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Festrede zum 75. Gründungsjubiläum der Freien Universität Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren
Liebes Geburtstagskind

«Ich bin ein Schweizer»! Ergo werden sie mein Oberalemannisch in dieser Rede ertragen müssen und ich hoffe, dass Sie dennoch ungefähr die Hälfte vom Inhalt mitbekommen werden. In Anlehnung an viel prominentere Vorredner an der FU Berlin überbringe ich Ihnen zum 75. Geburtstag die besten Geburtstagsglückwünsche aus der Schweiz. Ich freue mich, heute mit Ihnen feiern zu dürfen!

Die Universität Parma wurde als älteste Universität im Jahr 982 gegründet und ist somit 1'041 Jahre alt. Im Vergleich dazu sind sowohl die FU Berlin wie auch die Uni Zürich noch Teenager. Weil aber hinreichend bekannt ist, dass die Feste der jüngeren Generationen viel krasser und chilliger gefeiert werden, habe ich die Einladung des Präsidenten ohne Zögern angenommen. Ob Jüngere auch besser reden können, wird sich zeigen. Ich werde mir alle Mühe geben! Auf jeden Fall danke ich Ihnen, dass Sie mich heute frei und offen sprechen lassen; ich werde dies ausnützen1.

Doch kommen wir zum Wesentlichen! Die Uni Zürich ist der Freien Universität Berlin nicht nur in persönlicher Freundschaft, sondern auch institutionell über eine strategische Partnerschaft verbunden. Es ist die älteste strategische Partnerschaft der Uni Zürich. Dass die über 40 gemeinsamen Projekte mit der FU Berlin so stark von geistes- und sozialwissenschaftlichen Themen geprägt sind, liegt wohl an jahrzehntelanger Leitung der Uni Zürich von Theologen und Geisteswissenschaftern.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Einschub als Übersetzungshilfe: Eine Wissenschafterin in der Schweiz entspricht einer Wissenschaftlerin in Berlin. Als Naturwissenschafter bin ich jedenfalls der Ansicht, dass unsere Partnerschaft Luft nach oben hat, was ihre Fächerdiversität betrifft! Insbesondere da auch an der FU Berlin erstmals ein mathematisch begabter Wissenschaftler am Ruder ist.

Sie werden es mir nachsehen, meine Damen und Herren, dass nicht alles, was ich sage, bierernst gemeint ist. Schon gar nicht bei einem Präsidenten aus Bayern. Und schliesslich hat Humor auch im akademischen Umfeld seine Berechtigung. Peter Sloterdijk hat in seiner Kritik der zynischen Vernunft geschrieben, dass die erste fröhliche Wissenschaft die satirische Intelligenz sei. Wahrheit ermittle man, indem man die Sache gründlich lächerlich mache und nachher schaue, wieviel Spass sie vertrage, denn: «Was keine Satire verträgt, ist falsch». Da die FU Berlin die grossartigste Universität ist, die ich kenne, gehe ich davon aus, dass sie einiges an Satire aushalten wird!

Protokollarisch muss ich bereits hier eine kleine Abweichung einbauen. Lieber Christoph Schneider2: Wenn mich die Humboldt Universität zu Berlin auch endlich einmal zu einem Fest einladen würde, würde ich auch dort von der grossartigsten Universität sprechen. Nur schon damit die Kirche im Dorf beziehungsweise in Berlin bleibt. Wir haben ja mit beiden Berliner Unis strategische Partnerschaften ... Doch zurück zur Satire.

Ironie, Humor und Witz sind dem freien Denken sehr zuträglich. Und freies Denken ist der Grundstein jeder akademischen Institution. Dies gilt in besonderem Masse für die FU Berlin, die – gegründet dank mutiger Initiative freiheitlich denkender Menschen – die Freiheit als ihren «Gründungsimpuls» versteht. Als Schweizer hege ich dafür viel Sympathie. Freiheit hat in der Schweiz eine besondere Bedeutung – dies dürfte inzwischen in der ganzen EU und insbesondere auch bei der EU-Kommission – bekannt sein.

