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Verschwörungsmythen in der Corona-Krise

3. Dezember 2021 | Lisa Schwaiger | Keine Kommentare |

In Zeiten gesellschaftlicher Krisen haben Verschwörungsmythen Hochkonjunktur. Welche Rolle Religion und Spiritualität in diesem Zusammenhang einnehmen, beschäftigt auch Religionssoziolog*innen und Kommunikationswissenschaftler*innen.

Das Coronvirus gäbe es gar nicht. Bill Gates verfolge einen geheimen Plan und will den Menschen Mikrochips impfen lassen, um die Menschheit überwachen zu können. Verschwörungsmythen wie diese haben sich in den letzten zwei Jahren wie ein Lauffeuer verbreitet. Verschwörungsmythen vereint die Annahme, dass gesellschaftliche Ereignisse im Geheimen von Eliten gesteuert werden. Nichts passiert zufällig. Häufig gibt es keine empirischen Belege für oder gegen den Wahrheitsgehalt von Verschwörungsmythen, weshalb diese Begrifflichkeit passender erscheint als jene der „Verschwörungstheorien“.

Gerade in Krisenzeiten, die von Unsicherheit geprägt sind, sind Menschen anfällig an Verschwörungsmythen zu glauben. Verschwörungsmythen versprechen Antworten auf schwierige Fragen. Aussagen von Politik, Wissenschaft und Medien sind indes leider nicht immer zufriedenstellend, da die Welt, in der wir leben, komplex ist. So mussten auch während der Corona-Pandemie wissenschaftliche Befunde teilweise revidiert werden und auch die Politik war und ist mit Unsicherheiten konfrontiert. Manche Menschen suchen daraufhin alternative Informationen, die nicht immer journalistischen Qualitätskriterien entsprechen.

Vor allem Social Media Plattformen oder Messenger-Dienste wie WhatsApp und Telegram sind der ideale Nährboden für Verschwörungsmythen. Denn hier verbreiten sich vor allem emotionale, skandalisierende und alarmistische Beiträge, da sie Aufmerksamkeit erregen. Deutlich häufiger und schneller als wissenschaftliche Beiträge. Eine wesentliche Rolle spielt hier auch die algorithmische Verbreitung von Inhalten. Je mehr Reaktionen ein Beitrag erzielt, z. B. in Form von Likes, umso breiter zirkuliert dieser. Hinzu kommt, dass auf sozialen Netzwerken jede*r Inhalte verbreiten kann, ohne dass diese auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden müssen. Dies öffnet den Raum für Misinformation, also falsche Informationen, worunter Verschwörungsmythen in der Regel fallen. 

Über Social-Media-Kanäle wird zudem die Vernetzung von gleichgesinnten Akteur*innen vereinfacht. Dies kann schliesslich dazu führen, dass sich verschwörungsaffine Gruppen z. B. auch länderübergreifend vernetzen, koordinieren und sich als gegenöffentliche Protestbewegungen formieren. Öffentlich sichtbar wird diese Vernetzung z. B. im Kontext von Demonstrationen, bei denen gemeinsame Themen gruppenbildend wirken und Personen unterschiedlicher politischer Gesinnung, oder z. B. auch aus dem esoterischen Milieu, einen gemeinsamen Nenner finden.

Verschwörungsmythen haben demnach aus zwei Gründen unsere persönlichen Lebenswelten erreicht: Einerseits aufgrund sozialen Wandels, der sich in der aktuellen Krisenphase manifestiert. Diese macht uns empfänglicher für alternative Narrative. Zweitens der digitale Wandel, der die Verbreitung von ungeprüften Informationen vereinfacht. Anfällig für Verschwörungsmythen ist somit potenziell jede*r. 

Was haben Verschwörungsmythen mit digitaler Religion zu tun?

Warum aber beschäftigen wir uns mit Verschwörung im Kontext des UFSP Digital Religion(s)? Seit einigen Jahren wird aus religionswissenschaftlicher wie auch soziologischer Perspektive diskutiert, welche Verschwörungsmythen es über Religion gibt; ob Verschwörungsmythen in Religionen existieren; und inwiefern Verschwörungsmythen als Religion fungieren können (siehe z. B. Robertson, 2015). Letzteres erscheint vor allem im Kontext der aktuellen Corona-Pandemie ein wichtiges Untersuchungsphänomen zu sein. Denn sowohl Religion als auch Verschwörungsmythen versprechen Halt in schwierigen Lebensphasen, geben Antworten auf ungeklärte Fragen und wirken gruppenbildend – wenn auch klare Unterschiede zwischen religiösem Glauben und dem Glauben an Verschwörungsmythen existieren. 

Ein Blick auf wissenschaftliche Tagungen verdeutlicht die Aktualität des Themas: Der im August 2021 abgehaltene Kongress der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Soziologie widmete sich der Thematik mit einem Panel der Sektion Religionssoziologie. Unter dem Titel „Corona und die Spiritualität von Verschwörungsnarrativen“ beschäftigten sich Forscher*innen aus dem deutschsprachigen Raum mit dem Thema und diskutierten unter anderem die Zusammenhänge zwischen Esoterik und Corona, Verschwörungsmythen und Demokratiedistanz, oder die QAnon-Bewegung. 

P12 des UFSP untersucht den Zusammenhang zwischen Spiritualität und Verschwörungsaffinität

Auch das Team von P12 des UFSP Digital Religion(s) (Eisenegger, Schwaiger, Schneider, Nchakga) beteiligte sich am Kongress mit einem Beitrag. Basierend auf den Daten einer quantitativen Bevölkerungsbefragung untersucht das Projektteam aktuell den Zusammenhang zwischen Religiosität und Spiritualität und der Affinität gegenüber Verschwörungsmythen. Da die Datenerhebung während der Corona-Pandemie erfolgte (November-Dezember 2020), können die Aussagen im Kontext der Krise betrachtet werden. Erste Resultate zeigen, dass religiöse Konfessionen keinen Einfluss auf Verschwörungsaffinität haben, während die individuelle Religiosität und Spiritualität im Alltag signifikant die Affinität gegenüber Verschwörungsmythen befördert. Am höchsten ist der Effekt sogar für Personen, die keiner religiösen Organisation angehören, aber Religiosität und Spiritualität als wichtig in ihrem Leben einschätzen. Insofern lässt sich die Annahme treffen, dass Verschwörungsmythen eine Art Ersatz für religiösen Glauben einnehmen können. Das Projektteam P12 wird über weitere Erkenntnisse berichten.

Abgelegt unter: Projektvorstellung
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