Digital Religion(s): Der Blog

Digital Religions im Heiligen Land: Besuch in einem Benediktinerkloster in Abu Gosh

26. Mai 2023 | Jan Danko | Keine Kommentare |

Im Zeitraum vom 23.-27. April 2023 wurde ich als Gast in der Mönchsgemeinschaft im Benediktinischen Doppelkloster in Abu Gosh aufgenommen, und konnte mit den Mönchen zum Thema Digitalisierung in der Klosterorganisation sprechen. Auch mit Schwestern der Frauengemeinschaft ergaben sich Gespräche und vertiefte Interviews.  Ich habe an den Gebeten teilgenommen und war bei den Essen und Lesungen anwesend, um Beobachtungen zur Verwendung digitaler Medien in der Gemeinschaft zu machen. Nachfolgend eine kurze Synthese meiner Eindrücke.

Noch bevor ich im traditionsreichen Kloster im Heiligen Land ankomme, in einem arabischen Dorf unweit von Jerusalem, begegne ich der Abbaye Sainte-Marie de la Résurrection virtuell. Ich finde die Website der Benediktinergemeinschaft mit einigen historischen Angaben zur Geschichte des Pilgerortes. Online findet sich auch die Facebook-Seite des Konvents mit den Livestreams der Liturgie der Gemeinschaft. Über die Website finde ich auch die E-Mail-Kontaktdaten, die mir erlauben, mit dem für die Hotellerie verantwortlichen Mönch in Kontakt zu treten:  Im Zeitraum vom 23.-27. April werde ich als Gast im Benediktinerkloster aufgenommen. In den nächsten Tagen werde ich im „Kloster auf Zeit“ mit den Brüdern leben. Dies erlaubt mir nach meinen Aufenthalten in einem Schweizer und einem Österreichischen Benediktinerkloster einen Vergleich mit einem Kloster im Heiligen Land: Wie verwendet diese Gemeinschaft digitale Medien? Und wie ist die Verwendung verschieden von den untersuchten europäischen Kontexten? Was können wir daraus lernen?

Frontalaufnahme Benediktinerkloster in Abu Gosh
Das idyllische Benediktinerkloster in Abu Gosh blickt auf eine lange und bewegte Geschichte im Heiligen Land zurück – wie geht die Gemeinschaft an diesem besonderen Ort mit digitalen Medien um?

An der Pforte werde ich von einer Kamera und einer Gegensprechanlage empfangen. Dann trete ich in die grüne Oase ein. Nachdem ich mein Zimmer bezogen habe, werden mir als Erstes zwei Schlüssel übergeben: Ein gewöhnlicher – und selbstverständlich ein Wlan-Schlüssel. Schnell wird deutlich, dass digitale Medien im Kloster als wichtige Arbeitsmittel angesehen werden: Die Mönche verwenden Whatsapp, um sich bei der Arbeit im grossen Klostergelände zu finden. Die Pfortenglocke ist mit dem Handy eines Bruders verbunden. Selbstverständlich verwenden die Mönche – wie der Autor dieses Textes – zum Schreiben von Artikeln Word und führen die Recherchen online durch.

Anfangs will es mit den Interviews mit den Mönchen in der Gemeinschaft nicht so klappen. Am zweiten Tag in der Gemeinschaft scheint sich die Gemeinschaft aber etwas an mich gewöhnt zu haben, und allmählich sind die Brüder und Schwestern für ein Gespräch bereit. In der Digitalisierung werden selbstredend Chancen und auch Risiken im monastischen Kontext gesehen. Ich erinnere mich bei den Interviews an ein Gespräch mit einem erfahrenen Schweizer Mönch, welcher mir sagte, dass zwei Motoren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten drehen: die Benediktinische Tradition und die digitalisierte Umwelt.

Klostergemeinschaft beim Gebet in Benediktinerkloster in Abu Gosh
Fünf Mal am Tag treffen sich die Mönche und Nonnen im Benediktinischen Doppelkloster zum Gebet. An der Wand hinter uns ist eine moderne Kamera angebracht, die den Gottesdienst „livestreamt“. Bis auf das Mikrophon ist im Bild alles analog. So gut wie alle Mönche tragen in ihrem Habit aber ein Smartphone mit sich – für den Gebrauch zur Arbeit und in der Freizeit.

So ist das Ziel des Klosterlebens eine gewisse soziale Trennung und Askese;[1] was sich – auf den ersten Blick – als gegenteilig zur heutigen digitalisierten Welt zeigt. Längst sind nach Miller Smartphones für Menschen nicht bloss Geräte: „It’s become the place where we live. The flip side of that for human relationships is that any point, whether over a meal, a meeting or other shared activity, a person we’re with can just disappear, having ‘gone home’ to their smartphone.”[2] Dies zeigt die naheliegende Störung der klösterlichen Gemeinschaft durch die digitalen Medien. Ein Abt in einem österreichischen Kloster geht dahingehend so weit auszusagen: „Seit dem Smartphone ist die Klausur Geschichte.“ Mit der Klausur ist nicht weniger als der zentrale Rückzugsort gemeint, das Herz des Klosters.