Wir hegen eine tief verwurzelte Abneigung gegen alles, was nach Obrigkeit oder unbotmässiger Einmischung riecht. Darum ist der Verschleiss an ChefunterhändlerInnen mit der EU bei uns so gross – aber ich sollte wohl besser beim Thema bleiben.

So betont die Uni Zürich, dass sie im 19. Jahrhundert die erste Universität Europas ist, welche nicht durch die Kirche oder einen König, sondern durch den Willen des Volkes gegründet wurde. Mit anderen Worten: durch ein demokratisches, freiheitlich verfasstes Staatswesen also. Autonome Universitäten sind das höchste Gut der Wissenschaft und die FU Berlin ist auch nach 75 Jahren ein Vorbild, diese Autonomie einzufordern und mit exzellenter Leadership zu begegnen.

Daraus lässt sich wohl auch das ausgeprägte Bewusstsein gesellschaftlicher Verantwortung erklären, das unsere Institutionen kennzeichnet. Wir fühlen uns nicht nur der Wissenschaft, sondern der ganzen Gesellschaft verpflichtet. Wir sind bestrebt, richtungsweisende Beiträge zur positiven Weiterentwicklung der Gesellschaft als Ganzes zu leisten.

Wir haben aber auch die Pflicht, mit Forschung und Lehre zur Lösung drängender Probleme beizutragen. Daraus resultiert in neuerer Zeit allerdings ein regelrechter «Erwartungsdruck», der auf Universitäten weltweit lastet und stetig zunimmt: In dem Masse, wie die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Herausforderungen steigen, steigt auch das öffentliche Interesse an unmittelbaren, messbaren Ergebnissen der Wissenschaft.

Gefürchige Wortschöpfungen wie «directional research», welche implizit davon ausgehen, dass der Wert von angewandter Forschung bezifferbar und planbar ist, stehen im krassen Gegensatz zur wertfreien Grundlagenforschung, welche die Vielfalt an Forschungsthemen, Kreativität und Innovationsgeist fördern. Diese Werte werden an unseren beiden Universitäten sehr hochgehalten. Wir sollten hier zusammen eine Armbrust spannen, so wie der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell im Werk des deutschen Schriftstellers Friedrich von Schiller. Dies, um der Wissenschaft auch in Zukunft genügend Handlungsspielraum zu erhalten und ein gemeinsames Ziel vor Augen zu haben. Universitäten müssen Orte sein, wo Grundlagenforschung im Vordergrund steht, aber auch revolutionäre Gedanken frei geäussert, und kritisch hinterfragt werden dürfen. Die FU Berlin hat dabei eine wegweisende Rolle eingenommen!

Dies bringt mich zu zwei Identifikationsfiguren unserer Universitäten, nämlich John F. Kennedy auf Seiten der FU Berlin und Sir Winston Churchill an der Uni Zürich. Sowohl Kennedy wie auch Churchill haben den inhaltlich relevanteren Teil ihrer Reden jeweils an unseren Universitäten gehalten und den publikumswirksamen Teil an eine grosse Öffentlichkeit gerichtet. Beide haben uns sowohl einen Auftrag wie auch eine Verpflichtung mitgegeben. Kennedy sah den Auftrag der Universitäten im Hervorbringen von Weltbürgern im Dienst der Freiheit, Churchill in der Förderung der europäischen Integration. Die Aussagen beider Staatsmänner - «Ich bin ein Berliner» und «Let Europe Arise» - haben weit über das universitäre Setting hinaus Wirkung entfaltet. Dank freier Rede und freiem Denken, welche durch autonome Universitäten garantiert werden, entstehen Grundlagen, die gesamtgesellschaftliche Innovation bilden und unsere Zukunft nachhaltig gestalten.

Als Wissenschaftler – pardon: Wissenschafter – wie auch als Rektor erachte ich es darum als grosses Glück, mit einer Institution wie der FU Berlin verbunden zu sein. Ich bin überzeugt, dass unsere strategische Partnerschaft die Wahrung von Autonomie und wissenschaftlicher Freiheit von Universitäten stärkt und voranbringt!

