Antarctic Horror

Antarctic Horror

E. A. POE UND JULES VERNE
von Celine Bundi

Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich primär mit dem Text The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket von E. A. Poe. Dabei wird der Fokus auf das Vorwort sowie auf die Schifffahrt in Richtung Südpol und das Aufeinandertreffen mit der antarktischen Bevölkerung gelegt. Im Anschluss wird noch kurz auf Jules Vernes Roman Die Eissphinx und dessen Verbindung zu erstgenanntem Text eingegangen.

The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket – E. A. Poe

Vornote:

In Poes Werk existieren eine Vor- sowie eine Endnote. Erstere wurde von Arthur Gordon Pym unterschrieben. Darin erklärt ebenjener, unter welchen Umständen es zu diesem Text kam, ebenso erfahren die Rezipient*innen etwas über den Ort des Erzählens. Dieser ist hier – im Gegensatz zu den bisher behandelten Texten – nicht der Ort des Geschehens, also die Antarktis, selbst, sondern die USA. Mit diesem Vorwort wird eine gewisse Authentizität simuliert, gleichzeitig werden auch die Publikationsbedingungen verhandelt. Obschon der Text eigentlich unter der Gattung «Fiktion» publiziert werden soll, beharrt dieser sehr stark darauf, faktual zu sein. Ebenso betritt Poe selbst die intradiegetische Ebene, und zwar dadurch, dass er namentlich erwähnt wird. Somit existieren mindestens zwei verschiedene Autorschaften (das «mindestens» verweist hierbei auf die nicht unterzeichnete Endnote, welche eine dritte sein könnte). Dieses permanente Spiel mit der Autorschaft wird noch weitergezogen, denn auch in Bezug auf die Rhythmik der beiden Autorennamen existieren bestimmte Analogien (Edgar Allan Poe – Arthur Gordon Pym).

Schifffahrt in Richtung Südpol:

In Kapitel 17 wandelt sich der Text formal, und zwar insofern, als er im Stil eines «journals» geschrieben wird. Dabei werden belangreiche Ereignisse immer vom dazugehörigen Datum angeführt. Obschon Pym offenbart, keine hundertprozentige Garantie geben zu können, dass die von ihm gemachten Angaben exakt sind, da er diese anhand seiner Erinnerungen rekapituliert, findet man eine Großzahl von Daten, detaillierten Koordinaten und vielem weiteren in seinem Text. Diese Art der tagebuchartigen Einträge vermittelt die Illusion einer präsenten Unmittelbarkeit und es wirkt nicht, als ob die Ereignisse in der Vergangenheit stattgefunden hätten. Argumentiert man mit Deleuze/Guattari, kann man auch sagen, dass diese präzisen Fakten Kerbungen sind, hier treffen somit glatter und gekerbter Raum aufeinander. Im Text findet man verschiedenste mehrseitige Exkurse aus differierenden wissenschaftlichen Bereichen (z.B. Botanik, Zoologie oder Geologie). Dies ist ein Verfahren aus den Reiseberichten, welches ebenfalls versucht, die faktuale Absicherung zu stärken, obschon eigentlich nichts über den Südpol bekannt ist.

Beim Aufeinandertreffen auf das fremde Volk wird dieses sehr detailliert beschrieben, vergleichbar mit der wissenschaftlichen Beschreibung einer neu entdeckten Spezies bzw. einer ethnographischen Beschreibung. Nicht nur die antarktische Bevölkerung wird in diesem Text als dunkelhäutig («schwarz») beschrieben, sondern auch deren Haare, deren Bekleidung oder der Sand der Insel ist schwarz. Das eigentliche Weißgebiet ist hier also ein Schwarzgebiet und im Gegensatz zu der weißen Besatzung, zu der A. G. Pym gehört, wird hier ein starker Kontrast aufgemacht und immer wieder hervorgehoben. Alles Fremde und Gefährliche ist schwarz, alles Bekannte und Gute ist weiß. Dadurch, dass die Eingeborenen jedoch Angst vor allem mit der Farbe weiß haben, kann man sich fragen, inwiefern diese Dichotomie tatsächlich zutrifft. Wer ist hier wirklich fremd und gefährlich, ist es die schwarze, weltferne Urbevölkerung in der Antarktis oder ist es doch die westliche Schiffsmannschaft, welche in unbekannte Gebiete vordringt? 

