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Die digitale Fernbeichte als kirchenrechtlicher Case

21. September 2022 | Ramazan Özgü | Keine Kommentare |

Der vorliegende Beitrag setzt sich mit kirchenrechtlichen Gültigkeitsvoraussetzungen der digitalen Fernbeichte auseinander. Dieser soll u.a. einen Einblick in die Arbeit des UFSP-Projekts 10 gewähren, weshalb die juristische Falllösungstechnik eingesetzt wird. Dabei steht ein Sachverhalt mit rechtlich relevanten Fragestellungen im Vordergrund, der im juristischen Gutachtenstil gelöst werden soll. Dabei gehe ich auf den Streit um die Sakramentalität der Busse und auf die theologische Begründung der Vollmacht der Sündenvergebung o. Ä. nicht ein.

Fiktiver Sachverhalt

Der Beichtvater Timotheus ist seit einigen Jahren im röm.-kath. Dekanat der Stadt Zürich tätig. Er ist ein Bewunderer der digitalen Transformation und sieht im technischen Fortschritt, wie der Vatikan dies vor fast zwei Dekaden formulierte, ein Geschenk Gottes. Denn das Internet biete eine nie da gewesene Möglichkeit, das Evangelium zu verkünden. Aus diesem Grund pflegt er seine Social-Media-Accounts und erweitert sein Netzwerk.

Mitte 2019 schickt ihm der von Zürich nach Stockholm ausgewanderte Katholik Gianluca eine Nachricht über Twitter: Er sei von seiner Aufgeschlossenheit und von seinem Umgang mit religiösen Fragen sehr beeindruckt. Ferner schreibt er, dass er mit Timotheus im Gespräch bleiben möchte, um sich mit ihm „über Gott und Himmel“ auszutauschen. Er gibt zudem an, dass er in einer Zürcher röm.-kath. Kirche getauft worden sei. Timotheus zeigt sich über diese Anfrage sehr erfreut und schlägt vor, sich bei Gelegenheit über eine Videokonferenz zu unterhalten.

Da Timotheus und Gianluca sich gut verstehen, entwickelt sich ein intensiver Austausch zwischen ihnen. Sie vereinbaren einen fixen Wochentag und sprechen über diverse Themen. Ende 2019 möchte Gianluca von Timotheus erfahren, ob er seine Beichte via Zoom ablegen dürfe. Die Zoom-App geniesst seinerzeit noch keine öffentliche Aufmerksamkeit. Timotheus empfiehlt zunächst, eine katholische Kirche in seinem Umfeld zu besuchen. Dieser möchte jedoch unbedingt bei Timotheus beichten. Käme diese Beichte kirchenrechtlich betrachtet gültig zustande?

Lösung

Dem Sachverhalt liegt die Frage nach der kirchenrechtlichen Gültigkeit und Erlaubtheit der digitalen Fernbeichte zugrunde.

Rechtsgrundlage

Vorab gilt es zu klären, welche Rechtsordnung im vorgegebenen Fall zur Anwendung kommt. Timotheus und Gianluca unterliegen dem Rechtsregime der lateinischen Kirche (Ecclesia Latina), die das im Jahr 1983 in Kraft getretene Gesetzesbuch Codex Iuris Canonici (CIC/1983) anwendet.

Die katholische Kirche kennt zudem den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO/1990), der von ostkatholischen Kirchen in Gebrauch genommen wird. Das lateinische Kirchenrecht nennt sieben Sakramente, die im CIC/1983 ausführlich geregelt werden: die Taufe, die Firmung, die heiligste Eucharistie, die Beichte (auch Busssakrament genannt), die Krankensalbung, die Weihe und die Ehe. Dieses Gesetzbuch regelt in erster Linie die Gültigkeitsvoraussetzungen der Sakramente.

