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Völkerkundemuseum

Pressetext


Vor 175 Jahren legte die Naturforschende Gesellschaft in Zürich den Grundstein für den heutigen Alten Botanischen Garten. In den Gebäuden des Gartens gründete Hans Schinz, ein einflussreiches Mitglied der Gesellschaft und erster Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Botanik der Universität Zürich, 1896 das erste staatlich anerkannte botanische Museum der Universität. Seit 1979 befindet sich in diesen Räumlichkeiten das Völkerkundemuseum der Universität Zürich (VMZ).
Porträt von Hans Schinz

Reise nach Südwestafrika

Hans Schinz wuchs als Sohn des Kaufmanns Hans Rudolph Schinz und dessen Frau Julie Schinz-Vögeli in Zürich auf. 1878 nahm er am Eidgenössischen Polytechnikum (heutige Eidgenössische Technische Hochschule, ETH Zürich) das Studium der Botanik auf und schloss dieses 1883 mit einer Dissertation ab.

Ochsenwagen, im Hintergrund die Lüderitz’sche Faktorei

Anschliessend ging er für ein Semester an die Humboldt-Universität zu Berlin, um zusätzlich zum botanischen auch sein medizinisches Wissen zu vertiefen. Dort lernte er den Bremer Kaufmann und Kolonialisten Adolf E. Lüderitz kennen und erhielt die Möglichkeit, an einer von Lüderitz organisierten Expedition nach Südwestafrika teilzunehmen. Die fast dreijährige Reise (1884–1887) durch das heutige Namibia sollte für die weitere berufliche Karriere von Hans Schinz wegweisend sein.

Hans Schinz hatte den Auftrag, nach wirtschaftlich verwertbaren Pflanzen zu suchen. Darüber hinaus interessierte sich der junge Forscher aber auch für ethnographische, zoologische, mineralogische und anthropologische Objekte und Daten. Trotz klimatisch schwieriger Umstände, gesundheitlicher Probleme und immer wiederkehrender Konflikte mit der lokalen Bevölkerung, kehrte Hans Schinz 1887 mit einer umfangreichen und vielfältigen Sammlung nach Zürich zurück. Die Herbarien befinden sich heute grösstenteils in der Sammlung des Instituts für Systematische Botanik der Universität Zürich.
Herbarbeleg von Dianthus namaensis Schinz

Die ethnographischen Objekte verkaufte Hans Schinz 1889 an die Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich. Sie wurden zu einer der fünf Gründungssammlungen dieser Gesellschaft und damit auch des heutigen Völkerkundemuseums. 1913 ging die gesamte Ethnographika-Sammlung der Geographisch-Ethnographischen Gesellschaft an die Universität Zürich über.

«Man muss eben Alles sammeln»

