Social Psychology @ UZH

Social Behavior in a Digital Society

E-Mail Overload: Wege aus dem Stress

25. March 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare |

Von Stefan Prüter

Der Hauptgrund, warum Menschen online gehen, ist nicht das World Wide Web, sondern die Möglichkeit, E-Mail zu empfangen und zu verschicken. Mehr als 210 Mrd. E-Mails werden jeden Tag auf der ganzen Welt versendet, davon mehr als die Hälfte am Arbeitsplatz. Im Schnitt bekommt ein Büro-Angestellter 88 E-Mails am Tag und versendet selbst nochmals 34 E-Mails. Tendenz steigend! Dieser permanente E-Mail Overload verschlingt Zeit, viel Zeit sogar! Laut einer McKinsey Studie aus dem Jahr 2012 sind wir mehr als ein Viertel (28%) der Arbeitswoche nur mit E-Mails beschäftigt und gerade mal zu 39% mit unserer eigentlichen Tätigkeit. Rechnet man dies mit den Daten des Bundesamts für Statistik für Herr und Frau Schweizer beispielhaft nach, so kommen wir folglich bei einem 8.7h Arbeitstag auf einen knapp 2.5h Aufenthalt im E-Mail-Postfach.

Was macht das mit uns? Sollten wir uns der E-Mail-Flut ergeben oder sie bekämpfen? Hilft es, ganz auf E-Mail am Arbeitsplatz zu verzichten? Geht das überhaupt und wenn ja, wie? Gibt es effektive Strategien im Umgang mit E-Mails? Mit Hilfe der neusten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse wollen wir uns diesen und anderen Fragen im aktuellen Blog-Eintrag widmen.

In einer kanadischen Studie aus dem Jahr 2015 konnte gezeigt werden, dass die Häufigkeit, mit der wir unsere E-Mails checken, massgeblich zum Stress-Erleben beiträgt. Wer sein Postfach nur 3x täglich überprüfte, hatte einen signifikant tieferen Stress-Level und steigerte dadurch sein Wohlbefinden. Aus der psychologischen Forschung wissen wir, wie schädlich Stress für unser Wohlbefinden, unsere Schlafqualität, aber auch unsere Leistungsfähigkeit ist. Daher bietet es sich an, sein eigenes Postfach mehrheitlich geschlossen zu lassen, jegliche Form von Notifikationen und Alarmen auszustellen und die Inbox nur zu wenigen, festgelegten Zeiten zu öffnen, z.B. morgens als erstes im Büro, dann nach der Mittagspause und zuletzt noch einmal kurz vor Feierabend.

Neben der reinen Häufigkeit, mit der wir in unser E-Mail Fach schauen, gibt es aber noch andere Stellschrauben, an denen wir drehen können. Zum Beispiel die Quantität und die Wichtigkeit der E-Mails. Das französische IT-Unternehmen ATOS hat 2012 als erstes Unternehmen dazu aufgerufen, keine internen E-Mails mehr zu versenden. Durch Implementierung einer eigenen Social Media Plattform mit Instant Messaging Funktion reduzierte sich der E-Mail Versand tatsächlich innerhalb weniger Jahre um beachtliche 80%, und über 200 Prozesse funktionieren mittlerweile ganz ohne E-Mails. Ob diese Verlagerung der Kommunikation auf andere Kanäle aber zwingend besser oder gar effizienter für die Mitarbeiter ist, sei dahingestellt. Es zeigt aber sehr schön, dass erst eine direkte und öffentlichkeitswirksame Weisung durch den CEO einen solchen Kulturwandel einleiten kann. Es liegt daher auch in anderen Unternehmen an den Vorgesetzten, ihren Teams eine gesunde Erwartungshaltung und einen sparsamen Umgang mit E-Mails beizubringen, und dabei selber eine Vorbildrolle einzunehmen, indem sie vorzugsweise das persönliche Gespräch suchen oder proaktiv Meetings einberufen.

Selbst beeinflussen können wir, wie schnell wir E-Mails beantworten. Die grösste E-Mail Studie der Welt wurde kürzlich (2015) von Yahoo durchgeführt und analysierte dabei rund 187 Mio. E-Mails, die sich Yahoo-Nutzer untereinander zugeschickt hatten. Dabei zeigten sich markante Alters-Unterschiede. Während Teenager (<20 Jahre) im Schnitt schneller und kürzer antworten (13 Minuten und 17 Wörter), antworten ältere Nutzer (>50 Jahre) deutlich langsamer, schreiben dafür aber auch deutlich längere E-Mails (47 Minuten und 40 Wörter). Kommt es zu einem E-Mail Overload, dann reduzieren zwar alle Benutzer ihre Antwortlänge und Antwortzeiten; Jüngere verfolgen dabei aber eine andere Strategie als Ältere. Die Generation Y reduziert ihre Antwortzeit und E-Mail-Länge so stark, so dass sie noch in der Lage ist, prozentual gleich vielen Korrespondenten antworten zu können wie sonst auch. Ältere verzichten darauf, mithalten zu müssen, und beantworten nur ausgewählte E-Mails, diese dafür aber auch mit deutlich grösserem Umfang als jüngere Nutzer.

Professor Martin Meyer ist Alternsforscher am Psychologischen Institut der Universität Zürich und sieht darin zwei mögliche Erklärungen. Zum einen kann es an der Genügsamkeit im Alter liegen, dass Ältere nur noch die für sie interessantesten E-Mails beantworten, da im Ruhestand der Druck zum Antworten entfällt, und meint dazu lapidar: „Wenn ich nicht mehr im Beruf stehen würde, würde ich auch nicht mehr als zwei E-Mails am Tag beantworten, obwohl ich mehr beantworten könnte.“ Er verweist aber auch auf eine Vielzahl an Studien, die darauf hindeuten, dass Ältere im Mittel langsamer sind im Tippen und am PC langsamere Reaktionszeiten in Videospielen oder bei Gehirn-Jogging aufweisen. Vor allem tun sie sich mit neuen Technologien schwieriger: „Sie sind nicht so flexibel mit irgendwelchen Umstellungen. Die haben sich gerade an E-Mail gewöhnt, und dann heisst es jetzt nur noch What’s App, und dann dauert das auch wieder zwei Jahre, bis sie sich umgestellt haben.“ Um herauszufinden, welche Prozesse dafür verantwortlich sind, empfiehlt Professor Meyer weitere Forschung mit „echt gematchten Kontrollgruppen“, vor allem mit „Leuten, die noch im Beruf sind“, damit man nicht „Junge vergleicht, die noch im Beruf stehen, mit Alten, die nicht mehr im Beruf stehen“. Das sei „eine ganz schlechte Basis für einen Vergleich“ und bislang zu wenig differenziert worden.

Es zeigt sich also, dass eine angepasste Strategie dem individuellen Nutzer helfen kann, diese Masse an E-Mails effektiv zu bewältigen und so dem Stress zu entgehen. Sei es, indem man sich kürzer fasst oder indem man selektiver antwortet. Wie wir gesehen haben: Ein Leben ganz ohne E-Mail gibt es vorerst nicht. Die Kommunikation verschiebt sich höchstens auf andere Kanäle wie Social Media oder Instant Messaging. Stattdessen sollten wir selbst effektiver mit E-Mails umgehen und die für uns individuell richtige Strategie finden, mit der wir unsere tägliche E-Mail Flut am besten bewältigen können. Nur so lässt sich der E-Mail Stress auf ein Minimum reduzieren!

Abgelegt unter: Seminar Blog


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