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Lehrstuhl für Historische Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems, Prof. Dr. Lucien Criblez

Hochschulraum Schweiz: Analysen zum organisatorischen Entwicklungspfad im Spannungsfeld von Hochschulen, Staat und Gesellschaft

Dissertationsprojekt | Christian Leder | christian.leder@uzh.ch

Bildung und Forschung als Rohstoffe für ein materiell rohstoffarmes Land. Diese bis heute verwendete Legitimationsformel entstammt der politischen Debatte der frühen 1950er-Jahre zur Einrichtung der «nationalen» Forschungsförderung, d. h. des SNF. Rund eine Dekade später tritt im Kontext von Hochkonjunktur und Fachkräftemangel die tiefe Hochschulquote von knapp 3 % als Bedrohung der volkswirtschaftlichen Entwicklung und internationalen Wettbewerbsfähigkeit ins nationale Bewusstsein. Sie wird nunmehr als Zeichen der Rückständigkeit und als politisches Versäumnis aufgefasst. Zusammen mit der Einrichtung der Bundessubventionen für die Universitäten formiert sich in diesen Jahren ein gesamtschweizerischer Diskurs um die Reform und Koordination des Hochschulsystems. Durch den Rückbezug auf die politischen Diskurse, Entscheide – und insbesondere Nicht‑Entscheide – seit den 1960er-Jahren ordnen wir die einschlägigen Reformen ab den 1990ern in ihre längere Geschichte ein; und machen damit gleichsam auf den strukturellen Entwicklungspfad des Hochschulsystems zwischen Sonderweg und internationaler Angleichung aufmerksam. Die Formierung einer gesamtschweizerischen Hochschulpolitik, die in den 1960er‑Jahren mit der Debatte um die »Hochschule Schweiz« beginnt und deren Forderungen über die Revisionen von 1999 (HFG/UFG und Konkordat zur Koordination), die Bologna-Reform und schliesslich das HFKG (2011/15) formal einen Abschluss finden; die Differenzierung des Hochschulsystems durch die Einrichtung der Fachhochschulen Ende des 20. Jahrhunderts; sowie die Neugestaltung des formalen Verhältnis von Hochschule und Träger mit der betrieblichen Autonomie und dem Ideal einer stärker «unternehmerischen» Selbststeuerung – dies sind drei Kernthemen meiner Dissertation. Sie will das Problembewusstsein für die Spannungsfelder der Hochschulentwicklung stärken und generell zum Wissen und Bewusstsein über die Geschichte der Hochschulpolitik beitragen. Sie behandelt Gegenstände, die im amerikanischen Diskurs des higher edcuation research mit den Stichworten public policy, gonvernance and organziation umschrieben werden. Die Rezeption dieser Debatten geht in meiner Dissertation denn auch mit Erkundungen zur politischen Geschichte des amerikanischen Hochschulsystems einher. Sie qualifizieren dazu, die USA in aufgeklärter Weise als analytische Kontrastfolie für Vergleiche mit der Schweiz zu benutzen. Diese Strategie trägt dem Erkenntnisinteresse Rechnung, eine reflexive Beobachtungsperspektive zu entwickeln, die sich nicht von programmatischen Formeln und ihren Postulaten leiten lässt, sei es aus dem politischen Diskurs oder dem Narrativ der akademischen Selbstbeschreibung. Denn eines macht Analysen wie unsere bis heute schwierig: im deutschsprachigen Diskurs zur «Universität» sind die äusseren Erwartungen und Wirkungen, generell die Kontingenzen der Umwelteinbettung, zu Gunsten einer programmatischen Binnensicht lange ausgeblendet worden, die sich auf die akademischen Kernwerte und ihre Postulate konzentriert. 

Siehe auch: Synopsis zur Dissertation: 5 Gesichtspunkte zum Wandel des Hochschulwesens.