Der Ginkgo (Ginkgo biloba) - ein lebendes Fossil

Der Ginkgo (Ginkgo biloba) – ein lebendes Fossil

Ein Beitrag von Anna Stalder

Der Ginkgo (Ginkgo biloba L.) gehört bei uns in Mitteleuropa zu den bekanntesten fremdländischen Baumarten.1 Er ist nicht nur durch sein Aussehen mit den zweigeteilten Blättern eine herausragende Spezies, sondern auch durch seine Stellung im Stammbaum der Pflanzen. Er ist die einzige überlebende Art der Ordnung Ginkgoales.2 Er steht also allein und ist weder mit den Nadelbäumen noch mit den Laubbäumen nahe verwandt. Er gehört aber zusammen mit den Nadelbäumen zu den Nacktsamern (Gymnospermen), die sich von den Bedecktsamern (Angiospermen) unterscheiden. Er ist 200 Millionen Jahre alt und wird darum auch als lebendes Fossil bezeichnet.3 Dies bedeutet, dass der Ginkgo sich über diese lange Zeit ziemlich unverändert erhalten hat.

Der Ginkgo wird sehr vielfältig eingesetzt: als Zierbaum, Nahrungsmittel und als Heilpflanze, sowohl traditionell wie auch in der modernen Medizin.


Abbildung 1: Ginkgo beim Stadthaus in Winterthur

Der Ginkgo und seine Geschichte

Der Ginkgo, ursprünglich in China heimisch, war zeitweise über die ganze Nordhemisphäre verbreitet und kommt heute wild nur noch in Ostasien vor. Er wird aber mittlerweile auf der ganzen Welt angepflanzt. In China wurden und werden die Samen zur Götteranbetung verwendet. Darum gibt es dort 1000 Jahre alte Tempelbäume. Seine Samen werden aber nicht nur für Rituale angewandt, sondern auch geröstet für Speisen. So werden Ginkgos in Ostasien vor allem zu Nahrungszwecken kultiviert.


Abbildung 2: Tempelbaum in Japan

Schon sehr lange wird der Ginkgo auch als Heilmittel benutzt. Aus einem Extrakt der Blätter wird ein Arzneimittel hergestellt, dass vor allem aufs Nervensystem wirkt. Auch als Nahrungsergänzungsmittel sind Extrakte des Ginkgos erhältlich. Immer mehr kommt aber auch die Diskussion über die Giftigkeit des Ginkgos auf.

Der Name Ginkgo hat seinen Ursprung im chinesischen Wort Yínxìng. Im Japanischen wird das dann Ginkyō ausgesprochen. Das Wort wird aus zwei Schriftzeichen zusammengesetzt: „gin“ bedeutet Silber und „kyō“ Aprikose. Das deutet auf die silbern schimmernden Samenanlagen hin. Da einem Japanforscher ein Schreibfehler unterlief und dieser von Carl Linné bei der Veröffentlichung der Art übernommen wurde, heisst der Ginkgo jetzt „Ginkgo“. Sonst hätte er eher „Ginkjo“ geheissen. Der Artname biloba wurde von Linné ausgewählt und bezieht sich auf die Zweilappigkeit der Blätter.2


Abbildung 3: Ginkgoast mit den fächerförmigen Blätter

Abbildung 4: Blätter zweilappig

Anatomie und Morphologie

Der Ginkgo kann bis zu 35m hoch werden. Sehr alte Bäume können stalaktitenartige Auswüchse an ihren Stämmen haben, welche «Tschitschis» genannt werden. Die Funktion dieser Auswüchse ist unbekannt. Da diese aber ein bisschen wie Brüste aussehen, war der Ginkgo vor allem im alten Japan ein Fruchtbarkeitssymbol.1

Der Ginkgo ist an seinen zweigeteilten, fächerförmigen Blätter gut erkennbar. Diese Fächerform ist einzigartig bei Samenpflanzen.4 Es handelt sich um eine typische Gabelnervatur ohne Hauptnerv. Auch Goethe fand die Blätter sehr faszinierend, denn er schrieb ein Gedicht über den Ginkgo. Darin wird die Aufspaltung des Blattes thematisiert und Goethe fragt sich, ob es nun eins oder zwei sei. Auch durch die goldgelbe Färbung der Blätter im Herbst ist der Baum eine Pracht. Nach der Verfärbung im Herbst fallen die Blätter ab. Dies ist selten bei den Nacktsamern, da zu dieser Gruppe vor allem Nadelgehölze gehören, die alle immergrün sind.1


Abbildung: 5: Ginkgos mit kleinen «Tschitschis»

