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Emojis in der digitalen Kommunikation: Trauer um Sternenkinder auf Twitter

31. August 2023 | Christina Siever | Keine Kommentare |

Die heutige digitale Kommunikation findet nicht nur verbal statt, vielmehr handelt es sich oftmals um multimodale Kommunikation, die neben geschriebener und gesprochener Sprache auch statische und bewegte Bilder und Ton enthält. Geschriebene Sprache wird oftmals durch Bilder ergänzt, besonders in informellerer Kommunikation beispielsweise durch Emojis. In diesem Blogbeitrag wird erläutert, inwiefern Emojis in der digitalen Trauerkommunikation um sogenannte Sternenkinder auf Twitter genutzt werden. Dabei soll insbesondere näher beleuchtet werden, welche Emojis typisch für diese Art der Trauerkommunikation sind und inwiefern auch religiöse oder spirituelle Bildzeichen genutzt werden. Am Ende werden konkrete Beispiele solcher multimodaler Kommunikate analysiert. Zunächst soll nun noch auf den Neologismus Sternenkinder und die damit einhergehenden Implikationen eingegangen werden.

Sternenkinder

Der Ausdruck Sternenkinder ist ein Neologismus, der sich im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren etabliert hat. Gemeint ist damit ein Kind, das kurz vor, während oder (kurz) nach der Geburt verstirbt. Zu Beginn der 1990er-Jahre tauchte der Ausdruck erstmals im Internet auf, 2008 wurde ein deutschsprachiger Wikipedia-Artikel dazu erstellt. Die Etablierung des Ausdrucks ist ein Hinweis auf die Veränderung der Art und Weise, wie Menschen den Verlust von Kindern verarbeiten und darüber sprechen. Während die früher gebräuchlichen Ausdrücke Fehlgeburt und Totgeburt die negative Konnotation des Misserfolgs tragen, hebt Sternenkinder die trauernde Rolle der Eltern (als Sterneneltern) um ihr Kind hervor. Entsprechend ist der Ausdruck Sternenkinder nicht nur eine neue Benennung, sondern er steht auch für eine veränderte Trauerkultur. Bei einer Totgeburt wurden früher die physischen Überreste als Klinikmüll entsorgt, bis Ende der 1980er-Jahre wurden Tot- und Fehlgeburten aufgrund der Annahme, Mütter sollten ihre Sternenkinder wegen einer möglichen Traumatisierung gar nicht erst zu Gesicht bekommen, tabuisiert. Dies hat sich mittlerweile verändert, Eltern sollen von ihren Sternenkindern Abschied nehmen können und im Jahr 2013 wurde die Stiftung Dein Sternenkind gegründet; seither ist die ehrenamtliche Sternenkindfotografie in Deutschland weit verbreitet.

Der Ausdruck Sternenkind kann als religiös oder zumindest spirituell konnotiert gelesen werden. Die metaphorische Nähe zum christlichen Himmel verleiht dem Begriff eine transzendente Dimension. Er steht in Verbindung mit der Vorstellung, dass früh verstorbene Kinder direkt in den Himmel (zu den Sternen) kommen oder von dort stammen. Dieser Aspekt spiegelt sich auch in anderen Ausdrücken wie Himmelskinder oder Engelskinder wider, die allerdings deutlich seltener verwendet werden. Im englischen Sprachraum lautet übrigens das Pendant zu Sternenkind angel oder angel baby.

Der Neologismus hat sich insbesondere in Online-Foren verbreitet, in denen sich betroffene Personen ausgetauscht haben. Später wurde der Ausdruck auch in sozialen Medien sowie in der Presse immer gebräuchlicher. 2017 schliesslich fand das Lemma Eingang in den Rechtschreibduden.

In der Trauerkommunikation häufig verwendete Emojis

Die Analyse eines Korpus von Trauer-Tweets um Sternenkinder hat gezeigt, dass Emojis zwar genutzt werden, doch können sie nicht als vorherrschende Kommunikationsmittel betrachtet werden. Nur 18 % aller Tweets enthalten Emojis. Mehr als die Hälfte dieser Tweets enthält jeweils ein Emoji, zwei bis vier Emojis pro Tweet findet man ab und zu noch, Tweets mit mehr als 6 Emojis sind äusserst selten.

Die Analyse der häufigsten Emojis zeigt eine Longtail-Verteilung. Dies bedeutet, dass sehr wenige Emojis sehr häufig und sehr viele Emojis äusserst selten verwendet werden.