Neben Ora geht es im Benediktinerkloster aber bekanntlich auch um Labora (und Lege). Für ihre weltlichen Aufgaben wie die Buchhaltung oder Kommunikation verwenden die Mönche im Kloster natürlich digitale Medien. Die Digitalisierung kann aber auch dem religiösen Auftrag förderlich sein: Neben den Livestreams zur Erreichung der Anhänger ist für einen Mönch das Internet unverzichtbar, um sich für seine geistlichen Artikel, die er veröffentlicht, zu informieren. Er muss so nicht mehr in die Bibliothek nach Jerusalem gehen. Oder ein anderer Mönch ist oft auf Youtube, um religiöse Gesänge zu hören. Die Chancen digitaler Medien werden von den Mitgliedern der Gemeinschaft insbesondere für die Bildung gesehen. Das Ziel sei, nach einer Oberin im Doppelkloster, nicht „information“, aber „formation“ – nicht Information, sondern Bildung.

Dahingehend scheint in den Gesprächen im Kloster ein gewisser Konsens durch, ein geteiltes Bewusstsein, dass die digitalen Medien zur Ablenkung beitragen können und der Gebrauch persönlich eingeschränkt werden sollte. Die Gemeinschaften „managen“ digitale Medien aber augenfällig verschieden. Interessant ist der Unterschied der zusammenlebenden Gemeinschaften von Mönchen und Nonnen. Obwohl die Lebensbedingungen und die Organisationsweise im Doppelkloster beinahe identisch sind – so teilen sich die Gemeinschaften auch dieselbe Ordensregel – und autonom geregelt werden können, ist das IT-Verhalten der Mönche um einiges ausgeprägter: In der Mönchsgemeinschaft besitzen alle ein Smartphone und dieses wird regelmässig benutzt, für die Arbeit aber auch in der Freizeit. In der Schwesterngemeinschaft dagegen ist die „IT-Literacy“ indes wenig ausgeprägt – eine Schwester beschreibt sich denn auch als „Einäugige unter Blinden“. In der ganzen Frauengemeinschaft brauchen sie zusammen regelmässig nur ein Smartphone; tagsüber kann das Internet  nur etwa eine halbe Stunde lang am Computer in der Bibliothek verwendet werden (diese Genderperspektive würde zu einem eigenen weiteren Artikel einladen).  Gleichzeitig wird unter den Mönchen und Nonnen oft auch eine gewisse Überforderung mit Digitalisierungsthemen deutlich.

Vier Nonnen auf dem Weg durch den Klostergarten in ihre Klausur
Die Nonnen nach dem Gottesdienst gemeinsam mit den Mönchen auf dem Weg in ihre Klausur. Alle Mönche im Doppelkloster verwenden ein Smartphone. Im Gegensatz zu den Mönchen verwenden die Nonnen für die gesamte Gemeinschaft regelmässig ein Smartphone. Der Gebrauch des Internets ist zeitlich und räumlich in der Bibliothek stark eingeschränkt.

Das Spannungsverhältnis ist offenkundig. Einerseits geht es im Kloster traditionell um soziale Trennung zur Aussenwelt, um „Weltflucht“ und „Weltentsagung“, wie Harnack schreibt.[3] Andererseits sind die Gemeinschaften in einen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen digitalisierten Kontext eingebunden und von diesem geprägt. Auch in meinen Gesprächen wird eine gewisse grundlegende Spannung zwischen den digitalen Medien und dem Mönchtum (soziale Trennung, Askese) ausgedrückt. Dies zeigt sich auch in Beobachtungen etwa daran, dass in Gebetszeiten und bei Tischlesungen keine Smartphones zu sehen sind, diese aber in der Freizeit oft gebraucht werden. Digitale Medien erscheinen grundsätzlich als legitim, wenn sie alltäglichen und religiösen Aufgaben dienen. Sie erscheinen indes als illegitim, wenn sie ablenken vom Kernauftrag der Gemeinschaft, also der Suche nach Gott in der Gemeinschaft. Damit bestätigen sich eigentlich die Befunde aus den Besuchen in Schweizer und Österreicher Benediktinergemeinschaften. In all diesen sozialen Kontexten findet sich das zugrundeliegende Spannungsverhältnis von mit-der-Zeit-Gehen und Traditionalität, vom in-Kontakt-Treten mit der Umwelt und Askese.

