Social Psychology @ UZH

Social Behavior in a Digital Society

Facebook-Likes verraten etwas über unsere Persönlichkeit, aber das ist nicht das Problem!

31. December 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare |

Von Johannes Ullrich

Im Neujahrstatort „Mord Ex Machina“ geht es um selbstfahrende Autos und nebenbei auch um psychologische Forschung zum Thema Facebook. Der Kommissar ist wenig beeindruckt von den Ergebnissen von Youyou und Kollegen (2015, Proceedings of the National Academy of Science), die vom Tatort-Team so zuzammengefasst wurden: Ab 300 Likes wüssten die Datenfirmen mehr über einen als er selber!

Ganz wie Psycholog_innen oft auf Parties begrüsst werden („Du analysierst mich bestimmt schon, oder?“), kann man natürlich auch psychologischer Forschung mit ehrfürchtigem Respekt vor der Möglichkeit des Durchschautwerdens begegnen. Man wird der Psychologie bloss nicht gerecht damit. Auch in diesem Fall behaupteten Youyou und ihre Kollegen gar nicht, mehr über eine zu wissen als sie selber. Ihre eigentliche Behauptung scheint jedoch auf den ersten Blick nicht weniger sensationell: Computer könnten genauere Persönlichkeitsurteile fällen als Menschen!

Was steckt dahinter? Weil Persönlichkeitseigenschaften wie Extraversion nicht direkt beobachtbar sind, verwenden Psycholog_innen verschiedene Datenquellen, um sich durch deren Übereinstimmung der Richtigkeit ihrer Urteile zu versichern. Dazu zählen unter anderem der Selbstbericht (Zustimmung zu Aussagen über uns selbst in einem Fragebogen), der Fremdbericht (Zustimmung zu Aussagen über eine andere Person in einem Fragebogen), und die Verhaltensbeobachtung. Genau dies haben Youyou und ihre Kollegen auch getan. Wie viele andere Studien auch haben sie gefunden, dass der Selbstbericht und der Fremdbericht eine gewisse Übereinstimmung zeigen, die jedoch nicht perfekt ist. Das erwartet aber auch niemand wirklich. Die Aussage „Ich bringe Leben in eine Feier“, die zur Messung von Extraversion verwendet wird, lässt sich ja nur sinnvoll beantworten, wenn man eine gewisse Anzahl von Verhaltensbeobachtungen gemacht hat und aus diesen die richtigen Schlüsse zieht. Sowohl die Anzahl der Beobachtungen als auch die Schlussfolgerungen werden naturgemäss nicht perfekt übereinstimmen zwischen Selbst- und Fremdbericht.

Neu an Youyous Studie ist die Übereinstimmung zwischen Selbstbericht und Facebook-Likes, die ähnlich hoch ist wie die Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdbericht (Arbeitskolleg_innen, Freunde, Familie, Partner_in), in Ausnahmefällen auch höher. Es ist ein wichtiger Beitrag, diese Übereinstimmung zu demonstrieren. Viele Menschen verbringen schliesslich einen grossen Teil ihrer Zeit mit Facebook, und es würden erhebliche Zweifel an den Methoden der psychologischen Persönlichkeitsmessung aufkommen, wenn die Aussagen, die Menschen über sich im allgemeinen machen, nicht auch zutreffen würden über ihr Verhalten im Facebook.

Warum sollte die Übereinstimmung zwischen Fragebogen und Facebook-Likes denn auch nicht so hoch sein? Es ist schliesslich dieselbe Person, die einen Fragebogen ausgefüllt hat (etwa mit der Aussage „Ich bringe Leben in eine Feier“), und von der wir wissen, ob sie etwas mag (etwa „partying“). Das heisst, dass beiden Datenquellen in etwa die gleichen Verzerrungen zugrundeliegen, die daher rühren, dass Menschen sich bei der Selbstdarstellung gerne in ein gutes Licht setzen. Über die genaue Berechnung der Übereinstimung zwischen Selbstbericht und Facebook-Likes lassen uns Youyou und Kollegen im Dunkeln. Das ist schade und untypisch für psychologische Forschung, die sich zunehmend zu Transparenz verpflichtet. Es ändert aber auch nichts an meinem Fazit, dass der Tatort-Kommissar zu Recht wenig beeindruckt ist von Youyous Studie. Überraschend wäre gewesen, wenn sie nicht gefunden hätte, was sie gefunden hat.

Youyou wünscht sich, dass Technologiefirmen und Gesetzgeber_innen sich stärker um Datenschutz kümmern, damit die Internetgebrauchenden mehr Kontrolle über ihre digitalen Fussabdrücke bekommen. Weil es den Technologiefirmen gar nicht um Persönlichkeit geht, sondern um profitversprechende Aufmerksamkeit für Webinhalte, hätte sie zu dieser Forderung allerdings auch ganz ohne die Persönlichkeitsstudie gelangen können. Wie der Neujahrstatort vor Augen führt, ist die Wirkung in der Öffentlichkeit bloss, dass die Ehrfurcht gegenüber dem Durchschautwerden von der Psychologie auf „die Computer“ übertragen wird. Kein Wunder tut sich der Kommissar damit schwer.

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