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Lehrstuhl für Historische Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems, Prof. Dr. Lucien Criblez

Inventarisierung der Daten zu den vom Schweizerischen Roten Kreuz reglementierten nichtärztlichen Gesundheitsberufen zwischen 1960–2005

16. August 2023 | Stefan Kessler | Keine Kommentare |

Von Paula Carle, 16. August 2023

Im Zuge eines zweiten Forschungspraktikums im Projekt «Bildung in Zahlen» beschäftigte ich mich mit dem Berufsbildungsangebot des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Bevor die nichtärztlichen Gesundheitsberufe gesamtschweizerisch über den Bund reglementiert wurden, nahm das SRK als zentraler Akteur für die Anerkennung, Reglementierung und statistische Erfassung der pflegerischen und gesundheitlichen Ausbildungsprogramme lange Zeit eine Monopolstellung ein (Valsangiacomo, 1991).

Ziel meiner Tätigkeit war es, Daten zur Anzahl Diplome, zu Ausbildungseintritten und -austritten, Aufnahmekapazitäten und Ausbildungsprogrammen zu inventarisieren und eine begleitende Dokumentation zu erarbeiten. Dafür dienten die statistischen Jahresberichte des SRK für den Zeitraum von 1966–2005 als Quelle, die durch das Bundesarchiv, die Zentralbibliothek Zürich und die Universität Zürich bereitgestellt wurden.

Kontext

Die Ausbildung in nichtärztlicher Krankenpflege wurde bis in das 20. Jahrhundert hinein überwiegend durch konfessionelle Einrichtungen organisiert und dementsprechend geprägt. Erst durch das Aufkommen des SRK und die Stärkung dessen durch den Bundesbeschluss von 1903 wurden die Weichen für eine nichtkonfessionelle Professionalisierung und Institutionalisierung der Krankenpflege gestellt.

Die Auseinandersetzung mit dem SRK ist insbesondere auch deshalb interessant, weil mit dem Bundesbeschluss Aufgaben der staatlichen Bildungsverwaltung an eine private Organisation übergeben wurden und sich das SRK fortan als Autorität im Berufsbildungsbereich konstituieren konnte (Bender, 2011, S. 15). So erhielt das SRK beispielsweise mit dem Bundesbeschluss von 1903 die Kompetenz, die Bundessubventionen an die Ausbildungsschulen zu verteilen. Es musste dabei weder nach definierten Kriterien vorgehen noch auf die Kantone Rücksicht nehmen, die laut Bundesverfassung eigentlich für den Gesundheitsbereich zuständig waren (ebd., S. 20).

Um den Krankenpflegeberuf sozial und beruflich anzuheben, wurde ab den 1920er-Jahren der Wunsch an Bund und Kantone immer grösser, die Krankenpflegediplome offiziell anzuerkennen, die Bedingungen für den Erhalt eines staatlichen Examens festzulegen und die Berufsausübung staatlich zu reglementieren (Valsangiacomo, 1991, S. 171). Da diesem Wunsch durch den Bund jedoch auch bei weiteren Versuchen nicht nachgekommen wurde, füllte hier das SRK die Rolle der offiziellen Funktion aus (ebd., S. 175). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die offiziellen Aufgaben des SRK erweitert und weitere Tätigkeiten übernommen wie der Erlass von Mindestvorschriften für die Berufsausbildung, die Überwachung der Ausbildungsprogramme, die Abnahme der Diplome sowie kurz darauf auch der Aufbau von Registern und Statistiken, die eine evidenzbasierte Berufsbildungspolitik möglich machen sollten (Kessler & Hägi, 2023, S. 180).

1976 wurde nach jahrelanger rechtlicher Unklarheit und gescheiterter Lösungsfindung, wie die Berufsausbildung des Pflegepersonals vereinheitlich werden könnte, eine erstmalige Vereinbarung zwischen den Kantonen und dem SRK beschlossen. Das SRK erhielt damit das formale Mandat zur Regelung, Überwachung und Förderung der Berufsausbildung in den gesundheitspflegenden Berufen (ebd., S. 187; Bender, 2011, S. 20ff.). Mit dem Leistungsvertrag von 1998 wurde festgelegt, dass die Kantone als Auftraggeber dem SRK als Auftragnehmer übergeordnet sind (Bender, 2011, S. 52).  Mit der Totalrevision der Bundesverfassung im Jahr 1999 und der Verabschiedung eines neuen Bundesgesetzes über die Berufsbildung erfolgte die allmähliche Übergabe der Kompetenz für die Ausbildung in den Gesundheitsberufen vom SRK an die Kantone und anschliessend an den Bund. So unterliegen die Gesundheitsberufe seit 2002 dem Bundesrecht.