Spannend ist indes der Unterschied zwischen den untersuchten europäischen Kontexten in der Online-Selbstdarstellung als Mönche. So finden wir im Benediktinerkloster im Heiligen Land zwar auch eine Webseite und einen Social Media-Auftritt und man erreicht die Mönche per Handy auf Whatsapp. Die Verwendung des Smartphones scheint für viele Brüder eine triviale Selbstverständlichkeit darzustellen: Sie verwenden die Smartphones, um auf die Uhr zu schauen, um Mitarbeitende im Klosterladen zu kontaktieren oder die Pforte zu bedienen. Auf der Webseite oder auf der Facebook-Page sucht man Spuren der Digitalisierung aber vergebens. Die Website unterstreicht insbesondere die Geschichtsträchtigkeit des Pilgerortes. Der Ursprung des Klosters mit einer 800-jährigen Geschichte wird gewissermassen in die biblische Zeit zurückversetzt: „Its history is marked by the presence of the Ark of the Covenant during the time of King David (1 Kings). In this place, Christian memory of the Holy Land placed the “road to Emmaus” that led the two discouraged disciples to their encounter with the risen Lord (Luke 24).“ Auf der Webseite als öffentliches „Aushängeschild“ der Gemeinschaft wird die monastische Lebensweise der Mönche und deren Tradition hervorgehoben: Everybody knows that roots have to be respected so there can be growth: Saint Benedict with his day to day humility, Father Emmanuel of Mesnil-Saint-Loup with his hope of conversion, Saint Bernard Tolomei with his taste for fraternal life, and Saint Frances of Rome with her sense of the Church.

Und auch auf der Facebook-Seite finden sich keine Manifestationen des Gebrauchs digitaler Medien. Auf der Empfangsseite der Kloster-Webseite steht unterstreichend sogar: „When you explore this site, may the virtual not dominate over the real…“

Mönch bei Klosterpforte mit Tablet und Männer mit Hund im Gespräch
Ein Mönch im Heiligen Land mit einem Tablet. Der Mönch betreut die Klosterpforte und braucht zum „Zeitvertrieb“ die digitalen Medien insbesondere für religiöse Inhalte: für religiöse Gesänge auf Youtube, aber auch zur Kontaktpflege mit seiner Familie.

Dies ist neben der Beobachtung, dass die Mönche in Ihrem Alltag digitale Medien rege brauchen, auch insofern interessant, als dass durch digitale Medien ein Bild vermittelt wird, das die Abwesenheit digitaler Medien im Kloster suggeriert. Meine Vermutung ist, dass diese Unsichtbarkeit von Digitalisierung online dem Kontext des traditionsreichen Pilger-Ortes geschuldet ist, wo sich die Klostergemeinschaft über eine traditionelle Mönchgemeinschaft mit einem klassischen Mönchsbild identifiziert, respektive identifizieren muss. Diese Beobachtung zeigt sich bei der Analyse des Online-Auftrittes: Die Website vermittelt ein eher traditionelles Mönchsbild. Auf dem Facebook-Kanal werden ausschliesslich religiöse Inhalte wie zum Beispiel Gottesdienste geteilt. Somit wird gewissermassen Authentizität des Klosterlebens performiert. Dies dürfte gerade in Zeiten unserer „postindustriellen High-Tech-Frivolität“, wie der Soziologie Grazian dies nennt, für die Gemeinschaft Wichtigkeit haben.[4]

Dabei gäbe es nach Aussage des Abts sogar bezüglich Online-Auftritt mehr Spielraum, da die soziale Kontrolle durch die Einbettung mit anderen Gemeinschaften weniger ausgeprägt sei. Als isolierte Pilgerstätte im Heiligen Land in der israelisch-arabischen Gesellschaft sei die digitale Kommunikation aber delikater – die Abweichung von einem „authentischen“ Bild der Mönchsgemeinschaft ist folgenreicher, wie sich in der Vergangenheit bereits gezeigt habe. Als der für das Facebook-Profil zuständige Bruder einmal eine Fotografie der Mönche bei einer Freizeitaktivität hochgeladen hat, kam es zu einem kleinen „Shitstorm“. Die Gemeinschaft hat das Foto entfernt und setzt seit dann auf die Vermittlung eines strikteren Bildes. Im Kontext dieser Pilgerstätte im Heiligen Land ist die eigene Darstellung also eingeschränkter, durch die eindeutigeren Erwartungen von aussen, durch die Anspruchsgruppen der Klostergemeinschaft. Dies im Vergleich zu den anderen untersuchten Benediktinerklöstern in der Schweiz oder in Österreich, die ihr Risiko gewissermassen diversifizieren mit ihren Schulen und Betrieben und somit weniger stereotypen Erwartungen unterworfen sind. Nach aussen präsentiert das Kloster also ein „authentisches“ Klosterleben und passt sich damit dem aus dem Kontext vorgegebenen Standard an. Das Social Media-Profil ist aber „natürlich“ nicht die Realität des Klosterlebens. Dies kann im Kontrast zum Schweizer Kontext gesehen werden. Hier hebt sich die Benediktinergemeinschaft etwa als topmoderner Tagungsort oder in den Sozialen Medien mit ihrer digitalen Fortschrittlichkeit hervor: Der untersuchte Schweizer Klosterkontext hat etwa mehrere Apps entwickelt und ist aktiv auf Facebook und Instagram. Mitunter wird im untersuchten Schweizer Klosterkontext das Bild eines modernen Mönches gezeichnet, welcher nicht aus der Zeit gefallen ist.[5] Ein Mönch aus einem Benediktinerkloster in der Schweiz, welcher ein engagiertes Auftreten in den digitalen Medien und in Whatsapp nutzt, wird etwa in einem Online-Artikel beschrieben als „ein Prototyp eines modernen Mönchs“.