Das mit Abstand am häufigsten genutzte Emoji ist das rote Herz ❤️, darüber hinaus findet sich ebenfalls das schwarze Herz 🖤, das zugleich Trauer und Liebe symbolisiert. Ebenso kann das gebrochene-Herz-Emoji 💔 als gleichzeitiges Vorhandensein von Schmerz und Liebe verstanden werden. In den Top 20 finden sich zudem das grüne 💚 und das blaue 💙 Herz sowie das Emoji mit dem lächelnden Gesicht und den herzförmigen Augen 😍. Auch die zwei Herzen 💕 und das glitzernde Herz 💖 finden sich am Ende der Top 20. Insgesamt können also 8 Symbole in den Top 20 gefunden werden, die verschiedene Formen von Herzen repräsentieren, wobei zwei dieser Herzen sowohl Liebe als auch Trauer symbolisieren. Darüber hinaus ist ein Emoji als Gesicht mit herzförmigen Augen dargestellt.

Liebe versus Trauer

Die Liebe zu den verstorbenen Sternenkindern ist in den Tweets also visuell sehr präsent. Neben den genannten Herzen, die neben der Liebe auch Trauer ausdrücken (🖤 und 💔), finden sich darüber hinaus verschiedene traurige Gesichtsemojis wie 😢, 😭, 😔 und 😥, mit denen Traurigkeit ausgedrückt wird. Vergleicht man nun die Symbole, die Liebe und Trauer symbolisieren, einschließlich 🖤 und 💔, die beiden Emotionen zugeordnet werden können, wird deutlich, dass insgesamt 990 Emojis Liebe symbolisieren, während 576 Emojis Trauer repräsentieren. Dies zeigt, dass das Symbol für Liebe auf visueller Ebene klar vorherrscht, während bei den Hashtags das Gegenteil der Fall ist. Das Hashtag #trauer führt die Top 20 mit 183 Vorkommen an, während das Hashtag #liebe mit nur 29 Belegen auf Rang 11 liegt.

Sternen-Emojis

Im Kontext der Trauer um Sternenkinder tauchen nicht unerwartbar Emojis auf, die Sterne darstellen. Das 🌟-Emoji belegt den zweiten Platz, gefolgt von ⭐ auf dem dritten Platz. ✨ folgt auf dem 11. Platz, 💫 auf dem 13. Platz und schließlich 🌠 auf dem 14. Platz. Ein Viertel aller Emojis in den Top 20 sind somit Sternensymbole. In vielen Fällen haben diese Sternen-Emojis eine dekorative Funktion.

Religiöse bzw. spirituelle Symbole

Das Kerzen-Emoji 🕯️, das 🙏-Emoji sowie das 👼-Emoji (auf Rang 21) können als religiöse oder spirituelle Symbole betrachtet werden. Die Kerze belegt den fünften Platz, hinter den beiden Herz- und Sternen-Emojis. Das Anzünden einer Kerze hat in verschiedenen religiösen Kontexten eine Bedeutung, zum Beispiel als symbolische Handlung des Gedenkens. Zudem gibt es einen weltweiten Gedenktag für Sternenkinder, der von der Initiative Worldwide Candle Lighting ins Leben gerufen wurde, bei dem jeweils am zweiten Sonntag im Dezember um 19 Uhr brennende Kerzen zum Gedenken in die Fenster gestellt werden. Bei Tweets anlässlich dieses Weltgedenktags wird das Kerzen-Emoji entsprechend auch verwendet. Das 🙏-Emoji wird je nach Kultur und Kontext unterschiedlich interpretiert. Im deutschsprachigen Raum wird das Bildzeichen als gefaltete Hände und damit als Zeichen der Demut und Dankbarkeit interpretiert. Im religiösen oder spirituellen Kontext wird die Geste oft mit einem Gebet assoziiert. Ob das Emoji also in einer religiösen oder spirituellen Bedeutung verwendet wird, lässt sich jeweils nur im konkreten Kontext erschliessen. Das 👼-Emoji kann symbolisch für ein Kind im Himmel stehen, das man sich als Engel oder möglicherweise sogar als Schutzengel vorstellt. Religiöse Emojis sowie Symbole für den Tod wie ⚰️, ⚱️ oder das Grabstein-Emoji (das es allerdings erst seit 2020 gibt) spielen, abgesehen von den drei zu Beginn genannten Emojis, in der Trauerkommunikation um Sternenkinder allerdings eine marginale Rolle. Dies könnte allenfalls mit der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft zu tun haben.

