Social Psychology @ UZH

Social Behavior in a Digital Society

Wir verkaufen unsere Privatsphäre im Internet, aber wissen nicht, zu welchem Preis

11. November 2016 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Isabel Pilot

kabel

Wie wichtig ist uns unsere Privatsphäre im Internet? Genau diese Frage habe ich vor einiger Zeit mit einer 16-jährigen Jugendlichen und ihrem Vater besprochen. Dabei warf der besorgte Vater seiner Tochter vor, im Umgang mit ihrer Privatsphäre auf sozialen Netzwerken und Kommunikationssoftwares zu leichtgläubig zu sein und warnte sie vor schwerwiegenden Konsequenzen der Privatsphärenverletzung. Dieser Warnung begegnete die Jugendliche mit dem Argument, dass sie sehr wohl über die Gefahren Bescheid wisse, da sie in der Schule einen obligatorischen Kurs zur Medienkompetenz besucht hatte. Aufgebracht warf sie hinterher, dass der Vater das Internet verteufle und eine Verletzung ihrer Privatsphäre keine folgenschweren Konsequenzen nach sich ziehen würde. Dieses Gespräch veranschaulicht, dass Menschen ganz unterschiedlich über das Thema Privatsphäre im Internet denken.

Tagtäglich nutzen Menschen das Internet und müssen dabei ständig entscheiden, wie tiefe Einblicke sie in ihre Privatsphäre gewähren. Bei jedem Beziehen einer kostenfreien App auf unser Smartphone – von Facebook und Whatsapp bis hin zu Paypal – verkaufen wir einen Teil unserer Privatsphäre. Für die App muss zwar kein Geld ausgegeben werden, aber wir bezahlen mit privaten Daten: sei es mit persönlichen Informationen wie unserem Namen und E-Mail Adresse oder unserer Kreditkartennummer. Viele Menschen beteuern zwar, dass ihnen ihre Privatsphäre wichtig sei, aber geben trotzdem viele private Informationen im Internet preis. Alan Westin erstellte basierend auf breitangelegten Umfragen zur Privatsphäre den „Westin Privacy Index“. Dabei werden Menschen in drei Kategorien eingeteilt, die sich bezüglich ihrer Besorgnis über Privatsphäre unterscheiden. Fundamentalisten sind sehr besorgt um ihre Privatsphäre und schützen sie, Pragmatisten zeigen eine moderate Besorgnis um ihre Privatsphäre und geben ihre Daten aus pragmatischen Gründen preis, und Unbesorgte kümmern sich nicht um ihre Privatsphäre und gehen dementsprechend offen damit um. Einer meiner Mitstudenten bekennt sich zwar als Fundamentalist und gibt an, sehr um seine Privatsphäre besorgt zu sein, verhält sich aber nicht seinen Einstellungen entsprechend, sondern verkauft seine Daten für die Nutzung von Anwendungssoftwares. Er vertritt ähnlich wie die oben genannte 16-Jährige die Meinung, dass der Verkauf seiner Privatsphäre keine negativen Konsequenzen mit sich bringt.

Wenn wir annehmen, dass die Privatsphäre ein grundlegendes menschliches Bedürfnis ist, wie könnten die Internetnutzer nun besser vor Verletzungen derselben geschützt werden? Obwohl die meisten Internetnutzer mittlerweile wissen, dass ihre Daten von Unternehmen eingesehen werden können und zu weiteren Zwecken verwendet werden, gibt es immer noch viele offene Punkte. Viele Nutzer wissen nicht, dass einige Informationen ihrer sozialen Profile auch für Aussenstehende (nicht befreundete Nutzer) zugänglich sind. Ein Beispiel dafür sind die Voreinstellungen bei Facebook, welche seit 2014 zulassen, dass Informationen wie Geschlecht, Freunde, Präferenzen etc. für das ganze Internet sichtbar sind. Es ist für Nutzer nicht unmissverständlich ersichtlich, welches Publikum Zugriff hat auf ihre im Internet und insbesondere auf sozialen Netzwerken geteilten Daten. Besonders heimtückisch ist zudem, dass die privaten Daten aus den sozialen Profilen an kommerzielle Anbieter verkauft werden können und diese dadurch weitere Rückschlüsse zur Person ziehen können. Es ist also fraglich, ob Menschen wissen, wie hoch der Preis tatsächlich ist, den sie für die Softwares bezahlen.

