Arctic Horror

Arctic Horror

MARY SHELLEY: FRANKENSTEIN
von Lena Schiller

Dieser dritte Blogbeitrag soll sich mit Ausschnitten aus Frankenstein von Mary Shelley beschäftigen. Besonderer Fokus liegt dabei auf der Darstellung der Arktis. Der Blogbeitrag stützt sich auf die Diskussion und auf die These:

Die Arktis hat in Shelleys Roman die Funktion einer Rahmenstruktur, denn die ganze Geschichte beginnt und endet dort. Hierbei spielt die spezifische Verortung im Raum keine grosse Rolle (vgl. Raum des Meeres – Deleuze/Guattari), vielmehr geht es um die Polarregion als Begegnungszone mit dem Unbekannten und Unheimlichen.

Es sollen verschieden Beiträge und Erkenntnisse aus der Seminarsitzung gesammelt und aufbereitet werden. Anders als bei Chamisso und Forster steht bei Mary Shelly die Arktis als unheimlicher und einsamer Ort – als Teil des Artic Horrors – im Zentrum. Innerhalb der Sitzung wurden viele verschiedene Themen besprochen, die sich grob nach Form, Ort und Zeit aufteilen lassen. Dabei ist noch zu erwähnen, dass es verschiedene Analyseansätze gibt, um Frankenstein zu verstehen. Man kann einen sozialen Fokus einnehmen, der sich auf das Familienbild und die Familienkonstellationen konzentriert, einen psychoanalytischen, der sich auf das Innenleben und die Verhaltensweisen der Figuren fokussiert, man könnte die verschiedenen intertextuellen Verweise analysieren oder sich auf die ethischen und moralischen Fragen festlegen. 

Ort

Im Kontext des Textes über Glattes und Gekerbtes von Deleuze/Guattari sind der Raum und die Schauplätze innerhalb von Frankenstein interessant. Die Rahmenhandlung rund um Walton und seine Expedition ist zu Beginn örtlich fassbar, da er in seinen Briefen Ortsangaben nennt. Je weiter das Schiff aber nach Norden vorrückt, desto knapper und ungenauer werden die Angaben. Als das Schiff im Eis feststeckt und die Binnenerzählung beginnt, verschwinden die Ortsangaben ganz. Wenn man der These folgt, dann ist die Verortung im Raum nicht so wichtig. Denn die Arktis als Handlungsort steht nicht zwingend im Vordergrund, es geht vielmehr um die unterschiedlichen Begegnungen, die dort stattfinden. Jedoch ist die Arktis trotzdem der Schauplatz und findet sich auf verschieden Ebenen der Erzählung wieder. Die Rahmenhandlung findet im Eis der Arktis statt und auch dort auf sehr begrenztem Raum. Dabei ist zu erwähnen, dass das Eis, welches das Schiff einrahmt, gleichzeitig auch das Eis ist, welches die Erzählung rahmt. Dabei bildet das Schiff die Brücke zwischen Rahmen- und Binnenerzählung. 

In der Arktis als Begegnungsraum kommt es zu verschiedenen Aufeinandertreffen, zwischen Walton und Frankenstein, zwischen der Crew des Schiffs und der Kreatur aber auch zwischen dem Bekannten, Unbekannten und dem Unheimlichen. Hierbei fällt jedoch auf, dass das Unheimliche zu Beginn nicht das Monster oder Frankenstein ist, sondern das Eis. Dieses wird als Bedrohung wahrgenommen.