Regenbogen-Emojis

Das Regenbogenemoji 🌈 wird oft im Zusammenhang mit sogenannten Regenbogenkindern verwendet. Als Regenbogenkinder bezeichnet man Geschwisterkinder, die nach dem Verlust eines Sternenkindes geboren werden. Der Regenbogen symbolisiert das Zusammentreffen des Verlusts des Sternenkinds (Regen) und der Freude über das Regenbogenbaby (Sonne) und stellt auch eine Verbindung zum verstorbenen Geschwisterkind dar. Darüber hinaus wird die Redensart über die Regenbogenbrücke gehen als Euphemismus, also als beschönigende Umschreibung für sterben genutzt, ursprünglich und hauptsächlich in Bezug auf Tiere, doch auch bei Sternenkindern wird die Redewendung teilweise genutzt. Die neuere Forschung zeigt nämlich auch, dass es ähnliche Formulierungsmuster beim Verlust von Haustieren und nahestehenden Menschen gibt.

Multimodale Aspekte der Emoji-Nutzung

Wie bereits erwähnt, werden Emojis in der Trauerkommunikation um Sternenkinder auf Twitter generell eher selten verwendet, in Zukunft sollten diesbezüglich Vergleiche mit anderen Kommunikationsplattformen wie Instagram angestellt werden. Oftmals haben Emojis in der untersuchten Trauerkommunikation eine dekorative Funktion und sie unterstreichen teilweise das Geschriebene. Seltener gibt es multimodale Kommunikate, in denen sich Text und Bild komplementär ergänzen. Im Tweet „Wieder ein Sternenkind mehr in der Familie. Ich hätte dich gern kennengelernt, meine kleine Nichte. 🖤 ⭐️ 🕯️“ wird verbal relativ sachlich von einem Sternenkind berichtet, lediglich das Bedauern, dass es zu keinem Kennenlernen gekommen ist, wird angedeutet. Das schwarze Herz-Emoji jedoch kann als Symbol der Trauer verstanden werden, das Kerzen-Emoji als Symbol des Gedenkens.

Text und Bild können sogar noch stärker miteinander verflochten sein wie im folgenden Tweet, den ein Sternenkindfotograf verfasst hat:

Der Text wird mit CN (Content Note), einem anderen Ausdruck für Triggerwarnung eingeleitet, Totgeburt verweist auf das, was später mittels Emojis ausgedrückt wird: Von den Zwillingen ist eins verstorben, eins hat überlebt. Symbolisiert wird dies durch ein Sternen- und ein Regenbogen-Emoji sowie das schwarze Herz der Trauer und das grüne Herz der Hoffnung. Der Fotograf hat dies alles mittels Emojis und deren Farbsymbolik ausgedrückt, wobei natürlich Totgeburt zu Beginn die Interpretation leitet. Auf der Metaebene kommentiert der Fotograf seine Emoji-Nutzung mit den Worten, es sei nicht leicht, dafür die richtigen Worte zu finden.

Fazit

Emojis sind mehr als nur dekorative Symbole; mit ihnen können emotionale Nuancen angedeutet werden, es kann religiöse und anderweitige Konnotationen und persönliche Bedeutungszuschreibungen geben. Die Emojis spiegeln die Assoziationen wider, die Menschen mit dem Thema Sternenkinder haben. Wie zuletzt gezeigt, können sie auch dann genutzt werden, wenn einem bei einem solch schwierigen Thema die richtigen Worte fehlen.

Literatur:

Siever, Christina Margrit (im Druck): „Liebe über den Tod hinaus. Liebe im Kontext von Trauer um Sternenkinder auf Twitter.“ In: Klug, Nina-Maria/Lautenschläger, Sina (Hgg.): True Love. Sprache(n) der Liebe in Text und Diskurs. Tübingen.

Siever, Christina Margrit (im Druck): „Emojis in the Context of Digital Mourning: A Twitter-based Analysis of Communication about ‚Angel Babies‘“. In: Sachs-Hombach, Klaus/Wilde, Lukas R. A. (Hgg): Emoji and Digital Stickers: Affective Labor and Lifeworld Mediation. A Special Issue of IMAGE: Journal of Interdisciplinary Image Science.


Blogbeitrag von Dr. Christina Siever, UFSP-Projekt 1 Trauerpraktiken im Internet


Abgelegt unter: Projektvorstellung
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