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Soziologisches Institut Forschungsprojekt ANV

Arbeitnehmervertretungen in der Schweizer Privatwirtschaft

Projektbeschrieb

Von der Belegschaft gewählte beriebliche Arbeitnehmervertretungen (ANV: Betriebskommissionen, Personalvertretungen, Mitarbeiterkommissionen, commissions de personnel etc) existieren in der Schweizer Privatwirtschaft seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Ursprünglich waren sie Instrument patronaler Strategien, "Alternativen" zur Interessenvertretung der Arbeitnehmer durch Gewerkschaften zu bieten. In der verarbeitenden Industrie sind ANV ab dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitet; ihre Kompetenzen sind einerseits in Gesamtarbeitsverträgen (GAV), andererseits in einer Reihe von Bundesgesetzen (u.a. dem Arbeitsgesetz, Berufliche Vorsorge, OR) geregelt. Seit 1993 sind ANV auch als Institutionen durch einen Rahmenerlass, das Mitwirkungsgesetz, geregelt. In Betrieben ab 50 Mitarbeitern haben die Beschäftigten das Recht, die Einrichtung einer ANV zu verlangen.
Auch in der Schweiz hat der Betrieb als Ebene der Arbeitsbeziehungen in den vergangenen Jahrzehnten eine erhöhte Bedeutung erlangt. Dies zeigt sich u.a. in der in den 1990er Jahren aufgekommenen Tendenz, in verschiedenen GAV die jährlichen Verhandlungen über Lohnanpassungen von der Branchen- auf die Unternehmens- bzw. Betriebsebene zu verlagern.
Aktuell, als Folge der schockartigen Erstarkung des Schweizer Frankens im Januar 2015, neigen viele Unternehmen in der Metall- und Maschinenindustrie dazu, den so genannten Krisenartikel im GAV anzuwenden, der mit Zustimmung der betrieblichen ANV eine vorübergehende Erhöhung der Wochenarbeitszeit zulässt. Damit kommen weitreichende Herausforderungen auf diese Gremien zu.
Es gab bisher aber weder von sozialwissenschaftlicher noch von behördlicher oder verbandlicher Seite systematische Informationen über die Verbreitung von ANV in der Schweizer Privatwirtschaft, ihre Funktionen sowie über allfällige Veränderungen ihrer tatsächlichen Praktiken über die letzten 20 Jahre. Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt schliesst diese Wissenslücken. Zunächst wurde branchenweise die quantitative Verbreitung von ANV in der Privatwirtschaft erhoben. Für ausgewählte Branchen sowohl des zweiten als auch des dritten Sektors wurden sodann Formen und Funktionen von ANV vergleichend untersucht. Anhand von Fallstudien wurden die Praxisformen dieser Institution im Kräftefeld zwischen Belegschaft, Management und Gewerkschaften schliesslich vertieft analysiert.

Kontakt

Das vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Projekt lief von September 2015 bis August 2018.

Leitung
Prof. Dr. Patrick Ziltener, Universität Zürich

Projektausführung
lic. phil. Heinz Gabathuler, Tel. +41 44 242 38 10
gabathuler.heinz [at] gmail.com

Resultate und Publikationen

Patrick Ziltener / Heinz Gabathuler (2019): Mitwirkung in der Praxis: betriebliche Arbeitnehmervertretungen im schweizerischen Gefüge der Sozialpartnerschaft. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, 2 / 2019: 215-235
https://seismoverlag.ch/site/assets/files/3595/oa_szfs_45_2.pdf

Patrick Ziltener / Heinz Gabathuler (2018): Working more in order to preserve jobs? Works councils in the Swiss mechanical and electrical engineering industry and the ‘Swiss franc shock’ in 2015. Industrial Relations Journal 49 (5-6): 534-553 (DOI: 10.1111/irj.12236) Working More - IRJ (PDF, 707 KB)

Patrick Ziltener / Heinz Gabathuler (2018): Betriebliche Mitwirkung in der Schweiz - eine Untersuchung der Bestimmungen in Gesamtarbeitsverträgen. Industrielle Beziehungen 25(1): 5-26
(DOI: 10.3224/indbez.v25i1.01)  

Betriebliche Mitwirkung in der Schweiz

Heinz Gabathuler / Patrick Ziltener (2018): Arbeitszeitverlängerungen nach dem Frankenschock. Die Volkswirtschaft 8-9: 50-53

Arbeitszeitverlängerungen nach dem Frankenschock

L’allongement du temps de travail en entreprise après le choc du franc fort

Im Juni 2018 präsentierte Heinz Gabathuler eine Zusammenfassung der Forschungsresultate zu den Spezifika der Mitwirkung von ArbeitnehmerInnen in der Schweizer Privatwirtschaft an einer von der Hans-Böckler-Stiftung organisierten Fachtagung zur Mitbestimmung am Wissenschaftszentrum Berlin:

Employee participation in a voluntarist and non-adversarial context: The Swiss experience (auf Englisch)

Am Kongress "Reclaim Democracy" an der Universität Basel im Februar 2017 war Heinz Gabathuler Mitorganisator einer Atelierveranstaltung über betriebliche Mitwirkung von ArbeitnehmerInnen ("Demokratie endet nicht am Arbeitsplatz"). Er gab einen Überblick über die rechtliche Situation der Mitwirkung in der Schweiz, die Geschichte der "betrieblichen Sozialpartnerschaft" und präsentierte einige Resultate aus dem laufenden Forschungsprojekt:

Dokumentation zur Atelierveranstaltung "Demokratie endet nicht am Arbeitsplatz"

Am European Regional Congress der International Labour and Employment Relations Association (ILERA) im September 2016 in Milano wurde eine Übersicht über die Einbettung von Arbeitnehmervertretungen in die Arbeitsbeziehungen in der Schweizer Privatwirtschaft präsentiert:

Works councils in a voluntaristic context: the Swiss case (auf Englisch)

In der Zeitung der Gewerkschaft Syndicom (Ausgabe März 2017) erschien ein Interview mit Heinz Gabathuler:

Interview ANV Syndicom-Zeitung (deutsch) (PDF, 92 KB)

Interview ANV Syndicom-Zeitung (français) (PDF, 93 KB)

Interview ANV Syndicom-Zeitung (italiano) (PDF, 79 KB)

Die "Zentralschweiz am Sonntag" und die "Ostschweiz am Sonntag" widmeten im Hinblick auf den 1. Mai 2017 einen Hintergrundbeitrag dem in der schweizerischen Öffentlichkeit wenig bekannten Phänomen der betrieblichen Arbeitnehmervertretung:

"Der Arbeitskampf im Hinterzimmer"

Weiterführende Informationen

Europäische Betriebsräte und Arbeitnehmer in der Schweiz

In einem im Frühjahr 2015 abgeschlossenen NF-Forschungsprojekt wurde erstmals die Bedeutung Europäischer Betriebsräte (EBR) für die Arbeitnehmer in der Schweiz sowie für Schweizer Unternehmen untersucht.