An dieser Stelle sei der FU Berlin nochmals herzlich gedankt für ihre Unterstützung unseres Beitritts zum europäischen Netzwerk UNA EUROPA. Wir könnten uns dafür keinen besseren «Buddy» wünschen – auf Oberallemannisch würde man wohl eher «Götti» oder «Gotte» sagen, was auf Deutsch so viel wie «Patenonkel» oder «Patentante» heisst.

Mein letzter Punkt bringt mich zum Thema Leadership. Integrität, Ethik und Empathie sind für Präsidien von Universitäten matchentscheidend. Sie stellen die Handelsware für universitäre Autonomie dar. Anders gesagt: Wenn wir den Handlungsspielraum der Universitäten überstrapazieren, werden wir zunehmende staatliche Regulation in Kauf nehmen müssen und handeln uns mehr Kontrolle und Einschränkungen ein. Zunehmende staatliche ad-hoc Interventionen und Unterfinanzierung sind europaweit bereits zu beobachten. Grössere Autonomie erfordert qualifiziertere Führung und die Uni Zürich ist froh, dass sie sich bei der FU Berlin davon die eine oder andere Scheibe abschneiden kann.

Als Beispiel dazu erwähne ich unseren gemeinsamen Peer Austausch – Peer schreibt man mit P und nicht mit B! Günther Ziegler und ich haben uns begeistert über «Breakfast with Michael» an der Uni Zürich und «Kaffee mit P» an der FU Berlin unterhalten. Führung von unten, indem wir beliebige Angehörige der Universität zum Kaffee treffen, ist ein spannendes Instrument einer kooperativ geführten Universität. Sie stösst aber auch an Grenzen.

Nach einem Jahr «Breakfast with Michael» hat mir eine Teilnehmerin berichtet, dass ihr Zimmergenosse sie einmal gefragt habe: «Wer ist denn eigentlich dieser Michael?» Auf der Seite der FU Berlin weiss man, dass man Kaffee nicht mit P schreibt. Das hat sogar ChatGPT erkannt. Aber ich bin sicher, lieber Günter, dass man auch an der FU Berlin ab und zu rätselt, wer oder was denn «P» sei. Ich hätte das gerne geklärt und hatte mich schon auf der Website für den «Kaffee mit P» angemeldet. Denn neben dem ominösen «P» wollte ich den Präsidenten schon immer einmal fragen, ob die Erfindung des Minus-Zeichen in der Mathematik negative Effekte in seiner Tätigkeit hervorgebracht habe. An der Uni Zürich wird das Minus-Zeichen meist ignoriert, insbesondere wenn unsere Professorinnen und Professoren das Budget wieder einmal überziehen.

Doch zurück zum Anlass des heutigen Festtages: Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass meine Redezeit von 15 Minuten praktisch um ist und ich möchte mich als Schweizer nicht blamieren, indem ich unpünktlich bin!

Die FU Berlin hat in den vergangenen Jahrzehnten bemerkenswerte Beiträge zu verschiedensten Bereichen der Wissenschaft und der Internationalisierung geleistet und dabei immer wieder gezeigt, dass die Freiheit des Denkens nicht nur ein abstraktes Ideal ist, sondern dass sie in die Praxis umgesetzt und gelebt werden kann. Die FU Berlin ist damit für alle Universitäten weltweit ein Vorbild. Dafür gebührt ihr Anerkennung und grosser Dank – zusammen mit den allerbesten Wünschen für die nächsten 750 Jahre.

Wie an Geburtstagen üblich, möchte ich der FU Berlin im Namen der Uni Zürich nun noch ein standesgemässes Geschenk überreichen. Dank kultureller Eigenheiten wird ja die Zeit der Geschenkübergabe nicht zur zugestandenen Redezeit gerechnet, was es mir sodann erlaubt, die 15 min Redezeit fast beliebig zu überschreiten.