Abbildung: 6: Die Gabelnervatur des Ginkgo-Blattes

Der Ginkgo ist zweihäusig (diözisch), das heisst, dass es weibliche und männliche Bäume gibt. Er blüht im Frühling und wird mit Hilfe des Windes bestäubt. Beide Geschlechter blühen dann, wenn die Blätter noch ganz jung sind. Die männlichen Blüten sind längliche Würmchen und gut sichtbar am Baum. Die weiblichen Blüten sind eher unauffällig. Sie sind sehr einfach gebaut, zwei kugelige Formen am Ende eines Stieles, das sind die Samenanlagen. Aus diesen entsteht dann der Same des Ginkgos. Dieser sieht von aussen ein bisschen aus wie eine Mirabelle und gleicht einer Frucht. Das vermeintliche Fruchtfleisch gehört jedoch zur äusseren Samenschale. Im Inneren sind die harten Schichten der Samenschale verborgen. Nacktsamer bilden keine Früchte, da sie keine verwachsenen Fruchtblätter (Fruchtknoten) haben.1


Abbildung 7: Männliche Blüten des Ginkgos

Abbildung 8: weibliche Blüten des Ginkgo

Der Ginkgo hat frei bewegliche männliche, begeisselte Keimzellen. Diese werden über die Luft zum Bestäubungstropfen der weiblichen Samenanlage gebracht und dort schwimmen sie aktiv zur grossen Eizelle. Die Befruchtung findet oft viel später als die Bestäubung statt, zum Teil, wenn der Samen schon am Boden liegt. Diese frei beweglichen Keimzellen sind eine Besonderheit, da es sie bei den rezenten Nacktsamern sonst nur noch bei den Palmfarnen gibt.1

Kulturelle Geschichte in Japan5

In Japan ist der Ginkgo ein sehr wichtiger Baum. Das zeigt sich unter anderem dadurch, dass die Samen gegessen und die Blätter für Firmenzeichen benützt werden. Viele Gegenstände in Japan wurden nach dem Ginkgo benannt, z.B. eine Ente, deren Fuss einem Ginkgo-Blatt ähnelt. Bis heute wird auch Gemüse wie Karotten oder Radieschen in die Form von Ginkgo-Blättern geschnitten und angerichtet.

Die medizinische Nutzung des Ginkgos haben die Japaner aus China übernommen. Die Samen werden gegen sehr viele Krankheiten eingesetzt wie Asthma, Husten und Krebs.4 Dabei wird aber stark davon abgeraten, zu viel Ginkgo Nüsse zu essen, da Kinder daran streben könnten. Vor allem ungekocht führen sie zu allergischen Reaktionen oder zum Tod. Trotzdem werden Ginkgo Nüsse auch als Delikatesse angeboten.

Abbildung 9: Geröstete Samen

Medizinische Bedeutung

Der Ginkgo ist eine der meist verkauften Medizinalpflanzen, denn er hat sehr viele nützliche Inhaltsstoffe. Der Extrakt der Blätter wird seit Jahrtausenden als Medikament für Krankheiten im Zusammenhang mit dem zentralen Nervensystem und psychiatrischen Störungen benutzt.4 Am wichtigsten sind die Flavonglykoside und Terpen-Trilaktone (z.B. Ginkgolide) in den Blättern. Für diese beiden chemischen Gruppen gibt es ein standardisiertes Extraktionsverfahren. Der Extrakt soll gegen Alzheimer und gegen Durchblutungsstörungen helfen. Ganz generell soll es die Leistungsfähigkeit fördern und zu höheren Konzentrations- und Gedächtnisleistungen führen. Darum wird er auch gerne als Nahrungsergänzungsmittel benutzt. Es ist das weltweit meist verkaufte pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel.6 Und weil diese keine allgemeinen Kontrollverfahren durchlaufen müssen, gibt es einige Nachteile. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass diese Mittel noch eine hohe Menge an giftigen Ginkgolsäuren enthalten.

Neuere Studien zeigen, dass die Wirkung des Ginkgos nicht in einem einzigen Inhaltsstoff liegt, sondern im Zusammenspiel der verschiedenen Inhaltsstoffe.

Abbildung 10: Herbstfärbung

Bei der Durchsicht von medizinischen Anwendungen von Ginkgo, trifft man immer wieder auf den Extrakt Egb 761. Er wird aus den Blättern des Ginkgos hergestellt und wurde in den 1960er Jahren von Willmar Schwabe eingeführt. Bei dem standarisierten Verfahren werden die wirksamen Stoffe angereichert und die giftigen Ginkgolsäuren reduziert.7 Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die auf diesem Extrakt aufbauen, können daher bedenkenlos eingenommen werden.

Der Extrakt EGb 761 wirkt schützend und regulierend bei neurodegenerativen, sensorischen und vaskulären Erkrankungen. Dies hilft dem Organismus, sich neuen Umständen anzupassen.8 Der Extrakt EGb 761 ist zudem ein wirksames Medikament bei Demenz.9

Ein Heilmittel gegen Krebs oder krebserregend?

Es gibt verschiedene Pflanzen in der chinesischen Medizin, die als krebshemmend gelten. Neuerdings gibt es auch Studien dazu, dass der Ginkgo so wirken könnte. Die Samen des Ginkgos wurden schon vor tausenden Jahren in China als Heilmittel gegen Krebs verwendet. Nicht nur die Samen sollen anticancerogen wirken, sondern auch die Blüten und die Blätter.