Allgemeine Voraussetzungen

Bei der Feier von Sakramenten haben die Beteiligten die höchste Ehrfurcht entgegenzubringen (Can. 840 CIC/1983). Die üblichen Vorbereitungshandlungen, wie z. B. die Gewissenserforschung mit Beichtspiegel dienen u. a. diesem Zweck. Für die digitale Beichte müssten die Beteiligten zusätzliche Vorkehrung treffen, die ihre digitale wie physische Umgebung gegen Ablenkungen schützt. Die meisten digitalen Geräte bieten inzwischen durch das Aktivieren einer Nicht-stören-Funktion die Möglichkeit, Anrufe, Hinweise und Mitteilungen stumm zu schalten. Jedoch ist mit der Auferlegung von allzu hohen Anforderungen Vorsicht geboten, denn auch der physische Beichtstuhl gewährleistet nicht in jedem Fall die volle Konzentration zum sakramentalen Gespräch. So musste Kurienkardinal Mauro Piacenza deutliche Worte gegen die Nutzung von Smartphones im Beichtstuhl verlieren, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Es gebe Beichtväter, die während der Beichte in den sozialen Medien chatten würden.1

Besondere Voraussetzungen

Mit der Beichte erlangen Pönitent:innen nicht nur die Vergebung Gottes, sondern versöhnen sich zugleich mit der Kirche, die sie „durch ihre Sünden verwundet haben“ (Art. 11 Lumen Gentium). Eine beachtliche Wortwahl ist in dieser Hinsicht im Katechismus der Katholischen Kirche vorhanden, wobei vom Bruch mit der brüderlichen Gemeinschaft die Rede ist (Art. 1469 KKK). Aus diesem Grund kommt der Kirche in der röm.-kath. Lehre des Busssakramentes eine tragende Bedeutung zu, was sich – aus kirchenrechtlicher Perspektive betrachtet – u.a. in den Regelungen der örtlichen Voraussetzungen manifestiert. So besagt can. 964 CIC/1983, dass die Beichte in einer Kapelle oder Kirche gültig entgegengenommen wird. Darüber hinaus schreibt diese Bestimmung vor, dass das Beichtgespräch entweder in einem Beichtstuhl oder unter Umständen in einem Beichtzimmer geführt wird. Eine ausserhalb der Kapelle oder Kirche empfangene Beichte könnte demnach den ekklesialen Aspekt des Busssakraments verletzen und gegen das geltende kanonische Recht verstossen. Damit ergibt sich die Frage, ob es in Ausnahmefällen zulässig ist, die Beichte an einem profanen Ort abzulegen. Dies ist unter der Voraussetzung zu bejahen, dass ein rechtfertigender Grund vorliegt. Ein klassisches Beispiel wäre in dieser Hinsicht der Massenandrang bei Wallfahrten.2

Bedenken ergeben sich allerdings hinsichtlich der Gültigkeit der Fernbeichte. Denn in diesem Fall fehlt die räumliche Nähe zwischen Pönitent:in und Beichtvater, was den verbalen und vor allem den nonverbalen Austausch trotz der zahlreichen Möglichkeiten der heutigen Kommunikationsmitteln erheblich beeinträchtigen kann. Eine erste Antwort auf diese Problematik liefert der Vatikan: Mit der Frage nach der Gültigkeit und Erlaubtheit der Fernbeichte in Form eines Telefonats setzte sich die Kongregation für die Glaubenslehre bereits in einer Note vom 25. November 1989 auseinander. Sie lehnt in Anlehnung an Moraltheolog:innen die Zulässigkeit der Telefonbeichte nicht kategorisch ab und lässt für extreme Notfälle Ausnahmeregelungen zu. Die Kongregation befürchtet jedoch, dass die Telefonbeichte die sogenannte Privatisierung der Beichte vorantreiben könnte.3