Wir Schweizerinnen und Schweizer sind uns ja gewohnt, Geschenke bei der Übergabe entgegenzunehmen und eben nicht direkt zu öffnen. Das hat den Vorteil, dass wir allfällige Enttäuschungen mit einem nachgereichten Dankesschreiben überbrücken können. Es kann uns in der zurückhaltenden Schweiz nichts Schlimmeres passieren, als wenn wir spontane Freude über ein Geschenk äussern müssten, welches uns auch wirklich gefällt!

Unsere 7-köpfige Universitätsleitung hat sich leider vergebens bemüht, sich auf ein einziges Geschenk zu einigen und wir haben uns darum nach 4 Stunden in einem basisdemokratischen Findungsprozess mit ausgiebiger Referendums- und Einsprachemöglichkeiten darauf geeinigt, der FU Berlin 75 verschiedene Geschenke zu überreichen.
Aber wenn Sie sich jetzt sorgen, dass der gesamte Wert der Geschenke aus der Schweiz den Haushalt der FU Berlin oder sogar denjenigen von Berlin aus den Angeln heben wird, kann ich Ihnen versichern: das ist womöglich nicht der Fall!

Aber sie verstehen sicher, dass man sich da als Schweizer sehr schnell in die Nesseln setzen kann und entsprechende Vorsicht walten lassen muss – wir haben die Kontrolle über unsere Preisentwicklung in der Schweiz tatsächlich verloren. Die meisten von ihnen erkennen dies spätestens nach den letzten Ferien in der Schweiz wieder, insbesondere beim Blick ins leere Portemonnaie.

Meine juristische Beraterflut hat mir darum auch vorab kollektiv bestätigt, dass ein 75. Geburtstag ein berechtigter Grund einer Abweichung des Berliners Merkblatt zur [ich zitiere:] «Ausnahme vom Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen» darstellt. In der Schweiz haben wir für solche Fälle übrigens den Diminutivaffix erfunden und können so jedes Substantiv verkleinern. So wird aus «Geschenk» einfach «Gschänk-LI» und – schwupp – wir brauchen keine mehrseitigen EU-Bubble- Regularien mehr und alle Geschenke sind damit automatisch klein. Sie dürfen also die Geschenke annehmen. Wie das Präsidium der FU Berlin die Annahme der 75 Geschenke dann steuerlich abwickeln wird, kann ich hier nicht weiter erläutern, aber wir sind ja unter uns.

Ich freue mich nun darauf, alle 75 Geschenke mit Bezug zur Schweiz persönlich und einzeln vorstellen zu dürfen. Ich beginne mit einem «Schöggeli», einem «Chugi», ... – und bemerke eben, dass ich die Zeit über die Masse beanspruche. Ich denke, es ist besser, wenn ich das Wort und die Geschenke in corpore direkt an den Präsidenten Günther Ziegler übergebe.
Mit der so eingesparten Zeit lassen sie mich doch bitte noch «one more thing» sagen: Sie sind alle herzlich nach Zürich eingeladen. Unser nächster runder Geburtstag findet im Jahr 2033 statt – dann feiern wir das 200-jährige Jubiläum. Ich hoffe, sie dann alle persönlich an der Uni Zürich begrüssen zu dürfen. Bis dahin habe ich aber eine Bitte: es heisst Zürichsee und nicht Zürichersee3. So können Sie immerhin damit prahlen, dass Sie beim 75. Geburtstag der FU Berlin etwas über die Schweiz gelernt haben! Und hoffentlich mehr als die Hälfte dieser Rede verstanden haben.

Lieber Günter: alles Gute zum Geburtstag der FU Berlin und Dir persönlich nachträglich alles Gute zu Deinem 60. Geburtstag!

1 Ziel wäre es gewesen 75 oberallemannische Ausdrucksformen in der Rede unterzubringen. Es sind fast so viele geworden.

2 Als Vertreter der HU Berlin und sorgfältiger Abklärung ob die Rektorin nicht doch anwesend sei.

3 Natürlich handelt es sich hier um die falsche und richtige ochdeutsche Variante. Schweizerdeutsch würde es «Zürisee» heissen.