Prof. Dr. Christoph Reusser (ver)waltet

Es ist keine leichte Aufgabe, auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen – unser Direktor tut dies aber leichtfüssig auf und zwischen all den Tanzflächen, die sich ihm im Alltag bieten. Neben seinen Aufgaben als Fachbereichsleiter und Ordinarius für Klassische Archäologie der Universität Zürich, investiert Prof. Dr. Christoph Reusser viel seiner wertvollen Zeit in die Archäologische Sammlung und zeigt seit 13 Jahren immer wieder neu, wie sehr sie ihm am Herzen liegt.

Als Christoph Reusser sich für den Lehrstuhl für Klassische Archäologie in Zürich bewarb, tat er dies auch in Gedanken an die umfangreiche Archäologische Sammlung, die er als Direktor unter seine Fittiche nehmen wollte. Der Schweizer Archäologe war in seiner Laufbahn bereits in der Antikensammlung der Universität Bern und im Antikenmuseum Basel tätig gewesen und wusste, worauf er sich einlassen würde. In der Tat wurden seit seinem Antritt 2008 viele erfolgreiche Projekte, darunter sechs Sonderausstellungen, von denen die letzten beiden auch international grosses Ansehen erreichten, umgesetzt.

Die an sich nicht auf die leichte Schulter zu nehmende Entscheidung, mitsamt der Professur auch die Direktion der Archäologischen Sammlung in Zürich zu übernehmen, ist besser nachzuvollziehen, wenn man den materialerfahrenen Archäologen bei der Arbeit mit Objekten beobachten kann. Auch nach jahrzehntelanger Berufserfahrung strahlt der Professor energiegeladen, sobald er eine Keramikscherbe, ein Bronzeobjekt, eine Terrakottafigur oder ein Statuenfragment in seinen Händen hält – erst recht aber, wenn die Keramikscherbe schwarz glänzt und Figuren darauf erkennbar sind. Eines seiner Spezialgebiete sind ebendiese figürlich verzierten – zumeist in Athen produzierten – Vasen. Hier scheint seine seltene Materialkenntnis auf. Er kann nicht nur die kleinsten Fragmente problemlos sofort den korrekten Vasenformen zuordnen, sondern findet auch über Kontinente hinweg aneinander anpassende Scherben. So konnte dank seinem scharfen Auge anhand von Schwarzweissfotos eine Scherbe aus dem Metropolitan Museum in New York mit einer fragmentierten Trinkschale in der Archäologischen Sammlung wieder vereint werden. Das Fragment wurde uns 2018 als Dauerleihgabe zur Aufbewahrung übergeben und inzwischen in die restaurierte Vase in Zürich integriert.

Neben seiner umfassenden Kenntnis attischer Vasen bietet er seinen Studierenden einen breiten Lehrplan an weit gefächerten Themen, kann den Stadtplan Roms inklusive aller antiken Bauphasen aus seinem Gedächtnis nachzeichnen, etruskische Wandmalereien in Worten nachmalen, antike Statuen bildhauern und noch vieles mehr mit seiner Forschungshingabe vermitteln. Dabei lernt man auch hinter die geläufigen Sachverhalte zu blicken bzw. tiefer hinein – wie er selber jede Vase zunächst im Innern auf Gebrauchspuren untersucht, bevor er die Aussenseiten studiert.

Neben seiner Lehrtätigkeit und den Aufgaben im Zusammenhang mit der Sammlung ist Christoph Reusser ein bekennender Grabungsarchäologe. Nicht von ungefähr initiierte Reusser – einer der wenigen Etruskologen im deutschsprachigen Raum – deshalb 2007 eines der wichtigsten Forschungsprojekte zur etruskischen Archäologie der vergangenen Jahrzehnte überhaupt: Die Ausgrabung im Siedlungsgebiet der nordetruskischen Stadt Spina wurde bis 2017 unter seiner Leitung fortgeführt und im Feld abgeschlossen. Die Auswertung der Ergebnisse wird noch viele neue Erkenntnisse zu diesem wichtigen Knotenpunkt des antiken Handels im Mittelmeerraum zeitigen. Darüber hinaus übernahm er von seinem Vorgänger die Leitung der Ausgrabungen auf dem Monte Iato in Sizilien, die bis heute jährlich fortgeführt werden.

Wenn im Januar 2023 für den Professor, Sammlungsdirektor und zugleich Familienvater die wohlverdiente Emeritierung anstehen wird, wird er ein bedeutendes Erbe hinterlassen. Bis dahin hat er schon und wird noch weitere spannende, wegweisende und nachhaltig wirksame Projekte angestossen haben – ein Glück für die Sammlung und ihre Besucher!