Damit ist zu klären, inwiefern und ob sich die Auffassung der Glaubenskongregation auf die digitale Fernbeichte via Zoom übertragen lässt. Im Grunde genommen gewähren die beiden Kommunikationsmittel, die herkömmliche Telefonie und digitale Videokonferenz, einen synchronen, also zeitgleichen, Austausch. Zusätzlich zur Tonübertragung bietet Zoom die Möglichkeit, das eigene Bild zu senden. Diese Funktion kann jedoch beliebig ein- und ausgeschaltet werden. Vielmehr lässt sich fragen, ob das Zoom-Setting die Einhaltung des Beichtgeheimnisses gewährleisten kann. Da digitale Netzwerke Ziel von Hackerangriffen sein können, bedarf diese Anforderung einer sorgfältigen Prüfung. Can. 983 CIC/1983 verbietet es dem Beichtvater, das Beichtgeheimnis „durch Worte oder auf irgendeine andere Weise und aus irgendeinem Grund irgendwie“ zu verletzen. Auch Dolmetscher:innen und alle anderen Personen, die freiwillig oder unfreiwillig vom Inhalt der Beichte Kenntnis genommen haben, sind dem Beichtgeheimnis verpflichtet. Wird dieses nicht eingehalten, sieht das lateinische Kirchenrecht im Extremfall sogar die Exkommunikation vor (Can 1387 f. CIC/1983). Kommen wir auf unser Beispiel zurück: Der Hackerangriff bildet zwar eine Gefahr für digitale Kommunikationsmittel, jedoch könnten auch analoge Telefonate und Gespräche im Beichtzimmer mit modernen Techniken abgehört werden. Die Gefahr eines Hackerangriffs kann deshalb per se nicht als ein ausschliessendes Argument gegen die digitale Fernbeichte via Zoom vorgebracht werden.4 Folglich kann die Antwort der Kongregation für die Glaubenslehre vom 25. November 1989 auch auf Zoom-Gespräche angewendet werden.

Abschliessend ist zu prüfen, ob im obigen Sachverhalt ein extremer Notfall im Sinne des genannten Dokumentes der Glaubenskongregation vorliegt. Die Fernbeichte soll demnach nur als eine Ultima Ratio zur Geltung kommen. Mit anderen Worten kann man von einem extremen Notfall nur dann ausgehen, wenn keine alternativen Lösungen mehr vorhanden sind. Im Sachverhalt insistiert Gianluca darauf, die Beichte bei Timotheus abzulegen, wobei er keinen triftigen Grund nennt. Es handelt sich lediglich um eine persönliche Präferenz, die keinen extremen Notfall darstellt. Gianluca hätte weiterhin die Möglichkeit am Wohnort die Beichte abzulegen. Mithin sind die Voraussetzungen eines extremen Notfalls nicht erfüllt.

Fazit

Das beabsichtigte Beichtgespräch zwischen Gianluca und Timotheus könnte zwar als vorbereitende Handlung zum Busssakrament dienen bzw. als geistliche Begleitung gelten, jedoch kann es die sakrale Beichte nicht ersetzen. Die im Sachverhalt beschriebene digitale Fernbeichte käme insofern nicht gültig zustande.


Blogbeitrag von Ramazan Özgü, UFSP-Projekt 10, Rechtsregeln und Regelungskonzeptionen für den Gebrauch von Informationstechnologie im Kirchen- und Staatskirchenrecht in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland


1 Kardinal: Handy in Beichte ist „praktischer Atheismus“. katholisch.de. https://www.katholisch.de/artikel/16755-kardinal-handy-in-beichte-ist-praktischer-atheismus

2 Rüdiger Althaus, c. 964, in: Henseler, R.; Lüdicke, K.; Katholische Kirche. Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici: unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz; Ludgerus-Verlag: Essen, 1985.

3 Archiv für katholisches Kirchenrecht, E. (1989). Note der Kongregation für die Glaubenslehre vom 25. November 1989 zur Gültigkeit und Erlaubtheit der Spendung des Bußsakramentes über Telefon. Archiv für Katholisches Kirchenrecht, 158(2), 484–484

4 vgl. Wilhelm Rees, Präsent oder digital?, in: Datterl, M. Digitalisierung – Religion – Gesellschaft, 1. Auflage.; Theologische Trends Band 31; University Press: Innsbruck, 2021.

Abgelegt unter: Projektvorstellung
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