Die Aussenschale des Samens wurde lange als Abfall angesehen, da sie nach ranziger Butter riecht und die Luft damit verschmutzt. Sie kann sogar Fische vergiften und Erde kontaminieren. In der Aussenschale hat es aber viele Nährstoffe wie Polysaccharide und Ginkgolsäure und einige Bestandteile haben eine Antitumorwirkung. Diese induzieren sofort den Zelltod von Krebszellen und verhindern Metastasierung. Die Ginkgolsäure muss aber weiter erforscht werden, da bei der Anwendung zwar das Wachstum der Krebszellen gehemmt wurde, die Säure aber auch eine toxische Wirkung auf alle anderen Zellen hat.

Abbildung 11: unreife Samen

Der Extrakt der Blätter hat in vielen verschiedenen Krebsarten gezeigt, dass er den Zelltod herbeiführt. Er kann auch den Zellzyklus stoppen und die Migration und Invasion von Krebszellen hemmen.

Im Ganzen wurden aber erst sehr wenige klinische Studien zur krebshemmenden Wirkung von Ginkgoextrakten gemacht. Auch die detaillierten Mechanismen und die aktiven Stoffe, die dahinterstecken, müssen aufgedeckt werden. 4

Leider gibt es aber auch längere klinische Studien, die auf eine krebsfördernde Wirkung von Ginkgo hinweisen. Dies ist vor allem problematisch, weil wir Ginkgo-Extrakten immer häufiger durch Nahrungsergänzungsmitteln ausgesetzt sind. Vor einiger Zeit wurde dar Extrakt der Blätter als ein mögliches menschliches Karzinogen von der International Agency for Research on Cancer eingestuft. 6

Abbildung 12: Leuchtende Frühlings-Blätter des Ginkgos

Wenn Sie das nächste Mal durch einen Park laufen, halten Sie doch mal Ausschau nach einem Ginkgo. Denn wenn Sie darauf achten, sehen Sie plötzlich überall Ginkgos. Und falls Ihnen mal ein ranziger Duft entgegenweht, wissen Sie, ein Ginkgo Weibchen ist nicht weit.

Literaturverzeichnis

1 Veit Martin Dörken: Ginkgo biloba-Ginkgo, Fächerblattbaum (Ginkgoaceae), ein lebendes Fossil aus China, in: Bochumer Botanischer Verein (Hg.), Jahrbuch Bochumer Botanischer Verein, Band 4, 2013. https://www.zobodat.at/pdf/Jahrb-Bochumer-Bot-Ver_4_0181-0186.pdf, abgerufen am 21.5.23.

2 Wikipedia: Ginkgo biloba. https://de.wikipedia.org/wiki/Ginkgo, abgerufen am 24.4.23.

3 Bikram Singh, Pushpinder Kaur, Gopichand, R. D. Singh, P. S. Ahuja: Biology and chemistry of Ginkgo biloba, in:Fitoterapia 79, Elsevier, 2008, S. 401–418.

4 Jian-Shu Lou, Die Hu, Hao-Jie Wang, Li-Ping Zhao, Jun-Hu Hu, Zhao-Huang Zhou: Ginkgo biloba: a potential anti-cancer agent, in: Sanjeet Kumar (Hg.): Medicinal Plants, IntechOpen, London 2022, S. 441-446.

5 S. Hori, T. Hori: A Cultural History of Ginkgo biloba in Japan and the Generic Name Ginkgo, in: T. Hori, R. W. Ridge, W. Tulecke, P. Del Tredici, J. Trémouillaux-Guiller, H. Tobe (Hg.): Ginkgo Biloba – A Global Treasure, From Biology to Medicine, Springer, Tokyo 1997, S. 385-401.

6 Nan Mei, Xiaoqing Guo, Zhen Ren, Daisuke Kobayashi, Keiji Wada, Lei Guo: Review of Ginkgo biloba-induced toxicity, from experimental studies to human case reports, in: J Environ Sci Health C Environ Carcinog Ecotoxicol Rev. 2017 Jan 2; 35(1): 1–28. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6373469/, abgerufen am 21.5.23.

7 Michelle Hass: Phytopharmakon mit Evidenz, in: pta Forum, 2019. https://ptaforum.pharmazeutische-zeitung.de/phytopharmakon-mit-evidenz/, abgerufen am 4.5.23.

8 Yves Christen, Jean-Michel Maixent: What is Ginkgo biloba extract EGb 761? An overview–from molecular biology to clinical medicine, in: Cell Mol Biol (Noisy-le-grand), 2002 Sep; 48(6): 601-11. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12396070/, abgerufen am 21.5.23.

9 Ralf Ihl: Gingko biloba extract EGb761: clinical data in dementia, in: International Psychogeriatrics (2012), Vol. 24, Supplement 1, S. 35–40.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Foto von Anna Stalder

Abbildung 2: Foto von Ginkgotree unter Public Domain Mark

Abbildung 3-8: Foto von Anna Stalder

Abbildung 9: Foto von t-mizo unter CC by 2.0

Abbildung 10: Foto von skyseeker unter CC by 2.0

Abbildung 11: Foto von jy unter Copyrighted free use

Abbildung 12: Foto von Anna Stalder