Vordiplom ausgewiesen wurde. Die Studierenden hatten während des Studiums die Option, wie von Wuillemin (2021) angemerkt, einige Module in der Zweitsprache zu besuchen, da die Module parallel in beiden Sprachen angeboten wurden. Zum Zeitpunkt der Anmeldung konnte eventuell noch nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden, dass ein Fünftel der Module in der Zweitsprache absolviert wurde. In Abbildung 2 ist ein Anstieg der Studierendenzahlen im Jahre 1994 zu erkennen. Dieser Anstieg könnte mit den neuen Ausbildungsmöglichkeiten zusammenhängen. 1994 studierten vergleichbar viele Personen in der Unterrichtssprache Deutsch wie Französisch.

Abb. 2: Studierendenzahlen total und nach Unterrichtssprache (Deutsch, Französisch) an der HWV Freiburg, 1991/92–1998/99

Ein weiterer Faktor für den Anstieg der Studierendenanzahl im Jahre 1994 könnte darin gesehen werden, dass ab 1994 nebst der berufsbegleitenden Ausbildung auch die Vollzeitausbildung angeboten wurde. Die Zahlen zur Art der Ausbildung erscheinen erstmals im Statistischen Jahrbuch des Kantons Freiburg aus dem Jahre 1995. In der Quelle wird der Begriff «Ganztagesprogramm» verwendet. Zwecks einheitlicher Verwendung der Begriffe in den Tabellen wird dieser durch den Begriff der «Vollzeitausbildung» ersetzt. Ab dem Schuljahr 1994/95 ist ein konstanter Anstieg der Studierendenzahlen zu vernehmen.

Abb. 3: Studierendenzahlen total und nach Art der Ausbildung (Berufsbegleitende Ausbildung, Vollzeitausbildung) an der HWV Freiburg, 1991/92–1998/99

Weitere Daten zu den Studierenden konnten in den Bereichen Herkunft nach Land und Kanton, Alter und Religion erfasst werden. Obwohl die Studierenden der HWV Freiburg das Studium in Bern mit entsprechender Diplomausstellung beendeten, konnten aus den Statistischen Jahrbüchern des Kantons Freiburg Angaben zur Vergabe von Diplomen ab 1996/97 inventarisiert werden. Dies steht womöglich mit der Fachhochschulgründung Jahre 1998 zusammen. Die Quellenlage lässt in diesem Fall keine Rekonstruktion der historischen Entwicklung zu.

Das Forschungspraktikum stellte in vielerlei Hinsicht eine äusserst bereichernde Erfahrung dar. Die am Forschungsprojekt Beteiligten ermöglichten es mir durch einen regen und kooperativen Austausch, einen Teil des Forschungsprozesses mitzuerleben und zu erfahren, welch beeindruckende und präzise Arbeit in diesem Projekt gefragt ist. Ein Forschungsteam, welches Hand in Hand arbeitet und einen regen Austausch pflegt, erscheint für ein gelingendes Projekt Voraussetzung zu sein. Die Quellenrecherche, welche sich bei der HWV Freiburg als nicht ganz einfach herausstellte, führte bei mir in Hinsicht auf das Verfassen der Masterarbeit zu einem hohen Lernzuwachs. Bei der Quellenbeschaffung ist eine gute Vorbereitung im Voraus und Abklärungen mit den Personen in der entsprechenden Bibliothek von Vorteil, um einen hohen Ertrag zu erzielen.

Quellen und Literatur

Annuaire statistique du canton de Fribourg / Statistisches Jahrbuch des Kantons Freiburg. Fribourg: Service de statistique de l’Etat de Fribourg, 1994-1999. Print
La formation d’économiste d’entreprise ESCEA = Die Ausbildung zum/zur Betriebsökonom/in HWV. Fribourg: ESCEA, 1991. Print (Broschüre).
Maienfisch, E. (2018). Die Kunst, sich im Sattel zu halten. Statuskämpfe und soziale Mobilität im Zuge der Schweizer Fachhochschulentwicklung im Bereich Wirtschaft seit Mitte des 20. Jahrhunderts. In M. Furrer, S. Bürkler, W. Hürlimann, F. Metzger, N. Grube & A. De Vincenti (Hrsg.), Geschichte und Bildung, 6, 62–88. Zürich: Lit Verlag GmbH & Co. KG Wien.
Staatsarchiv Bern (StABE): BB 05.12.524, Schweizerische HWV-Schulleiterkonferenz: Protokolle, Korrespondenz, Aktennotizen. Broschüre Ecole supérieure de cadres pour l’économie et l’administration Fribourg / Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule Freiburg.
Wuillemin, L. (2021). Les fondements des Hautes écoles spécialisées – HES. Le cas du développement de la Haute école de gestion de Fribourg – HEG-FR. 1991-2011. Belfaux: Edition Fri-Burg.

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