Sammeln war im Leben von Hans Schinz zentral. Mit einem gewissen Anspruch an das Humboldt’sche Ideal des Universalgelehrten wollte er zum Zweck wissenschaftlicher Erkenntnisse «Alles» sammeln. Dies schreibt er zumindest 1885 aus Südwestafrika in einem Brief an seine Mutter, immerhin, nachdem er von einem Schlachtfeld ein Skelett mitgenommen und präpariert hatte. Was aber war für Hans Schinz «Alles»? Wie sammelte er «Alles»? Kann und darf «Alles» gesammelt werden? Die Ausstellung und die Begleitpublikation gehen diesen Fragen nach. Sie beleuchten kritisch, welche Beiträge und Materialien zur Ethnographie Südwestafrikas er als Mensch, Wissenschaftler und Sammler hinterlassen hat und reflektieren die Auswirkungen seiner Sammeltätigkeit und den heutigen Umgang mit seinem Erbe.
Luxustäschchen für Frauen (Inv.-Nr. 256)
Für Hans Schinz, so wird aus seinem schriftlichen Nachlass und auch anhand seiner Sammlungen immer wieder deutlich, war Sammeln Berufung. Es umfasste mehr als das blosse Mitnehmen von Dingen. Sammeln beinhaltete ein wissenschaftlich intendiertes Auswählen und zugleich Entnehmen, Kategorisieren, Vergleichen, Bearbeiten und Verarbeiten. Es war geprägt von einem evolutionistischen Menschenbild, welches den menschlichen Körper der Natur und den Geist der Kultur zuordnete. Körperteile wurden zu anthropologischen Objekten, Werkzeuge und Artefakte zu Kulturgegenständen. Der Mensch sollte objektiv messbar und anhand seiner handwerklichen Erzeugnisse wissenschaftlich vergleichbar werden. Von diesem Anspruch geleitet, bemühte sich Hans Schinz nicht nur um grösstmögliche Vielfalt und «Vollständigkeit», sondern er kategorisierte und ordnete die von ihm gesammelten Objekte auch. Durch die klare Zuteilung zu den ethnischen Gruppen «Nama», «Herero», «Buschmänner», «Ovambo» und «Batovana» grenzte er die einzelnen Gruppen strenger voneinander ab, als dies in der Realität der Fall war.
Tauschperlen (Inv.-Nr. 243a/b)

Bewahren durch Sammeln

Überzeugt davon, dass sich die Kulturen dieser Gesellschaften aufgrund fortschreitender Zivilisierungsprozesse im Untergang befänden, wollte Hans Schinz diese bewahren und der Wissenschaft als Zeugnisse des «Urspünglichen» zur Verfügung stellen. Zwar umfasst seine ethnographische Sammlung auch einige wenige Objekte, die den europäischen Einfluss belegen – zum Beispiel ein mit europäischen Perlen bestücktes Ledertäschchen, Ketten aus europäischen Glasperlen oder ein Wochenkalender aus Holz, mit dem die Missionare die europäische Zeitrechnung verbreiteten. Die meisten Objekte bedienen jedoch das Bild des «Ursprünglichen», welches dem heimischen Publikum sogar einen Blick in die eigene, europäische Frühgeschichte ermöglichen sollte.

Das von Hans Schinz und seinen Zeitgenossen konstruierte Bild «unberührter, geschichtsloser Naturvölker» prägte die europäischen Vorstellungen afrikanischer Kulturen über eine lange Zeit hinweg. Viele der damals gesammelten Objekte lagern heute in den Depots der Völkerkundemuseen. Nach Kolonialismus und Völkermord hat sich das Bewusstsein in der Betrachtung von Ethnographika und ihren Erschaffern jedoch verändert.

Wochenkalender (Inv.-Nr. 265) Beinschmuck (Inv.-Nr. 182/183)

Belege einer reichen Alltagskultur

Einst Zeugnisse des «Rückständigen» und «Ursprünglichen», erscheinen solche Objekte – selbst ein alltäglicher Fetttopf – mit ihren Herstellungs- und Gebrauchsspuren heute als Belege einer reichen Alltagskultur und von handwerklichem Können. Gerade deshalb stellen sie die völkerkundlichen Museen vor die Herausforderung, einen angemessenen und ethisch vertretbaren Umgang mit ihnen zu finden.

Fetttopf mit Deckel (Inv.-Nr. 171a/b) Abzeichen für königliche Viehhirten (Inv.-Nr. 338a)

Publikation zur Ausstellung

Gitte Beckmann (Hrsg.), «Man muss eben Alles sammeln». Der Zürcher Botaniker und Forschungsreisende Hans Schinz und seine ethnographische Sammlung Südwestafrika, NZZ Libro & Völkerkundemusem der Universität Zürich, Zürich 2012. Fr. 38.-

Weiterführende Informationen

«Man muss eben Alles sammeln» Der Zürcher Botaniker und Forschungsreisende Hans Schinz und seine ethnographische Sammlung Südwestafrika

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