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Religiöse Mediennutzung unter Jugendlichen: Eine qualitative Studie

26. April 2022 | Julia Müller | Keine Kommentare |

In den letzten Jahren tauchten immer mehr religiöse digitale Angebote, z.B. in Form von Bibel-Apps, Gebets-Apps, religiösen Blogs und Influencer:innen, auf. Besonders für Jugendliche und junge Erwachsene spielen diese digitalen Medien eine grosse Rolle bei der Ausübung ihres Glaubens, da diese Altersgruppe (ca. 14 – 35 Jahre) Medien häufiger nutzt und schneller in ihren Alltag integriert als Erwachsene. Dabei werden Apps hauptsächlich für religiöse Praktiken wie Bibellesen, Beten oder Meditation im Alltag verwendet. Zudem werden digitale Medien dazu genutzt, Informationen über den Glauben zu sammeln (z. B. Bibelverse) und die persönliche Beziehung zu Gott zu stärken. Ausserdem bieten vor allem soziale Medien für Gläubige sowie ganze Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, sich online mit anderen Gläubigen zu vernetzen und Online-Gemeinschaften zu bilden.

Um einen genaueren Einblick in die religiöse Mediennutzung von Jugendlichen zu erhalten, führten wir im Sommer 2021 eine qualitative Befragung durch, bei der wir Jugendliche im Alter von 14-20 Jahren aus verschiedenen Kirchen und Kirchgemeinden befragten. Dabei haben wir uns speziell auf christliche Jugendliche und junge Erwachsene konzentriert, da das Christentum in der DACH-Region die häufigste Konfession ist. Neun Jugendliche, darunter vier Mädchen und fünf Jungen, erklärten sich bereit, mit uns ungefähr eine Stunde detailliert über ihre Mediennutzung im Glaubensalltag zu sprechen. In den Interviews fragten wir die Jugendlichen zuerst, welche spezifischen Medien sie für religiöse Zwecke nutzen.

Danach fragten wir sie nach ihrer Mediennutzung. Dabei ging es um das Umfeld, in dem die Medien zu religiösen Zwecken genutzt wurden und um die Frage, von wem die Befragten von den religiösen Apps oder Inhalten erfahren. Der letzte Block drehte sich um die Nutzungsmotivation. Wir fragten, warum die Jugendlichen sich religiöse Medieninhalte anschauen oder religiöse Medien nutzen.

Ergebnisse

Die Befragten nannten insgesamt vierzehn Apps, auf denen sie sich religiöse Inhalte ansehen oder die sie für religiöse Zwecke nutzen. Zu diesen Apps gehörten soziale Medien (z.B. Instagram, TikTok, YouTube), Messengerdienste (z.B. WhatsApp, Telegram), Musik-Apps (Apple Music, Spotify) und eine Bibel-App. Drei Apps wurden dabei von allen Befragten für religiöse Zwecke genutzt und schienen daher am wichtigsten zu sein: WhatsApp, Instagram und die Bibel-App „YouVersion“.

Inhalte auf religiösen Medien

Auf sozialen Medien bestehen religiöse Inhalte primär aus Bibelversen oder -zitaten, kurzen Videos mit christlichen Impulsen, Predigtauszügen, Memes oder persönlichen Geschichten. Die religiösen Beiträge wurden meist als zum Nachdenken anregend oder inspirierend beschrieben.
Auf Messengern gibt es zwei Arten von Kommunikation: in offiziellen, von der Kirche organisierten Gruppen oder in privaten Gruppen/Chats. In den offiziellen Gruppen sind alle Gemeindemitglieder sowie die Jugendleiter:innen vertreten. Dort sehen die Jugendlichen meist organisatorische Inhalte und Nachrichten von Mitgliedern, die christliche Inhalte wie Predigten oder Andachten teilen oder Fragen stellen, die sich meist an die Leiter:innen oder ältere Mitglieder richten. Die privaten Gruppen sind kleiner werden meist ohne die Jugendleiter:innen von den Mitgliedern selbst gebildet und für private Unterhaltungen genutzt. Die Jugendlichen scheinen sich in diesen kleinen, privaten Gruppen wohler zu fühlen, da sie Inhalte austauschen, Themen offen diskutieren und Gebetsanliegen mit anderen teilen können. Apple Music und Spotify wurden genutzt, um christliche Musik und Podcasts zu hören. Die Musik reicht dabei von christlichem Pop/Rock bis hin zu Rap. Die Podcasts hingegen behandeln verschiedene religiöse Themen.
Alle Befragten in unserer Studie nutzten eine Bibel App namens „The holy bible“ von YouVersion. Diese App bietet verschiedene Funktionen, wie z.B. einen täglichen Bibelvers, Lesepläne, und die Möglichkeit, Versbilder zu erstellen. Außerdem gibt es in den Leseplänen kurze Andachten zu jedem Vers.

Anschlusskommunikation der Inhalte

Bei der Rezeption von religiösen Medieninhalten kann der Wunsch entstehen, mit jemandem darüber zu sprechen. Dieser Wunsch tritt vor allem dann auf, wenn die Medien Inhalte oder Meinungen enthalten, die nicht mit dem religiösen Weltbild des jungen Menschen übereinstimmen. Sie wenden sich dann an andere Menschen, Jugendgruppenleiter:innrn oder Gleichaltrige, um Unsicherheiten und Verwirrung zu klären. Auch bei der Auswahl der religiösen Medieninhalte spielt das soziale Offline-Umfeld eine wichtige Rolle. Jugendliche orientierten sich an ihren Peers und folgen Empfehlungen von Apps und Content Creators.

