Ist Open Science nützlich für die akademische Karriere?

Ist Open Science nützlich für die akademische Karriere?

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Offene Wissenschaft muss sich lohnen! Unter dieser Prämisse setzen sich Dr. Karin Gilland Lutz und Dr. Mihaela Falub von der Abteilung für Gleichstellung und Diversität mit dem Einstellungsprozess für Professorenstellen auseinander. Im Projekt HI-FRAME entwickeln sie ein Verfahren, das Open-Science-Aktivitäten systematisch in die Evaluation von Bewerber*innen miteinbezieht und honoriert.

Das Projekt von Karin Gilland Lutz und Mihaela Falub – HI-FRAME – Measure what really matters: a framework for Open Science professorial hiring – nimmt einen zentralen Erfolgsfaktor der offenen Wissenschaftskultur unter die Lupe und schafft damit starke Anreize für Open Science an der Universität Zürich. Am Mittwoch, 11. Mai 2022, werden die beiden Projektleiterinnen HI-FRAME im Rahmen der Lunch & Learn Open Science Vortragsreihe vorstellen (Anmeldung). Das Open Science Services (OSS)-Team der Universitätsbibliothek hat die Gelegenheit genutzt, den Referent*innen vorab einige Fragen zu stellen.

OSS: Warum ist es wichtig, Anreize für Open Science im Einstellungsprozess zu schaffen? Sind Anwender*innen von Open-Science-Praktiken heute im Wettbewerb um eine Professur benachteiligt?

Karin Gilland Lutz und Mihaela Falub: Es geht darum, die Anreize für die Hochschulen und für die einzelnen Wissenschaftler*innen anzugleichen. Die UZH hat im September 2021 eine Open Science Policy [PDF] verabschiedet, um die unbestreitbaren Vorteile von Open Science fruchtbar zu machen. Die Policy kann aber nur Wirkung entfalten, wenn die Forschenden Open Science Praktiken in ihrer täglichen Arbeit an der UZH umsetzen. Dabei muss man sich im Klaren sein, dass Open Science von den einzelnen Forschenden viel verlangt: Open-Science-Aktivitäten und -Praktiken sind in vielen Fächern neu und erfordern zusätzliche Fähigkeiten als Teil des akademischen Berufsprofils. Wenn dies nicht gebührend honoriert wird, z. B. bei Einstellungsentscheidungen, könnte sich unter Akademiker*innen die Haltung einstellen, dass das Beschreiten des Open-Science-Weges ein Karriererisiko darstellt – insbesondere für Nachwuchswissenschaftler*innen, die in ihrem Fachgebiet noch wenig etabliert sind. Da es dies zu verhindern gilt, müssen Institutionen wie die UZH belohnen, was sie zu ihren Werten erklären, und praktizieren, was sie predigen. Sonst besteht die Gefahr, dass Wissenschaftler*innen, die sich für Open Science engagieren, im Wettbewerb um Professuren benachteiligt werden.

«Institutionen wie die UZH müssen belohnen, was sie zu ihren Werten erklären.»

Wie honorieren andere Universitäten Open Science in ihren Einstellungsverfahren? Können Sie uns ein gutes Beispiel nennen?

Einige unserer LERU-Partner in Europa sind gute Beispiele. So hat die Universität Utrecht ein auf Open Science abgestimmtes Modell für die Einstellung und Förderung von Wissenschaftler*innen entwickelt. Auch generell sind die niederländischen Universitäten in dieser Hinsicht schon recht weit. Es ist bemerkenswert, dass momentan viele europäische Länder nationale Leitlinien entwickeln; wir sehen dies in den Niederlanden ebenso wie beispielsweise in Irland, Norwegen und Finnland.

Wie unterscheiden sich die Bewertungskriterien für Open-Science-Praktiken von den traditionellen Bewertungsfragen, und wo gibt es Überschneidungen?

Sie stimmen insofern überein, als dass sie sich beide um «Exzellenz» drehen. Sie unterscheiden sich darin, wie sie diesen Begriff verstehen und wie akademische Exzellenz gemessen und bewertet wird.

Einerseits geht es um die Dimensionen: Da sich die Open-Science-Bewegung mit allen Aspekten des wissenschaftlichen Prozesses befasst, muss dies auch für die Bewertung gelten. Die Forschung steht zwar nach wie vor im Mittelpunkt, die Open-Science-Sichtweise ist aber breiter angelegt und hat einen stärkeren Fokus auf weitere Elemente des Forschungsprozesses, wie z. B. Wirkung, Führungsqualitäten, kooperative Beiträge statt Einzelleistungen, offene Forschungsdaten sowie Code, Software und andere Werkzeuge und offene Bildungsressourcen. Da Open Science einen so starken Fokus auf die Rolle der Wissenschaft bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme hat, beinhaltet der Einbezug von Open-Science-Praktiken im Einstellungsverfahren auch eine starke EDI-Perspektive (Gleichberechtigung, Vielfalt, Inklusion). Es ist wichtig, wer Teil der Wissenschaft ist, denn das wirkt sich natürlich darauf aus, welche gesellschaftlichen Probleme die Wissenschaft zu lösen versucht und welche unbearbeitet bleiben.