Die Privatsphäre bietet Menschen Autonomie, emotionale Entlastung und geschützte Kommunikation. Eine besonders grosse Gefahr durch die Verletzung der Privatsphäre im Internet ist, dass die Autonomie verloren gehen kann und Menschen somit manipuliert werden können. Ausserdem kann die geschützte Kommunikation verloren gehen, wenn Kommunikationskanäle (zum Beispiel Whatsapp oder Snapchat) nicht mehr privat sind und Informationen, die nur für bestimmte Personen gedacht waren, für Aussenstehende zugänglich werden. Entgegen der Annahme meiner 16jährigen Gesprächspartnerin kann die Verletzung der Privatsphäre in der Tat schwerwiegende Konsequenzen haben. Was sich viele Nutzer zum Zeitpunkt des Veröffentlichens von privaten Daten im Internet nicht bewusst sind, ist, dass alles was im Internet veröffentlich wird, für immer erhalten bleibt. Im Internet geteilte Daten sind tickende Zeitbomben, welche in der Zukunft zu heute noch unbekannten Problemen führen können.

Der erste Schritt zum Schutz der Privatsphäre von Internetnutzern ist es, diese über die Handhabung ihrer Daten und den möglichen Konsequenzen aufzuklären. Einerseits sollten sich alle Menschen bewusst werden, dass sobald sie die Daten ins Internet stellen, diese nicht mehr ausschliesslich ihnen gehören und andere darauf zugreifen können. Ausserdem muss der Prozess des Verkaufs der Privatsphäre transparenter gestaltet werden. Die AGBs der sozialen Netzwerke und Anwendungssoftwares sind meistens seitenlang, und kaum jemand zwingt sich, dazu diese genau zu lesen. Diese müssten verkürzt werden und eine klare Übersicht der Zugriffsrechte enthalten. Es muss folglich ersichtlich sein, wer Zugriff auf welche Daten hat. Oftmals sind wir uns nicht bewusst, dass sobald wir einer Anwendungssoftware (zum Beispiel Facebook) Zugriff auf unsere Fotos geben, um ein Foto auf unserem Profil zu posten, das Unternehmen damit die Berechtigung erhält auf alle anderen auf dem Smartphone gespeicherten Fotos zuzugreifen. Gleiches gilt für viele weitere Anbieter von sozialen Netzwerken oder Apps.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Tausch der Privatsphäre gegen Funktionalität im Zeitalter des Internets alltäglich geworden ist und mehrheitlich akzeptiert wird. Trotzdem ist es wichtig, uns vor Augen zu führen, welche Konsequenzen das Aufgeben unserer Privatsphäre hat, und was uns unsere privaten Daten wert sind. Wir müssen uns bewusst werden, zu welchem Preis wir unsere Privatsphäre verkaufen und abwägen, ob dieser Preis gerechtfertigt ist. Wenn wir zum Schluss kommen, dass der Preis zu hoch ist, sollten wir auf Alternativen zurückgreifen. Wir könnten tatsächlich manche Dienstleistungen statt mit unserer Privatsphäre mit Geld bezahlen.