Mediennutzungsmotivation

Jugendliche und junge Erwachsene nutzen religiöse Medieninhalte aus affektiven, kognitiven, sozialen und pragmatischen Gründen.

Affektives Motiv: In den Interviews berichten die Jugendlichen, dass sie religiöse Medieninhalte zur Unterhaltung nutzen, wenn sie sich langweilen oder eine Ablenkung vom Alltag brauchen. Das trifft vor allem auf soziale Medien zu, auf denen Inhalte meist nur passiv rezipiert werden.

Kognitives Motiv: Religiöse Jugendliche nutzen religiöse Medien zur Information und Organisation. Daher schauen sie religiöse Inhalte an, um mehr über den eigenen Glauben zu erfahren. Dabei suchen Jugendliche und junge Erwachsene Inhalte, die ihnen helfen ihr Leben als Christ:in zu navigieren. So berichtet eine der Befragten, dass sie einer Influencerin folgt, um etwas darüber zu erfahren, wie man sich als Christin angemessen kleidet.
Außerdem werden religiöse Online-Inhalte rezipiert, um sich verschiedene theologische und ethische Meinungen einzuholen und auf Basis dessen dann eine eigene Meinung zu bilden. Das deutet darauf hin, dass religiöse digitale Medieninhalte durchaus einen Einfluss auf Einstellungen und das Verhalten von Jugendlichen haben könnten.

Soziales Motiv: Die soziale Motivation der Mediennutzung besteht aus zwei Aspekten: Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft (interne Kommunikation) und mit Nicht-Gemeinschaftsmitgliedern (externe Kommunikation).
Bei der internen Kommunikation werden Messengerdienste und soziale Medien genutzt, um über verschiedene Gemeinschaftsveranstaltungen auf dem Laufenden zu bleiben. Die Medien sind entsprechend für die Teilhabe an der Gemeinschaft wichtig. Ausserdem spielen die Messengerdienste eine zentrale Rolle bei der direkten Kommunikation mit Mitgliedern der Gemeinschaft. So berichten die Befragten, dass sie persönliche Informationen weitergeben, um andere Menschen wissen zu lassen, wer für sie beten kann oder um Fragen zu stellen oder Hilfe in komplizierten Situationen zu bekommen. Über solche Wege können junge Menschen sofort mit ihrer Gemeinschaft in Kontakt treten, ohne dass sie bis zum nächsten offline Ereignis warten müssen.
Die externe Kommunikation läuft meistens über soziale Medien. Die Befragten berichten, dass sie über Posts auf sozialen Medien versuchen, anderen ihr Engagement für ihre Religionsgemeinschaft zu vermitteln und zu zeigen, wie wichtig diese für ihr Leben ist. Sie posten Bilder von Veranstaltungen, an denen sie teilgenommen haben, oder stellen kirchliche Inhalte ein. Auch wenn dies nicht im Vordergrund steht, spielt der missionarische Aspekt beim Posten eine Rolle. Indem sie religiöse Inhalte oder Veranstaltungen posten, wollen die jungen Leute möglicherweise auch andere dazu bewegen, sich für ihren Glauben zu interessieren.

Pragmatisches Motiv: Ein Grund für die Nutzung der Bibel-App ist pragmatischer Art: Eine Bibel-App ist einfach, schnell und immer verfügbar. Jugendliche haben ihre Bibel scheinbar gerne immer zur Hand, sodass sie in jeder Situation Verse lesen oder Informationen suchen können. Außerdem hilft ihnen vor allem die Leseplanfunktion, ihre Bibellese zu strukturieren, da es manchmal schwierig ist zu entscheiden, was sie lesen sollen.

Fazit

Diese qualitative Studie gibt Aufschluss über die Bedeutung der Mediennutzung im religiösen Leben von Jugendlichen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass religiöse Medieninhalte eine wichtige Rolle im Leben von Jugendlichen spielen können. Es ist jedoch zu bedenken, dass die Bedeutung der Medien im Vergleich zu ihren Offline-Aktivitäten gering ist. Eine Gemeinschaft zu haben und die Kirche zu besuchen, scheint den Jugendlichen wichtiger zu sein als die Rezeption religiöser Inhalte im Internet. Die religiösen Medieninhalte werden eher als Unterstützung für den Glauben wahrgenommen. Außerdem sollte die Nutzung religiöser Medieninhalte im Zusammenhang mit der Nutzung anderer Medien betrachtet werden: Es ist nicht nur das Predigtvideo, das einem jungen Menschen hilft, ein Problem zu verstehen, sondern auch andere Inhalte, die das gleiche Problem betreffen, sowie die Kommunikation mit anderen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Wirkung eines einzelnen Videos oder Beitrags gering ist.


Die Erhebung fand im Rahmen des UFSP-Projekts 3 Digitale soziale Dynamiken von Spiritualität. Spiritualität und Religiosität im Kontext digitaler Kommunikation statt.

Abgelegt unter: Projektvorstellung
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