Digital Religion(s): Der Blog

Educating for Hegemonic Futures

22. Dezember 2022 | Yves Mühlematter | Keine Kommentare |

Utopian and Religious Motifs, Transformation, and Power

Welche Zukunft können wir erwarten? Werden wir zu einer raumfahrenden Spezies? Werden wir uns in das Metaversum verlagern? Es gibt viele facettenreiche Ideen über die Zukunft, doch sind technologiebasierte Vorstellungen der Herrschaft der Menschheit über die Natur an erster Stelle, wenn es um die Frage der Zukunft geht. Diese Zukünfte werden aktiv von den Tech-Milliardären propagiert. So sieht Jeff Bezos die Menschheit in Raumstationen rund um unseren Planeten schweben. In seiner Vision besuchen die Menschen die Erde nur noch als Urlaubsdestination.[1] Elon Musk wiederum behauptet, dass die Entwicklung hin zu einer raumfahrenden Zivilisation der einzige Weg sei, um als Spezies zu überleben, und sein Unternehmen, SpaceX, arbeitet bereits heute mit Hochdruck an der Verwirklichung seiner Vision.[2] Eine ganz andere – oder vielleicht eher ergänzende – Vision präsentierte Mark Zuckerberg, als er ankündigte, dass Facebook seinen Namen ändern und „a metaverse company“ werden würde. Das Metaversum soll ein „embodied Internet“ sein, in dem die Menschen sich selbst verwirklichen und darin tatsächlich „leben“ und arbeiten, ihre Freizeit verbringen und neue Freundschaften knüpfen.[3]

Bei all dem bewahrheitet sich eine Vorhersage, die Bill Gates bereits 1995 getroffen hat. Beim technologischen Fortschritt sind diejenigen, die spät dazukommen, nicht benachteiligt, sondern werden mit besserer und zuverlässigerer Technologie belohnt.[4] Doch ist Technologie nicht alles. Es braucht auch spezifische Kompetenzen, um sich in diesen neuen Zukünften zurechtzufinden, um sich tatsächlich selbst verwirklichen zu können. Der Aufbau dieser Kompetenzen wird heute schon in Bildungsinstitutionen verfolgt. So scheint es, dass Cybertopien zu den hegemonialen Narrativen über die Zukunft werden – oder bereits wurden.[5] Gleichzeitig erhalten Zukünfte, die nachhaltige Entwicklung ins Zentrum ihrer utopischen Visionen rücken, immer mehr Gewicht. Zukunftsvision, die vom Klimawandel und der Umwandlung der Wirtschaft in eine globale grüne Wirtschaft geprägt sind, überlagern und komplementieren die technologischen Zukunftsentwürfe.[6] Zuweilen kritisieren und verneinen sie diese auch. Beide Zukunftsnarrative haben aber gemeinsam, dass sie sich stark auf die (Natur-)Wissenschaften stützen. Rund um den Globus arbeiten Tausende von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Architekten, Ökonomen, Unternehmern und Politikern daran, dass diese Zukünfte Wirklichkeit werden. Auch in Bildungsinstitutionen lehren Professoren, Dozenten und Lehrer durch Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und digitale Lernprogramme den Studierenden und Schülerinnen und Schülern all diejenigen Kompetenzen, die sie für diese Zukünfte brauchen. Daher erscheinen diese Zukünfte am unmittelbarsten, am unvermeidlichsten, ja sie scheinen die einzig „Wahren“ zu sein.

Sprechen über cyber- und ökotopische Ideen

Im Teilprojekt Educating for Hegemonic Futures: Utopian and Religious Motifs, Transformation, and Power (Arbeitstitel) von P9 erforschen wir, wie im Internet über cyber- und ökotopische Ideen gesprochen wird und wie sie sich auf Zukunftskompetenzen und deren Vermittlung beziehen. Auf einer Metaebene konzeptualisieren wir diese Zukünfte als mögliche, aber nicht notwendige Zukunftsentwürfe in dem Sinne, dass sie utopische Visionen der Zukunft bieten. Dies ermöglicht es, diese Zukünfte als Diskurse zu betrachten, in denen bestimmte Zukunftsbilder hegemonial und andere marginalisiert werden. Die „anderen“ oder „alternativen“ utopischen Visionen werden ebenfalls in einem anderen Projekt ausserhalb des UFSP Digital Religion(s) erforscht. Der Vergleich dieser Visionen kann uns Einsichten darüber vermitteln, welche Motive überdacht werden könnten oder evtl. gar müssten, und eröffnet Denkräume für Transformationen jenseits der ökonomisch-technologischen Beherrschung des Planeten.


Blogbeitrag von Yves Mühlematter, Assoziierter Forschender im UFSP-Projekt 9 Interreligiöse Herausforderungen und interreligiöses Lernen in der digitalen Gesellschaft in pädagogischen, wirtschaftlichen und politischen Kontexten


[1] Massie, Graeme. “Jeff Bezos Predicts People Being Born in Space and Earth Tourism.” The Independent, November 12, 2021. Accessed December 20, 2022. https://www.independent.co.uk/space/bezos-space-colonies-earth-tourism-b1956834.html.

[2] SpaceX, “SpaceX”. Updated December 16, 2022. Accessed December 20, 2022. https://www.spacex.com/human-spaceflight/mars/.

[3] Zuckerberg, Mark. “Founder’s Letter, 2021.” Meta, October 28, 2021. Accessed December 20, 2022. https://about.fb.com/news/2021/10/founders-letter/.

[4] Gates, William H., Nathan Myhrvold, and Peter Rinearson. The Road Ahead. New York, NY: Viking, 1995.

[5] Milojevic, Ivana. “Hegemonic and Marginalised Educational Utopias in the Contemporary Western World.” In Edutopias: New Utopian Thinking in Education. Edited by Michael Peters and D. J. Freeman-Moir, 21–44. Bold visions in educational research v. 5. Rotterdam, Taipei: Sense Publishers, 2006.

[6] Georgeson, Lucien, Mark Maslin, and Martyn Poessinouw. “The Global Green Economy: A Review of Concepts, Definitions, Measurement Methodologies and Their Interactions.” Geo: Geography and Environment 4, no. 1 (2017): e00036.

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