Social Psychology @ UZH

Social Behavior in a Digital Society

Statt Brot nun Bytes für die Welt? Soziale Medien können Soziale Ungleichheit reduzieren

30. August 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare |

Von Aniko Kahlert

759 Millionen Menschen weltweit haben nicht genug zu essen, um ein gesundes und aktives Leben zu führen. Gesetzt den Fall, all diese Menschen hätten auf einmal Zugang zu sozialen Medien und würden sie entsprechend nutzen, was würden sie posten? Einen leeren Teller? Überhaupt etwas, das wir, also die „WEIRD”os (Western, educated, and from industrialized, rich, and democratic countries) in sozialen Netzwerken sehen wollen? Wer möchte schon freiwillig tagtäglich mit dem Elend der Welt konfrontiert werden, wenn man stattdessen auch positive Bilder von attraktiven Menschen, atemberaubenden Reisezielen und den neuesten kulinarischen Trends sehen kann? Sind wir, wenn wir Social Media wie Instagram und Twitter benutzen, nicht vielmehr auf der Suche nach einer modernen Art des Eskapismus? Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass unter den 25 erfolgreichsten Nutzern Sportler und Celebrities unter sich sind. Doch keine Angst, unsere Heile-Welt-Blase ist nicht in Gefahr, denn wir WEIRDos sind online (noch) unter uns. Selbst wenn auf einmal überall in Afrika ein Internetzugang vorhanden wäre, bewegen wir uns doch in völlig anderen Onlinesphären, denn dank der Filtermöglichkeiten und der Funktionsweise von Instagram würde uns die Realität dieser Menschen vermutlich verborgen bleiben und wir würden diese Veränderung zunächst überhaupt nicht mitbekommen.

Was wäre, wenn…?

Gehen wir für ein kleines Gedankenexperiment davon aus, dass dem nicht so wäre. Würde der hungrige Wüstenbewohner in Tschad, dem sich ebenfalls mit einem BMI von 16 im mittleren Untergewicht befindlichen Bauern in Turkmenistan auf einem Social Media Kanal folgen? Welchen direkten Vorteil könnte die Nutzung von Social Media für Menschen, die am Existenzminimum leben, bedeuten? Mit diesem simplen Denkbeispiel gelangen wir bereits zu einer Erkenntnis, zu der auch der Anthropologe Daniel Miller und seine Kollegen kamen, nämlich, dass allein der Zugang zum Internet nicht automatisch eine Reduktion der sozialen Ungleichheit nach sich zieht. Doch wo ansetzen, damit die Onlinerepräsentanz auch eine echte positive Wirkung auf die Lebenswirklichkeit der Menschen offline bekommt?

Es ist möglich…

Bleiben wir doch bei dem Thema Hunger, dem, glaubt
 man einer App, „größte[n] lösbare[n] Problem der Welt,
wobei es nur rund 0,40€ [kostet], ein hungerndes Kind für 
einen Tag zu ernähren”. Die internationalen Hilfsstrukturen und –mechanismen passen sich den neuen Möglichkeiten des Internets an. Zunächst hat es die
Entwicklung von Apps wie „Share the meal“
 ermöglicht. Hier wurde das altbekannte Prinzip gegen 
Ungleicheit, Reicht hilft Arm, der Generation der Digital 
Natives angepasst. Zum „Etwas Gutes tun”, braucht es 
jetzt keine Mitgliedschaft mehr, sondern man bekämpft 
den Hunger in der Welt bequem per Smartphone
 während man auf dem Weg per Tram ins Büro seine Soja-Latte to go trinkt. Da Film- und Musikstars Millionen von Followern haben, verbreiten sich Tweets und Posts von ihnen besonders schnell. Würde sich die Nutzung von Social Media nicht nur auf den Ausdruck von Besorgnis über die Ungleichheit in der Welt beschränken, sondern zudem mit echten Massnahmen, wie der Verbreitung der App „Share the meal” kombiniert werden, könnte die Online-Aktivität so tatsächlich zu einer Linderung der Ungleichheit offline beitragen. Denn wenn mein Lieblingsmusiker sich für den Kampf gegen den Hunger auf der Welt einsetzt, dann folge ich als echter Follower im sprichwörtlichen Sinne des Wortes doch auch gern, besonders für 0,40€.

Es kann sogar noch besser werden…

Wie sagt schon das bekannte chinesische, vermutlich von Lao Tze stammende Sprichwort: Gib einem Menschen einen Fisch – er hat einen Tag zu essen. Gib einem Menschen viele Fische – er hat viele Tage zu essen. Lehre ihn fischen – und er wird nie hungern. Könnte sich nicht hinter diesem Aufruf zur Hilfe zur Selbsthilfe vielleicht auch ein Ansatz zur Verringerung der sozialen Ungleichheit durch Social Media verbergen? Schliesslich ist Bildung ein Schlüssel zur sozialen Mobilität, und wie Miller und Kollegen zeigen, bedienen sich Menschen etwa in China und Brasilien sozialer Medien, um ihren „Hunger nach Bildung” zu stillen und Kenntnisse auf verschiedensten Wissensgebieten zu erlangen oder sich neue Fähigkeiten anzueignen. Allerdings herrscht auch hier eine riesige Diskrepanz zwischen der Anzahl der weltweit gesprochenen Sprachen und den online verfügbaren Inhalten. Die Entwicklung von Übersetzungstools für Sprachen, die online unterrepräsentiert sind, wäre ein weiterer Schritt, um Hilfe zur Selbsthilfe, durch den Zugang zu Wissen, also kulturellem Kapital zu ermöglichen.

Abgelegt unter: AllgemeinSeminar Blog


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