Was aber beim Versuch einer Verortung der Erzählung auffällt, ist, dass während des Lesens, die Arktis und der Schauplatz immer weiter in den Hintergrund rücken. Ein weiterer Schauplatz der Erzählung ist der Gletscher, wo es zu einem Aufeinandertreffen von Frankenstein mit der Kreatur kommt. Der Gletscher wie auch die Arktis sind unwirtliche, unheimliche und lebensfeindliche Gegenden. und an diesen Orten findet die Kreatur ihr Exil. Für sie gibt es keinen Platz in der Gesellschaft und sie sucht deshalb nach einem Ort, der für die Menschen nicht leicht zugänglich ist. Ein Thema, das in der Diskussion nicht vorgekommen ist, ist die Einsamkeit. Die Arktis ist der Begegnungsraum für die Einsamen. Frankenstein, Walton und die Kreatur sind drei einsame Figuren, die in der Arktis – einem sehr verlassenen Ort – aufeinandertreffen.

Form

Bei Frankenstein handelt es sich um einen Briefroman, der aus den Briefen von Walton an seine Schwestern besteht. Zu Beginn der Reise schreibt er in grossen Abständen Briefen und auch dann ohne grossen Inhalt, denn es geschieht nicht viel. Je näher das Schiff aber in die Arktis kommt und schliesslich stillsteht, so kleiner werden die Abstände zwischen den Briefen und so dichter auch die Handlung. Die Briefe bergen eine Unmittelbarkeit und sind sehr aktuell. Sie verlieren nicht nur ihre Ortsangaben, sondern auch die Anrede und die Verabschiedung. Sie ähneln dadurch immer mehr Tagebucheinträgen. Dadurch dass die Briefe an seine Schwester gerichtet sind, bleibt ein Fixpunkt am Festland und einen Hoffnungsschimmer. Dabei stellt sich die Frage, ob die Briefe je ihr Ziel erreichen, da so lange das Schiff feststeckt, keine Möglichkeit besteht diese zu verschicken. Man könnte sagen, dass die Briefe Walton eine Möglichkeit bieten das Erfahrene zu verarbeiten. 

Zeit

Die Mehrheit des Romans – die doppelte Binnenerzählung – ist auch eine zweifache Analepse und ereignet sich somit vor der Rahmenhandlung. Die Lesenden erfahren von den Geschehnissen auf dem Schiff gegenwärtig und zeitgleich. Die Arktis ist aber ein Ort, an welchem die Zeit scheinbar stillsteht und alles konserviert wird. Die Zukunft und das Ende des Romans sind jedoch ungewiss, da die Kreatur gut im Eis überleben könnte und ob Walton zurück nachhause gelangt, bleibt unklar.

Weitere Punkte, die in der Diskussion nur angeschnitten wurden, sind die Thematik der Intertextualität und der Genderfrage. 

Genderfrage

Die Genderfrage bezieht sich auf Schaffungs- beziehungsweise Geburtsfantasien von Frankenstein, der selber ein neues Leben schaffen will. Gleichzeitig soll das Weibliche ausgelöscht werden, einerseits dadurch, dass Frankenstein eine Fortpflanzung der Kreatur verhindern will und andererseits, dass die Kreatur die Angetraute in der Hochzeitsnacht tötet. Genauso sind die asexuelle Fortpflanzung und die Schaffung vom neuen Leben weitere Themen. Diese Themen werfen auch ethischen Fragen, die sich die Lesenden zum Text stellen können. Es kann hinterfragt werden, ob es ethisch und moralisch vertretbar ist, neues Leben zu schaffen und sich als Einzelperson in eine göttliche Position zu bringen.

Intertextualität

Intertextualität findet sich an zahlreichen Stellen im Text, beginnend mit dem Untertitel und dem Verweis auf Prometheus, weiter mit der Struktur des Briefromans und der Parallele zu den Leiden des jungen Werthers, ebenso gibt es Gedichte und eine Erwähnung von Plutarch.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in den Weissgebieten zu verschiedenen Begegnungen kommt, zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Heimlichen und Unheimlichen und zu einer Begegnung von drei einsamen Figuren, die an den verlassenen Orten aufeinandertreffen.

Ergänzend: Thesenpapier von Celine Bundi und Noemi Ferrai

Titelbild: Untitled from Northern Exposure, 1827 (Courtesy Picture Collection, The Branch Libraries, The New York Public Library)