Political Correctness und gendergerechte Sprache in der Archäologie – Ein Denkanstoss

Die Debatte um den gendergerechten und diskriminierungsfreien deutschen Sprachgebrauch gehört zu den zentralen gesellschaftlichen Diskursen unserer Zeit. Viele öffentlich-politische Institutionen, Medienkanäle und Privatbetriebe in der Schweiz bekennen sich mittlerweile konsequent zu diesem – auf den ersten Blick womöglich radikal anmutenden – Sprachwandel und setzen damit wichtige zukunftsorientierte (Sonder-)Zeichen auf dem Weg zur inklusiven Kommunikationsbasis. Die Sprache der Forschung scheint dabei bisher nicht in den Fokus der Reform geraten zu sein und soll es auch nicht, wenn es nach einigen kritischen Stimmen geht. In der Forschung gehe es in erster Linie um objektive und präzise Formulierung von Sachverhalten, welche mitunter durch traditionell erarbeitete Forschungsbegriffe erreicht wird. Bei der inklusiven Sprache bestehe demnach die Gefahr, dass Objektivität und Verständnisgehalt verloren gehen. Mir stellt sich aber dabei die Frage, ob uns nicht gerade viele Erkenntnisse durch die Lappen gehen, wenn veraltete Ideologien unhinterfragt weiter tradiert werden – geschweige denn, dass schon lange nicht mehr nur weisse Männer Forschung betreiben.

Die „Group of the Negro Alabastra“ ist eine in der Archäologie bekannte Art von Vasen bestimmter Form, welche die Darstellung eines dunkelhäutigen Kriegers gemeinsam haben. Der vom namhaften Vasenkenner Sir John D. Beazley (1885–1970) eingeführte Rufname findet noch heute Verwendung in Forschungstexten. Während also in den USA emotionale Diskussionen über den Abriss der Denkmäler von Sklavenhändlern geführt werden und der Zürcher Stadtrat das Wort „Mohr“ von historischen Häuserfassaden entfernen lässt, weil dieser diskriminierend und rassistisch auf heutige Leser wirken könnte (Quelle: NZZ vom 12. Mai 2021), benutzen ArchäologInnen munter und ungestraft das ‚N-Wort‘ weiter. Warum ist dies zulässig? „Es weiss halt jeder gleich, was gemeint ist“, antwortet man mir auf diese Frage. Der Zweck des Forschungsverständnisses heiligt also die Mittel, wie es scheint…

Fast vollständiges Alabastron mit Kriegerdarstellung, Anfang 5. Jh. v. Chr. (Zürcher Ietas-Grabung, Inv. K 16796)

Kürzlich stellte sich mir bei der Inventarisierung bzw. Beschreibung einer Keramikscherbe der Archäologischen Sammlung ein Problem. Das Fragment eines rotfigurigen Kraters (Arch. Slg. Inv. 7687) zeigt eine figürliche Szene, die einzigartig und somit schwierig zu deuten ist. Eine männliche Figur (rechts), deren Hände hinter dem Rücken gefesselt scheinen, wird mittels Becher von einem weiteren Mann getränkt. Die dargestellten Gesichtszüge der rechten Figur entsprechen nicht dem Schema, welches von antiken VasenmalerInnen zur Darstellung von attischen Bürgern bzw. ‚Griechen‘ verwendet wurde. Das Ohr ist schwulstig, die Lippen dick und die grosse Nase markant von der Stirnpartie abgesetzt. Zudem unterscheidet sich die Figur rechts mit ihrer Tunika auch durch ihre Kleidung von der Figur links, die nur mit einem Mantel um die Hüfte verhüllt zu sein scheint.

