Science-Fiction II

Science-Fiction II

ALFRED DÖBLIN: BERGE MEERE UND GIGANTEN
von Medea Schneider

Der nachfolgende Blogbeitrag beschäftigt sich mit Ausschnitten von Alfred Döblins 1924 erschienen Roman Berge Meere und Giganten. Der Roman ist in insgesamt neun Bücher aufgeteilt. In diesem Blogbeitrag liegt der Fokus vor allem auf dem siebten Buch und dem Anfang des achten Buches. 

Science-Fiction 

Der Roman bedient sich eines bestimmten erzählerischen Musters, welches in der Science-Fiction sehr gängig ist. So wird in diesem Roman zum Ende ein grosser Teil der Menschheit ausgelöscht, ein kleiner Teil der Menschen jedoch überlebt und gründet anschliessend neue Kolonien. Wenn über die Gattung des Romans nachgedacht wird, so drängt sich, bedingt durch die grosse sprachliche Wucht und auch den Aufbau des Werks, eine weitere Bezeichnung auf: nämlich das Epos. 

Monstrosität 

Der Roman Berge Meere und Giganten entwickelt eine ungeheure sprachliche Wucht. So gibt es viele Aufzählungen und Reihungen, welche ohne Kommatas dem Leser präsentiert werden. Als gutes Beispiel kann hier der oben angegebene Titel des Werks fungieren. Der Text widerspiegelt somit auch seinen Inhalt. So beschreibt der Text inhaltlich unterschiedliche Arten von Monstern (einer Art Urzeitwesen), welche sich aus diversen bekannten, tierischen Körperteilen zusammensetzen. Auf der Satzebene wird dies gewissermassen durch die oben beschriebene Aneinanderreihung von Begriffen ohne Komma aufgenommen. Aber auch alles, was an Naturbeschreibungen vorkommt, wird in das Textverfahren integriert. Entsprechend wird im Text das Geschwader aus Schiffen (hier ist auch Doppeldeutigkeit des Begriffs zu beachten – «Geschwader» als Schiffsgeschwader und zugleich gewisser Anklang eines Insektenschwarms) als eine Art von Hybriden zwischen Lebendigem und Maschine beschrieben. Die Schiffe werden personifiziert. Gleichzeitig spielt der Roman aber auch immer mit Gegensätzen z.B. Natur – Technik, heiss – kalt etc. Das Werk ist zudem recht umfangreich und wirkt entsprechend selbst wie einer der, im Titel genannten, «Giganten». Ebenfalls ist der Roman aus verschiedenen Büchern zusammengesetzt, was sich inhaltlich in den Monstern widerspiegelt, welche ja auch aus verschiedenen Teilen unterschiedlicher Tiere zusammengesetzt sind. 

Flucht in die Wüste 

Mehrheitlich spielt sich die Handlung des siebten Buches vor dem Hintergrund Grönlands ab. Jedoch gibt es im siebten Buch eine Passage, in der die Handlung in die syrische Wüste verlegt wird. Hierbei wird Holyhead, ein Londoner Ingenieur, von Djedaida aus Rache in die Wüste entführt. Dort wird er erst gefangen gehalten und gefoltert, aber schliesslich doch von Djedaida freigelassen. Hier findet somit eine Digression statt. Diese Passage widerstrebt der linearen Anlage des Romans. Es findet ein geografisches und geschichtliches Abdriften statt. Ebenfalls ist dieser Teil des Textes in einem wesentlich stärker dramatisch anmutenden Modus gestaltet (mit viel direkte Rede) als der Rest von Buch sieben. Spielt der Hauptstrang der Geschichte hier auf dem Meer, so wird dieser Raum gegen einen anderen prototypischen glatten Raum, nämlich die Wüste, eingetauscht (siehe hierzu auch Das Glatte und das Gekerbte von Deleuze und Guattari). Die beiden Räume sind somit miteinander austauschbar, da sie, obwohl sie z.B. klimatisch gegensätzlich sind, in vielen Punkten dennoch Eigenschaften miteinander teilen. So heisst es bezeichnenderweise an einer Stelle in diesem Abschnitt des Romans in Bezug auf das Meer: «Es war die Wüste, eine andere Wüste.» (Döblin, S. 422). Die Bewegung vom grönländischen Meer weg hin zur syrischen Wüste wirkt beinahe wie eine Flucht vor den zerstörerischen Auswirkungen menschlichen Fortschrittstrebens. Von der einen Peripherie (von Europa hergedacht) in eine andere. 