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Dank Anonymität kannst du in sozialen Medien ganz du selbst sein

28. October 2016 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Roman Müller

Entfernt uns die Nutzung sozialer Medien von unserem wahren Selbst? Identifizieren wir uns immer stärker mit unseren Äusserlichkeiten, weil unsere Selbstwahrnehmung fortlaufend damit beschäftigt ist, das ideale Selfie zu schiessen und unter hunderten von Urlaubsfotos dasjenige zu finden, auf welchem unsere Schokoladenseite am besten zur Geltung kommt? Schon früh wurde Kritik an neuartigen Kommunikationstechnologien geäussert mit der Befürchtung, dass sich der Mensch in eine immer tiefere Abhängigkeit der Technologie stürzt und sich immer weiter von seiner ursprünglichen Natur entfernt. So behandelte schon Platon in seinem Dialog Phaedrus die Nachteile der Einführung der Schrift, so z. B. dass die Menschen vergesslicher würden und ihre Authentizität verlieren könnten. Im heutigen Zeitalter der digitalen Revolution, in welchem sich die Kommunikation immer stärker auf das Internet verlagert und von sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Blogs, Chatrooms, Foren und Videoplattformen beherrscht wird, werden ähnliche Befürchtungen und Fragen aufgeworfen.

Personen, die grossen Wert auf ihr Äusseres legen, sich stundenlang mit ihrer Frisur beschäftigen und in jedem Schaufensterglas einen verstohlenen Blick auf ihr Erscheinungsbild werfen, gelten häufig als oberflächlich. Schliesslich sind es ja die inneren Werte, die wirklich zählen! Hinter dieser Vorstellung verbirgt sich die Idee, dass das „wahre Selbst“ – d. h. die authentische, mit den eigenen Wünschen und Wertvorstellungen übereinstimmende Selbstauffassung einer Person – von aussen nicht ohne Weiteres zugänglich sei, wobei das äussere Erscheinungsbild einer Person als künstlich, verfälschbar und entschieden weniger wichtig empfunden wird. Dem Anthropologen Daniel Miller fiel jedoch auf, dass diese Auffassung nicht von allen Kulturen geteilt wird, sondern lediglich charakteristisch für unsere westliche Kultur ist. So argumentiert Miller, dass egalitäre Kulturen wie beispielsweise die Bevölkerung von Trinidad ein genau umgekehrtes Selbstbild teilen. Für sie liegt das wahre Selbst auf der Oberfläche, weil dieser Teil für alle offen zugänglich ist und von allen bewertet werden kann. Da sich das innere Selbst hingegen der öffentlichen Überprüfung entzieht und somit anfällig für Täuschung ist, wird es auch als weniger authentisch angesehen. Möchte ein Trinidadianer demnach etwas über eine Person oder sogar über sich selbst erfahren, wird er grosse Aufmerksamkeit auf das Erscheinungsbild dieser Person legen.

Wie steht es nun mit der Befürchtung, dass wir uns aufgrund von sozialen Medien wie Instagram, Facebook und Co. immer stärker mit der Aussen- anstatt der Innenperspektive identifizieren und uns vielleicht sogar einem Selbstverständnis annähern, wie es der Bevölkerung von Trinidad entspricht? Dass soziale Medien unseren Aufmerksamkeitsfokus nicht immer nur auf unser Äusseres richten müssen, sondern durchaus auch unser wahres Selbst zum Vorschein bringen können, wird spätestens dann deutlich, wenn das Augenmerk auf eine besondere Eigenschaft des Internets gerichtet wird: die Anonymität. Das Internet ermöglicht es wie kaum ein anderes Kommunikationsmedium, anonym mit anderen Personen in Kontakt zu treten. Im Schatten der Anonymität, fernab des eigenen Erscheinungsbilds, können sich Personen über Dinge unterhalten, die so persönlich sind, dass es im „realen“ Leben kaum jemand wagen würde, sie jemals anzusprechen. Durch die Anonymität können wir uns verbergen, müssen uns weniger vor sozialen Sanktionen fürchten und können dadurch unsere geheimsten Wünsche, Einstellungen und Ängste äussern und manchmal sogar verborgene Charakterzüge ausleben.