Zu den visuellen Unterschieden zwischen den zwei Bevölkerungsgruppen (schwarz vs. weiß) gesellen sich noch weitere Differenzen, eine davon ist die Sprachbarriere. Gemäß Pym unterhält sich die antarktische Bevölkerung durch lautes Plappern, welches von gelegentlichen Schreien durchbrochen wird und nicht verständlich für die Besatzung ist. Im Gegensatz dazu kennen die Eingeborenen die westlich codierte Semiotik des weißen Taschentuches nicht, welches vom Kapitän als Zeichen des Friedens in die Luft gehalten wird. Auch hier wird die Diskrepanz zwischen schwarz und weiß noch einmal unterstrichen, indem auf die rückständige und unzivilisierte Verständigung des dort heimischen Volkes in Kontrast zu der progressiven und kultivierten Ausdrucksweise der westlichen Schiffsmannschaft eingegangen wird.

Im Vergleich mit anderen Texten trifft man hier, wie schon erwähnt, auf eine sehr große Anzahl von Menschen; der Südpol ist also eine Kontaktzone. Ebenfalls wird hier davon ausgegangen, dass am Südpol ein tropisches Klima vorherrschen muss. Somit sind Schnee und Eis, je weiter der Text in Richtung Antarktis vordringt, ein rar gesätes Gut. Obschon der Schnee vorher also nicht sehr präsent war – und es noch immer nicht ist – endet Pyms Erzählung auf das Wort «Schnee» («And the hue of the skin of the figure was of the perfect whiteness of the snow.», S. 217). Hierbei handelt es sich jedoch immer noch nicht um Schnee selbst, dieses Wort wird lediglich zu Hilfe gezogen, um die Hautfarbe der am Schluss erblickten Gestalt zu beschreiben. 
Der Text endet doppelt in der Farbe weiß: Einerseits ist der zum Schluss erwähnte Begriff «Schnee» weiß, andererseits rutschen die Leser*innen während des Lesens von der schwarzen Druckerschrift ins Weiße der Seite.

Die Eissphinx – Jules Verne:

Dieser Roman knüpft zum Teil an Poes The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket an. Der Protagonist ist zu Beginn ein großer Kritiker in Bezug auf die Faktualität von Poes Text und extrahiert diverse Ausschnitte, welche er prüfend auseinandernimmt und versucht zu widerlegenAls während einer Schifffahrt in Richtung Süden jedoch plötzlich eine Leiche auf einer Eisscholle angespült wird, beginnt sich seine kritische Haltung zu ändern: der Tote wird vom Kapitän des Schiffs, Len Guy, als Patterson von der Jane – das Schiff, auf welchem Pym mitgereist ist – erkannt. Hinzu kommt, dass in den Hosentaschen der Leiche noch eine handgeschriebene Notiz gefunden wird, auf welcher folgendes steht:

«Die ›Jane‹ … Insel Tsalal … 83 … Dort … seit elf Jahren … Kapitän … fünf Matrosen noch am Leben … Rettet sie schnell …» (S. 102)

Die Bestimmung der Identität erfolgt hier also auf doppelte Weise, einerseits mithilfe des Kapitäns, andererseits mithilfe der Notiz. Mit der Identifikation des Toten wird somit Faktualität hergestellt und das Eis hat hierbei eine essenzielle Funktion: Es hat die Leiche und die Niederschrift erkennbar konserviert, die Eisscholle hat sie über das Meer bis hin zur Halbrane transportiert. Somit ist ebenjenes Eis ein Botenstoff und gleichzeitig poetisches Reservoir, denn auch eine literarische Anknüpfungsmöglichkeit wurde mithilfe des Eises konserviert.

Literatur:

  • Poe, Edgar Allan: The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket. New York 1999.
  • Verne, Jules: Die Eissphinx. Zürich 1985.

Ergänzend: Thesenpapier von Medea Schneider

Titelbild: Frederic Edwin Church: The Icebergs (1861)