lachender Mönch mit Smartphone in der Hand vor grosser digitaler Wandtafel

Rückschau und Vergleich: Ein moderner Mönch im Schweizer Kontext – vor einer digitalen Wandtafel mit einem QR-Code, welcher gescannt wird mit einem Smartphone. Am Handgelenk eine Smartwatch.


Das kann auch im Kontext von Forschungsarbeiten gesehen werden, welche die „Coolness“ von Geistlichen untersucht. Geistliche Autoritätspersonen haben etwa mit der Spannung zwischen Nahbarkeit und Charisma umzugehen.[6] Üblicherweise wird Coolness an anderen Orten vermutet als in Klöstern. Einige Mönche im europäischen Kontext präsentieren sich online aber als was man als cool bezeichnen könnte: mit coolen Gadgets und coolen (Freizeit-)Aktivitäten.Gleichzeitig besteht bei den meisten Mönchen eine gewisse Ambivalenz. Durch die „coole“ Selbstdarstellung online sind die Mönche auf der einen Seite nahbarerer und attraktiver für das säkulare moderne Publikum, gerade für jüngere „Digital Natives“ und auch potenziellen Nachwuchs. Auf der anderen Seite werden digitale Medien auch von diesem Mönchstypus als potenzielle Ablenkung vom klösterlichen Leben angesehen.

Es kann so in der digitalen Gesellschaft die Entstehung einer neuen, digitalen Persona des Mönchs beobachtet werden. Damit wird eigentlich die traditionelle monastische Persona – das Bild eines ernsten und abgeschiedenen Mönches – reformiert. Das „neue“ Mönchsbild ist „connected“ mit der öffentlichen Gemeinschaft und der digitalen Gesellschaft – und erhält so ein „Update“ in die heutige Zeit. Gleichzeitig werden durch die Online-Profile die monastische Lebensweise zugänglich und erlebbar gemacht. Durch diese gelebte Transgression des stereotypen, klassischen Mönchbildes könnte sich ein neues Mönchsideal entwickeln, welches den asketischen[7] und zeitgemässen Umgang mit digitalen Medien vorzeigt. Wie wird sich dieses Bild entwickeln und ausdifferenzieren und legitimieren? Aus dem Kloster gehe ich wieder mit einem vollen (digitalen) Notizblock.


Blogbeitrag von Jan Danko, UFSP-Projekt 4 Die Corporate Governance religiöser Organisationen in einer digitalen Gesellschaft


[1] Laboa J. (2007). Atlas des Mönchtums. Hamburg: Nikol.

[2] https://www.ucl.ac.uk/news/2021/may/smartphones-have-led-death-proximity

[3] Harnack, A. (1907). Das Mönchtum: Seine Ideale und seine Geschichte, Berlin: De Gruyter.

[4] David Grazian. „Demystifying Authenticity in the Sociology of Culture“ New York Handbook of Cultural Sociology (2010)  Available at: http://works.bepress.com/david_grazian/12/

[5] Es ist wichtig zu erwähnen, dass es sich bei den untersuchten Gemeinschaften um Benediktinerklöster handelt, in der Schweiz, in Österreich und im Heiligen Land. Dies erlaubt eine gewisse Vergleichbarkeit. Andererseits lassen sich die Befunde nicht ohne Weiteres auf die überaus vielseitige Klosterlandschaft mit ihren diversen Ordenstraditionen übertragen. Siehe Laboa, J. (2007). Atlas des Mönchtums. Hamburg: Nikol.

[6] Oren Golan & Michele Martini (2020) The Making of contemporary papacy: manufactured charisma and Instagram, Information, Communication & Society, 23:9, 1368-1385

[7] Anm.: «Askese»: enthaltsame und entsagende Lebensweise [zur Verwirklichung religiöser Ideale]

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