Aktualisierung 

Ebenfalls bezeichnend für Alfred Döblins Werk ist die Tatsache, dass es seit seiner Veröffentlichung immer wieder auf aktuelle politische und gesellschaftliche Themen bezogen wurde. So drängen sich beim Lesen des Romans Bezüge zu Klimawandel und Ökologie auf. Besonders ist hierbei, dass das Urbarmachen von Grönland als geeigneter neuer Siedlungsort durch das Auftauen des grönländischen Eises durch die Menschen (mit Hilfe der Technik) in die Wege geleitet und durchgeführt wird. Es findet hier eine Art geografische Verschiebung, eine Umkodierung Grönlands statt. Aus einer eigentlich kalten Erdregion wird eine warme, beinahe tropisch anmutende, Gegend. Auch heute wird das gegenwärtige geologische Zeitalter von Wissenschaftler*innen gerne als Anthropozän (also das Zeitalter der Erde in dem der Mensch der wichtigste Einflussfaktor auf biologische und geologische Prozesse geworden ist) bezeichnet. 

Ähnlichkeiten und Bezüge zu anderen Texten rund um die Polargebiete  

Beachtenswert sind zudem die Bezüge, welche zu bereits behandelten Texten rund um die Polargebiete gezogen werden können. So ist z.B. bereits in Georg Heyms Text Das Tagebuch Shakletons die Idee von Urzeitmonstern, welche irgendwie in den Polgebieten wieder zum Leben entstehen könnten, angelegt. Allerdings erst hier bei Döblin werden diese nun wirklich lebendig und hören auf, eine blosse Idee zu sein. Wenn die Rede von Monstern ist, drängt sich zudem eine gewisse Parallele zu Mary Shelleys Frankenstein auf. Auch in diesem Roman fungiert das Eis, wie in Jule Vernes Die Eissphinx, als konservierendes Medium (siehe hierzu auch den Blogpost E. A. Poe und Jules Verne von Celine Bundi). Bei Döblin ist es jedoch kein Mensch mit einer Nachricht, welche durch das Eis konserviert wird, sondern eben jene Urzeitmonster. Das Eis ist also dazu in der Lage längst vergangene Zeiten in sich zu bewahren. Es fungiert als eine Art erdzeitliches Gedächtnis. Die Dimension der Zeit kollabiert am Pol. Denn wir befinden uns literarisch ca. im Jahr 2700 nach Christus, gleichzeitig werden urzeitliche Wesen aus dem Eis wieder lebendig und der Roman bietet, wie oben gesehen, diverse Ansatzpunkte für aktuelle Bezüge. An dieser Stelle sollte jedoch noch erwähnt werden, dass der Begriff «Urzeitwesen» bei Döblin verschiedenartige Dinge bezeichnet. Zum einen bezieht er sich konkret auf die aus dem Eis wiedererstehenden Monster im Roman, jedoch bezeichnet er auch chemische Elemente wie z.B. Wasserstoff etc. als Urzeitwesen. Ein weiteres Themenfeld, welches uns bereits aus Stefan Zweigs Text Der Kampf um den Südpol bekannt ist, zeigt sich in einer immer wiederkehrenden Kriegssemantik. Hierbei tritt der Mensch, oder die Menschheit, einen Kampf gegen die Natur an. Abschliessend spielt auch hier, wie in vielen zuvor behandelten Texten, der Kolonialismus eine grosse Rolle. 

Literatur:

  • Deleuze, Gilles u. Guattari, Félix: Das Glatte und das Gekerbte. In: Günther Rösch (Hg.): Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus. Berlin 1992, S. 657–693.
  • Döblin, Alfred: Berge Meere und Giganten. Mit einem Nachwort von Gabriele Sander. Frank-furt am Main 2013.
  • Heym, Georg: Das Tagebuch Shakletons. In: Karl Ludwig Schneider (Hg.): Dichtungen und Schriften. Band 2: Prosa und Dramen. München 1962, S. 124–143.
  • Shelley, Mary: Frankenstein or The Modern Prometheus. London 1818.
  • Verne, Jules: Die Eissphinx. Zürich 1985.
  • Zweig, Stefan: Der Kampf um den Südpol. In: Martina Wörgötter u. Werner Michler (Hgg.): Sternstunden der Menschheit. Historische Miniaturen. Wien 2017 (= Salzburger Ausgabe, Bd. 1), S. 62–82.

Ergänzend: Thesenpapier von Xenia Bojarski

Titelbild: U.S. Coast Guard. 1971. Rinks Glacier: From the Glacier Photograph Collection. Boulder, Colorado USA: National Snow and Ice Data Center. Digital media.