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Kunsthistorisches Institut

SNF- Forschungsprojekt

 

Beate Fricke : Zeugungsmythen in Kunst und Wissenschaft um 1500

Förderbeginn: 1. November 2008

Das als Habilitationsschrift konzipierte Projekt ist interdisziplinär, nämlich kunsthistorisch, kulturwissenschaftlich und wissenschaftshistorisch angelegt. Es befasst sich mit der Reflexion über die Entstehung von Leben in Bildern in kunsttheoretischen und in naturwissenschaftlichen Texten. Analog zu den drei Grundbedeutungen des altgriechischen Wortes g™nesiq – Geburt, Ursprung und Entstehung – kann der Zeugungsakt im Spätmittelalter als natürlicher Prozess (genesis), als göttliche Schöpfung (creatio ex nihilo) oder als Nachahmung der Natur (mimesis) gedacht werden.

In der Zeit um 1500 gibt es eine Konjunktur des Interesses an Zeugungsakten. Sie ist ein Produkt der Reflexion über die Genese von Lebendigkeit, das sich aus der jeweiligen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Konstellation heraus ergeben hat und immer weiter tradiert wurde. An den Bildern von Genese-Prozessen zeigt sich, wie sich in dieser Zeit die Denkmodelle, die Argumente und die Zeugungsmythen aus der Kunst, der Medizin, der Alchemie und der Philosophie miteinander vermischen und neue Erkenntnis hervorbringen. Es soll dazu eine – von der Kunstgeschichte bisher kaum beachtete – Form von Traktatliteratur aus der Medizin- und der Enzyklopädiegeschichte sowie der Alchemie in den Blick gerückt werden, deren diskursprägende Bedeutung für die Kunst- und Bildtheorie meines Erachtens unterschätzt ist.

Das Projekt ist in vier Kapitel gegliedert: Der Analyse des historischen Konzepts von „natürlicher“ Entstehung von Leben (Genesis) folgt im zweiten Kapitel die Untersuchung der mirakulösen Entstehungsgeschichten von „Mischwesen“ wie Hermaphroditen, Einhörnern oder Homunculi. In der Zeit um 1500 werden besonders häufig Bildsujets gewählt, die ein offensichtlich sexuelles Ereignis zum Gegenstand haben, der eigentliche Akt, die Zeugung von Leben, jedoch weitgehend ein Tabu darstellt. Während das dritte Kapitel die Veränderungen in den Darstellungsmodi am Thema des Sündenfalls verfolgt, wird das vierte und letzte Kapitel die Grenzen der Erotik und Moral am Beispiel des erlaubten Inzests zur Wahrung der Genealogie in Darstellungen Lots und seiner Töchter thematisieren.

Den Zeugungsmythen in allen vier Kapiteln liegt – was sich im Fall von bildlichen Umsetzungen besonders offenbart – jeweils ein Tabu der Darstellbarkeit oder ein Tabubruch in moralischer Hinsicht zugrunde: das Essverbot, der Inzest, der sexuelle Akt oder die Häresie, die sich im Anspruch der Gottgleichheit des „Kreators“ äussert. Entsprechend gibt die Analyse, wie kontigente Anfänge in diesen Bild- und Schriftzeugen konstruiert werden, Aufschluss über die Konstruktionen, mit denen dieses Urereignis jeweils markiert oder unsichtbar gemacht wird.

Die Zeit um 1500 wird gemeinhin mit Begriffen der Renaissance bzw. der Geburt der Moderne, also selbst einer Erzählung in Form eines Zeugungsmythos verbunden. In meinem Projekt möchte ich in einer wissensgeschichtlichen Genealogie gegenwärtiger Epochencharakteristik zeigen, wie sich die retrospektiven Konstruktionen der Innovation und Invention zur Denkfigur des Ursprungs verhalten. Mich interessieren dabei, welche Mischformen von mythischem Denken und innovativer Erkenntnis bei der Verschränkung von Altem und Neuem, von Tradition und Innovation sowie von sakralen und profanen Argumenten entstehen und wie diese Prozesse visualisiert werden.

Dr. phil. Beate Fricke,

email: fricke@khist.uzh.ch

Postadresse: Kalkbreitestr. 3, CH-8003 Zürich

Weiterführende Informationen

Maria im Glas