«Die Open-Science-Sichtweise ist breiter angelegt und hat einen stärkeren Fokus auf weitere Elemente des Forschungsprozesses, wie z. B. Wirkung, Führungsqualitäten, kooperative Beiträge statt Einzelleistungen…»

Der zweite Unterschied besteht darin, dass man sich nicht auf Indizes und Impact-Faktoren als Messwerte für wissenschaftliche Exzellenz verlässt. Dazu hat sich die UZH mit der Unterzeichnung der San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA) im Jahr 2014 im Grundsatz verpflichtet. Früher wurde DORA kritisiert, weil es eher sagte, was man nicht tun sollte – verlasst euch nicht auf Impact-Faktoren! – anstatt konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Aber auch dies hat sich mittlerweile komplett geändert, unter anderem mit dem DORA-bezogenen Projekt TARA, dem Repository «Re-imagining academic assessment: Stories of innovation and change» sowie mit den DORA-Stipendien für Communities of Practitioners (CoP) zur Förderung von Bottom-up-Initiativen, die über Erklärungen hinausgehen und praktische Anwendungen entwickeln.

Was sind Ihre Empfehlungen, um den Einstellungsprozess von Professor*innen nachhaltig mit der Wissenschaftskultur von Open Science zu verbinden? Was muss sich ändern, damit Ihre übergeordneten Projektziele einst erreicht werden?

Der Weg zu einer Kultur der Offenheit ist anspruchsvoll. Er bringt konkurrierende Anforderungen und praktische Herausforderungen mit sich und involviert eine Vielzahl von Akteur*innen. HI-FRAME hat die Besetzung von Lehrstühlen in einem Open-Science-Umfeld im Fokus, aber was wir in diesem Projekt lernen, könnte auf andere akademische Evaluierungsprozesse ausgeweitet werden, z. B. auf Beförderungen innerhalb der Professorenschaft oder auf akademische Einstellungen auf allen Ebenen. Das Gleiche gilt für andere Bewertungs- und Evaluierungsprozesse von Forschenden und Wissenschaftler*innen an unserer Universität und darüber hinaus.

«Der Weg zu einer Kultur der Offenheit ist anspruchsvoll.»

Die allgemeinen Bewertungskriterien müssen sich ändern, damit sie tatsächlich jene Werte messen, die wir als Hochschuleinrichtungen schätzen. Dies ist ein fortlaufender Prozess, der nicht mit einem einzelnen Projekt abgeschlossen ist. Die wachsende internationale Bedeutung von «research on research» ist hier sehr wichtig. Wir blicken beispielsweise auf das CWTS in Leiden und RORI im Vereinigten Königreich und nehmen auch zur Kenntnis, dass Akteure von der UNESCO über die Europäische Kommission bis hin zu Science Europe und der European University Association diese Fragen derzeit ganz oben auf ihrer Tagesordnung haben.

Was geschieht in Bezug auf die Forschungsbewertung auf nationaler Ebene? Gibt es ähnliche Projekte oder Bemühungen zur Veränderung der Forschungsbewertung?

HI-FRAME wird im Rahmen des swissuniversities Programms P5, Aktionslinie «Bewertung der Forschung», finanziert. Soweit uns bekannt ist, hat HI-FRAME keine «Schwesterprojekte» an anderen Schweizer Hochschulen, obwohl wir von kleineren Entwicklungen, beispielsweise an der Universität Genf, wissen. Bislang haben wir uns eher am Schweizerischen Nationalfonds orientiert, weil dieser im schweizerischen Kontext wohl der Vorreiter ist. Obwohl die Vergabe von Forschungsmitteln nicht dasselbe ist wie die Besetzung von Lehrstühlen, war unser bisheriger Austausch mit dem SNF sehr inspirierend. Forschungsförderer und forschende Organisationen haben unterschiedliche Rollen und sollten jeweils ihren eigenen Weg gehen, aber gleichzeitig scheint es wichtig zu sein, dass die verschiedenen Akteure, die dieselbe Hochschullandschaft bevölkern, miteinander im Gleichschritt bleiben. Andernfalls könnte es zu einer Situation kommen, in der eine Förderorganisation das Open-Access-Publizieren fordert, während einige Universitäten es vorziehen, Wissenschaftler*innen einzustellen, die nach der Logik der Impact-Faktoren publizieren.

Die Schweiz beginnt damit, einen nationalen Ansatz für Belohnungen und Anreize für Open-Science-Praktiken zu entwickeln. Der kürzlich veröffentlichte nationale Aktionsplan zu offenen Forschungsdaten skizziert diesbezügliche Massnahmen. Diese Arbeit steht zwar erst am Anfang, sollte aber in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Dr. Karin Gilland Lutz und Dr. Mihaela Falub arbeiten in der Abteilung für Gleichstellung und Diversität der Universität Zürich und leiten das Projekt HI-FRAME – Measure what really matters: a framework for Open Science professorial hiring.

Interview durch Samuel Nussbaum und Melanie Röthlisberger, Team Open Science Services

Fotos von Melanie Röthlisberger (Titelbild) und Frank Brüderli (Porträts)