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Der Fastronaut

Tages Anzeiger, 3. Juli 2020, Martin Sturzenegger

Michael Schaepman, der neue Universitätsrektor mit dem spitzbübischen Lächeln, wollte als Kind ins All fliegen. Er übernimmt das Amt in einer schwierigen Zeit. Doch der Geograf hat eine klare Vision.

Rein von der Statur würde Michael Schaepman die Rolle des einschüchternden Rektors gut erfüllen. Mit 191 Zentimeter Körpergrösse bewegt sich der 54-Jährige im dunkelblauen Massanzug wuchtig über das laut knarrende Parkett der Villa Müller an der Hohen Promenade.

In den Räumen des Prorektorats hat sich an diesem Sommerabend die Hitze eines ganzen Tages angestaut. Schweissperlen befinden sich auf der Stirn des Interviewers, als Schaepman ein anderes Gesicht offenbart: Schmale blaue Augen, die freundlich durch das Brillengestell blitzen, ein verschmitztes Lächeln, und schon bricht das Eis. Eine Physiognomie, die nicht für Einschüchterung, sondern Inkludierung steht. Das ist er nun, der 86. Rektor in der Geschichte der Universität Zürich.

Die Körperlänge ist in der Wissenschaft keine relevante Grösse. Manchmal ist sie gar hinderlich. Schaepman musste deswegen gar seinen Kindheitstraum beerdigen: «Als Jugendlicher träumte ich von der Raumfahrt.» Doch ein hünenhafter Astronaut in den kompakten Weltraumkapseln der Nasa: «Stellen Sie sich das mal vor.»

Für den Traum in die Wüste

Seinen Entdeckungsdrang musste Schaepman anderweitig ausleben. Nach dem Gymnasium an der Hohen Promenade entschied er sich für ein Physikstudium an der Universität Zürich. Doch letztlich war ihm das zu viel Labor und zu wenig Erkundung in der echten Welt. Also entschied er sich für ein zusätzliches Geografiestudium, das auch die Disziplin der Fernerkundung enthält.

Die Fernerkundung war Schaepmans neues Ziel: Wenn ihm die Aussicht aus der Weltraumkapsel schon verwehrt blieb, so wollte er doch immerhin selbst Satelliten in den Orbit schicken. Die Erforschung der Erdoberfläche, der Erdatmosphäre und sich selbst einen Schritt weiterbringen.

Seither lebt Schaepman diesen Traum. Das führte ihn nach dem Doktorat in die amerikanische Wüste nach Tucson an die University of Arizona. Es kam zu Zusammenarbeiten mit der European Space Agency (ESA) und dem amerikanischen Pendant – der Nasa. 2003 erhielt Schaepman mit 37 Jahren seine erste Professorenstelle. Dies ausgerechnet in Holland, wo er durch den in die Schweiz eingewanderten Vater zwar verwurzelt ist, die Sprache zu Beginn jedoch nur flüchtig beherrschte. «Ich brauchte ein Jahr, um fliessend unterrichten zu können.»

2009 folgte Schaepman dem Ruf aus der Heimat. An der Universität Zürich übernahm er die Professur für Fernerkundung am Geografischen Institut. Nach der Übernahme des Dekanats der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät und später des Prorektorats Forschung ist Schaepman nun als neuer Rektor oben auf der Karriereleiter angelangt.

Was ihn so erfolgreich mache? Sein Vermittlungs- und Verhandlungsgeschick, meint Schaepman. Diese seien geprägt durch die Arbeit mit der Raumfahrt. «Nehmen wir das Beispiel eines Satelliten.» Für dessen Entwicklung und Erbauung brauche es die erfolgreiche Zusammenarbeit Hunderter Wissenschaftler. Nur so gelinge letztlich der «Launch», der erfolgreiche Start eines Satelliten. «Das braucht schon etwas Vermittlungskunst.»

Solches attestiert ihm auch André Odermatt. Der Zürcher SP-Stadtrat war einst Schaepmans Kommilitone. «Als Geograf mit Nebenfach Experimentalphysik hatte er meine höchste Achtung.» Schaepman habe schon im Studium und im Doktorat die Interdisziplinarität gepflegt und sei immer auch nach aussen getreten, sagt Odermatt. «Das ist seine grosse Stärke.» Er sei hilfsbereit, verlässlich, ein guter Teamplayer, und Egoismus liege ihm fern. Seine Schwäche: Eine solche kenne er nicht.

