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Asien-Orient-Institut UFSP Asien und Europa (2006–2017)

Jean-Paul Sartre und der Existentialismus in Japan: Das intellektuelle und literarische Feld der japanischen Nachkriegszeit

Verantwortlich für das Postdoc-Projekt: PD Dr. Simone Müller (Habilitation 2012)
Finanzierung: UFSP Asien und Europa
Projektdauer: März 2006 – Februar 2009

J-P. Sartre und S. Beauvoir während eines Diskussionspodiums anlässlich ihres Japanbesuchs (1966)

Abstract

Anfang der 20er Jahre, ausgelöst durch das Erstarken des Marxismus nach der russischen Oktoberrevolution und der daraus hervorgehenden proletarischen Literaturbewegung (puroretaria bungaku undō) entstand in Japan ein Diskurs über die Rolle des Intellektuellen in der Gesellschaft und seinem Verhältnis zum "Volk", welcher unter dem Namen Chishiki kaikyū ron (nach 1945 Chishikijin ron) bekannt ist. Angeführt wurde der Diskurs in erster Linie von marxistisch orientierten Kritikern und Literaten, die sich Fragen nach der Verantwortung der Literatur in der Gesellschaft und der diesbezüglichen Rolle der Intelligenz stellten. Der Diskurs wurde insbesondere nach den Massenbekehrungen (Tenkō seimei) zahlreicher Marxisten nach 1933 neu entfacht und führte im literarischen Feld zur so genannten Aktionsliteraturdebatte (Kōdō shugi bungaku ronsō), bevor der Diskurs nach 1939 vollkommen zum Erliegen kam, um nach 1945 dafür umso heftiger weitergeführt zu werden: Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs brachte nach 1945 eine Gene­ra­tion von, meist marxistisch orientierten In­tel­lek­tuellen hervor, welche nach ihrer eigenen Kriegsschuld und nach individueller Verantwortung in der Ge­sellschaft fragte. In Japan waren es vor allem Literaten, die sich dieser Frage annahmen und die Verantwortung der Literatur in einer modernen Gesellschaft betonten. Die wieder gewonne­ne Presse­frei­heit in Japan und die rasche Ausbreitung der Medien erlaubte den Schriftstellern einen zeitgleichen intellektuellen Informations­aus­tausch auf globaler Ebene. In dem von linken Romanisten angeführten literari­schen Feld Japans richteten die Schriftsteller auf der Suche nach intellektuellen Modellen ihren Blick insbesondere nach Frank­reich. In der Résistance-Literatur und dem nachkriegs­zeitlichen, von Sart­re postu­lierten Konzept der "littérature engagée"” (jap. Angājuman no bungaku), entdeckten sie ein intellektuelles Ideal und Vorbild für ihre eigene Literatur und transformierten die­ses Modell auf japanische Verhältnisse. In der japanischen Nach­kriegszeit ent­stand somit ein politisch engagierter und sozial­kritischer Typus des intel­lek­tuel­len Schrift­stellers, der dem Konzept des französischen Intel­lek­tuellen in vieler Hinsicht ähnelt, und der sich in seiner Selbstdefinition stark am Sartre'schen Engagementkonzept orientierte. Erst in den 70er Jahren verlor dieser Intellek­tuellen­­typus in Japan seine Wirkkraft. Anhand einer Diskursanalyse von vier Haupt und vier Nebendiskursen zwischen 1920 und 1970 unter Einbezugnahme von Bourdieus Theorie des literarischen Feldes habe ich die Entwicklung, die Rolle und die Selbstwahnehmung des modernen ja­pa­ni­schen Intellektuellen in der Zwischen- und Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts gezeichnet und ein Intellektuellenprofil der japanischen Literaten im Lich­te ihrer Bezüge zum sartreschen, existentialistischen Engagementkonzept neu definiert.

Weiterführende Informationen

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Jean-Paul Sartre in Japan