So berichtet Klara (der wahre Namen bleibt zwecks Anonymität unerwähnt) von ihrem Blog, welchen sie seit Monaten unter einem Pseudonym führt. Der Blog ermöglicht es ihr, sich in einem geschützten Raum mit Gleichgesinnten über ihr Outing zu unterhalten und von ihren persönlichen Erfahrungen zu berichten – Erfahrungen, die sie ohne den Schutz der Anonymität wohl nur wenigen Ausgewählten mitteilen würde. Die Anonymität kann somit als eine Art Maske dienen, die unsere Person zwar verbirgt, uns aber dadurch ermöglicht, unser wahres Selbst auszudrücken. Um es mit den Worten von Oscar Wilde zu sagen „Give a man a mask and he will show his true face.” So fanden beispielsweise Bargh und Kollegen (2002) in einem Experiment, dass Personen, die sich 40 Minuten lang miteinander in einem anonymen Online-Chat unterhielten, in einem stärkeren Ausmass ihr wahres Selbst präsentierten als Personen, die sich bei ihrer Unterhaltung direkt gegenüber sassen. Dabei wurde das Ausmass des präsentierten wahren Selbst durch den Vergleich der Selbsteinschätzung des Probanden (sollte Eigenschaften nennen, die er besass und eigentlich gerne ausdrücken würde, sich dazu jedoch nicht in der Lage sah) mit der Fremdeinschätzung des jeweiligen Gesprächspartners nach der Unterhaltung ermittelt. Den Autoren zufolge waren die Personen im Online-Chat weniger gehemmt, ihr wahres Selbst offenzulegen, weil sie anonym waren und die Gefahr, sich bloss zu stellen, somit deutlich reduziert wurde. Zudem mussten sie sich dank der Anonymität nicht so verhalten, wie es normalerweise von ihnen erwartet wurde.

Die Befunde zeigen, dass unsere wahre Identität durch die Nutzung von sozialen Medien noch nicht vollkommen verloren ist und sich auch nicht zwingend an dem Selbstverständnis egalitärer Kulturen annähern muss. So hängt der Einfluss von sozialen Medien auf unsere Selbstwahrnehmung hauptsächlich von der ausgewählten Plattform ab und demnach davon, ob Anonymität verhindert oder gefördert wird. Erst durch den Schutz der Anonymität können wir unser wahres Selbst ungehemmt in Erscheinung treten lassen und brauchen uns nicht davor zu fürchten, dass wir mit unserer Authentizität auf Ablehnung stossen könnten. Die Befürchtung, dass sich der Mensch durch soziale Medien immer weiter von seinem wahren Selbst entfremdet, scheint demnach weitgehend unbegründet. Auch wenn soziale Medien wesentlich die Art und Weise verändern, wie wir miteinander kommunizieren, welche Aspekte wir von uns preisgeben und wie wir uns schliesslich selbst wahrnehmen, bleibt es immer noch in der Kontrolle des Nutzers, welche Plattformen er verwenden will. Warum tauchst du also nicht einmal in die Anonymität ab und bist ganz du selbst?

 

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Neuer Blog über Psychologie und Digitalisierung

20. October 2016 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

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Was macht das Internet mit uns, was machen wir mit dem Internet? Mit dieser Fragestellung hat sich das M.Sc.-Seminar “Soziales Verhalten im WWW” im FS 2016 beschäftigt. Wir haben psychologische und andere sozialwissenschaftliche Texte gelesen und diskutiert, die uns Aufschluss darüber gegeben haben, wie die fortschreitende Digitalisierung sich in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen auswirkt. Resultat unserer Bemühungen sind kleine Blogbeiträge von Studierenden, die wir ab demnächst an dieser Stelle publizieren werden. Die Vorgabe dabei war, möglichst für ein breites Publikum zu schreiben, ohne dass die sachliche Richtigkeit allzu sehr leiden muss.

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