Ähnlich positiv klingt es auf der obersten Verwaltungsstufe: Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) sitzt mit Schaepman in den Stiftungsräten der Greater Zurich Area und des Innovationsparks Zürich. Sie erlebe ihn als aufmerksame, offene, interessierte und reflektierte Persönlichkeit. «Ich schätze die konstruktive und ergebnisorientierte Zusammenarbeit mit ihm», sagt Mauch. ETH-Rektor und Physiker Joël Mesot freut sich auf Schaepman – auch hinsichtlich einer konstruktiven Hochschulpartnerschaft «mit der Nachbaruniversität».

Schaepmans Vision

Trotz Vorschusslorbeeren muss sich Schaepman jetzt auf der nächsten Stufe beweisen. Es dürfte nicht einfach werden: Er tritt in die Fussstapfen seines allseits beliebten Vorgängers Michael Hengartner. Er muss die Qualität der Lehre in einem stets wachsenden Hochschulbetrieb sicherstellen. Er muss die Corona-Krise und deren Folge bewältigen, die auch an der Universität Lehre und Forschung auf den Kopf stellte, und er muss die Hochschule durch den radikalen Umbau des Uniquartiers lotsen.

Die Zeichen stehen auf ruppig. Was ist Schaepmans Vision, damit sich die UZH in einem zusehends globalisierten Umfeld auch international behauptet? Um etwas zu bewegen, möchte Schaepman die Diskussion auf drei Themen lenken: Kooperation, Komplexität und Kreativität. Mit der Kooperation möchte er die Forschungsvernetzung und die Interdisziplinarität vorantreiben. Hier möchte er auf seine Stärke, das Vermittlungsgeschick, zurückgreifen, um «diese grösste aller Herausforderungen der Universität» zu meistern.

Mit Komplexität meint Schaepman eigentlich das Gegenteil: «Wir leben in einer Welt, die zusehends vernetzter ist.» Deshalb müsse die Universität der Öffentlichkeit möglichst einfache Antworten auf schwierige Fragen liefern und die Komplexität wissenschaftlicher Erkenntnisse herunterbrechen.

Um die Kreativität zu gewährleisten, möchte sich Schaepman für mehr Freiräume einsetzen. Eine regulierende Governance sei zwar wichtig, doch es brauche auch «den Mut für unscharfe Entscheide». Dies habe er während der Corona-Krise festgestellt: Unscharfe Entscheidungen statt straffer Verordnungen führten viel eher zu originellen Lösungen. «Die Universität muss ein Hotspot für Kreativität werden.»

Sich selbst möchte Schaepman im neuen Amt auch Freiräume zugestehen. Diese sucht er am liebsten auf Reisen. Einst habe er mit seiner Familie ein Motto gefasst: «Wir möchten möglichst viele Orte suchen, an denen weniger Menschen gewesen sind als auf dem Mount Everest.» Also höchstens 8400 Personen. Auf der Suche nach Einsamkeit wird Schaepman oft in Sibirien fündig. Dort leistet seine Frau, ebenfalls eine Professorin, regelmässig Feldarbeit. Er und die beiden Kinder begleiten sie. Oder auf dem Chilkoot-Trail in Alaska, einer alten Goldgräberstrasse, habe er sie ebenfalls gefunden: die Abgeschiedenheit, die unberührte Natur, die handyfreie Zeit. Schaepman mit Zelt und Rucksack, ein Abenteurer.

Schaepman hat seinen Kindheitstraum, Astronaut zu werden, zwar nicht verwirklichen können. Das Gefühl der Schwerelosigkeit könnte er aber bei einem Zero-Gravity-Flug erleben. In Dübendorf schickt die Universität für Forschungszwecke Flugzeuge in eine parabelförmige Bahn. Das Resultat: 22 Sekunden in der Schwerelosigkeit, fast wie ein Astronaut. Das würde ihn reizen, sagt Schaepman. «Ich will die Schwerelosigkeit nicht nur erleben, wenn ich vom Velo fliege.»