Fragment eines rotfigurigen Kelchkraters aus Unteritalien (?), 5./4. Jh. v. Chr. (Arch. Slg. Inv. 7687)

Es könnte sein, dass die Szene einen dunkelhäutigen, afrikanischen Gefangenen zeigt. Die rotfigurige Technik der antiken Vasenmalerei, bei welcher die Figuren hell ausgespart bleiben, sieht die Darstellung von dunkler Haut nicht vor anders als bei der schwarzfigurigen Technik, in welcher die Alabastra oben genannter Gruppe dekoriert sind. Der Vasenmaler oder die Vasenmalerin unseres Kraters hätte für die Darstellung eines dunkelhäutigen Afrikaners also auf die Darstellung anderer äusserlicher Attribute ausweichen müssen, um attischen BetrachterInnen verständlich zu machen, woher sein Gefangener stammt eine Bildsprache, welche wir vielleicht nur glauben zu verstehen, weil sie auch in rassentheoretisch abwertenden Kontexten der Neuzeit Verwendung fand.

‚Typisierte‘ Darstellung eines griechischen Bürgers auf einem rotfigurigen, sizilischen Kelchkrater, Mitte 4. Jh. v. Chr. (Arch. Slg. Inv. 4994)

Es stellt sich dabei die Frage, ob wir nicht, von modernem Rassismus geblendet, etwas in die Szene hineininterpretieren, was der Grieche und die Griechin gar nicht wissen konnte. Die dunkelhäutigen Figuren auf den Vasen der „Group of the Negro Alabastra“ sind z. B. nicht karikiert und deren körperliche Besonderheiten auch nicht abwertend dargestellt. Im Gegenteil sogar, die Darstellung als Krieger zeugt von einer gewissen Wertschätzung im Verständnis der attischen Gesellschaft, für die das Kriegertum als tugendhaft und edel galt. Wählen wir also als ForscherInnen des 21. Jh. das rassistische und mittlerweile klar als Schimpfwort deklarierte ‚N-Wort‘ zur Beschreibung dieser Dekorart, ist dies nicht nur despektierlich gegenüber Menschen heutiger Zeit, sondern auch verfälschend im Hinblick auf die Antike. Ein gleiches gilt für die Scherbe des Kraters, die vielleicht gar keinen dunkelhäutigen Menschen zu zeigen sucht, sondern einen Ringer mit sog. Blumenkohlohr darstellt, der in einer Pause von seinem Trainer getränkt wird.

In der Forschung geht es in erster Linie um die objektive und präzise Formulierung von Sachverhalten. Jedoch ist die Verwendung eines Begriffs, welcher im 16. Jh. mit der Rassentheorie aufkam, von vornherein nicht objektiv. Das heisst nicht, dass alle Texte, die diesen Begriff verwenden, verbrannt und Sir J. Beazley der Ritterstand aberkannt werden sollten. Jedoch sollte ab sofort ein anderer Begriff gesucht werde egal, wie viel einfacher es ist, den traditionellen zu verwenden. Nicht länger dürfen wir uns ForscherInnen aber von der Sprachreform verschont glauben und verstecken, sondern aktiv beginnen, diesen für neue Erkenntnisse einzusetzen. Forschung ist der Inbegriff des Wandels und die Sprache deren Werkzeug.

P. S. In diesem Text wurde übrigens darauf geachtet wo sinnvoll gendergerecht zu formulieren: Hat Sie dies im Lesefluss gestört oder haben Sie den Text dadurch vielleicht schlechter verstanden? Hat es womöglich ein ganz neues Bild zur Antike ermöglicht? Es gibt zu wenig eindeutige Hinweise, dass es weibliche Vasenmalerinnen gab, doch wurde Athen sicher auch von Frauen bewohnt. Sie gehören ins Bewusstsein gerückt, um nicht auch hier ein falsches antikes Bild zu vermitteln. Und wer weiss, vielleicht gelangen wir bald sogar zur Erkenntnis, dass Frauen womöglich doch auch massgeblich zur antiken Geschichte beigetragen haben?

Darstellung von Frauen im Frauengemach auf einer rotfigurigen Pelike des 1. Viertels des 4. Jhs. v. Chr. (Arch. Slg. Inv. 2656)