Inventarisierung der Daten

Als primäre Datenquelle wurden statistische Jahresberichte von 1966–2005 des SRK herangezogen, die grösstenteils durch das Projektteam bereitgestellt und teils im Bundesarchiv, teils in der ZB Zürich aufzufinden waren. Die Quellen zeigen sehr gut den zunehmenden Ausbau der Statistik durch die Hinzunahme weiterer Kategorien, wie z.B. die Auslastung einzelner Ausbildungsprogramme oder Gründe über die vorzeitigen Austritte der Auszubildenden.

Im Rahmen dieses Praktikums wurden als Daten das Total aller erteilten Diplome, die vom SRK gegengezeichnete Diplome, die Ein- und Austritte, Austrittsgründe sowie Auslastung und Kapazität der Ausbildungsprogramme erfasst. Aufgrund der begrenzten Praktikumszeit konnte mit der Erfassung der Anzahl Ausbildungsprogramme nach Kantonen, den Schulstandorten sowie deren einzelne Auslastung nur ansatzweise begonnen werden. Neben der Datenerfassung wurde auch Quellenmaterial beschafft und zur weiteren Benutzung für das Projektteam digitalisiert.

Erste Befunde

Die folgende Grafik zeigt die Anzahl ausgestellter Diplome und bildet in chronologischer Reihenfolge das Hinzukommen weiterer Berufszweige ab.

Abb. 1: Anzahl Diplome und chronologische Reihenfolge der aufkommenden Berufszweige

Abbildung 2 zeigt die ersten fünf vom SRK angebotenen und reglementierten Berufsausbildungen zur Allgemeine Krankenpflege (AKP), Praktische Krankenpflege (PKP), Medizinische LaborantInnen (MLAB), Wochenpflege, Säuglings- und Kinderkrankenpflege (KWS), Psychiatrische Krankenpflege (PSY). Deren Entwicklung soll im Folgenden mithilfe der erfassten Daten sowie der dazu gewonnenen Kontextinformationen kurz dargestellt werden.

Abb. 2: Anzahl vom SRK gegengezeichneter Diplome der fünf ersten Berufszweige

AKP: Der Ausbildungszweig zur allgemeinen Krankenpflege besteht in seinen Ursprüngen weit länger als das SRK. Wie bereits erwähnt, bildete sich dieser Beruf aus einer konfessionellen Tradition heraus und blieb sehr lange unreglementiert. Erst seit der Festlegung von Ausbildungsrichtlinien im Jahr 1948 wurden alle Schwestern der allgemeinen Krankenpflege beim SRK registriert. Seit 1949 zudem auch Schwestern mit ausländischen Diplomen, die als äquivalent zu den SRK-Bestimmungen gelten (SRK-Jahresbericht, 1963). Bis Mitte der 1990er-Jahre wurden in diesem Ausbildungszweig der nichtärztlichen Gesundheitsberufe die meisten Diplome erworben.

PKP: Als Grund für die Entwicklung dieses neuen Berufszweigs wurde die dringliche Erweiterung des Pflegepersonals genannt (SRK-Jahresbericht, 1961). Die Ausbildung der Hilfspflegerinnen sollte kürzer, auf tieferem Niveau und in der praktischen Tätigkeit niederschwelliger erfolgen und mit einem «Fähigkeitsausweis SRK» abschliessen. Ab 1962 wurden erste Schulen zunächst provisorisch vom SRK anerkannt und von ersten Diplominhaber:innen mit dem damaligen Titel «Hilfspflegerinnen und -pfleger für Betagte und Chronischkranke» verlassen. Ab 1969 folgte die Umbenennung des Berufstitels in «KrankenpflegerIn FA SRK», mit Gleichbleiben der Diplomart.

MLAB: Ab 1961 befasste sich die Konferenz der kantonalen Sanitätsdirektoren damit, die Berufsausbildung sowie Diplome zu den medizinischen Laborantinnen (MLAB) durch das SRK anerkennen zu lassen und mögliche Bedingungen dafür zu erfüllen (SRK-Jahresbericht, 1961). Im Jahr 1963 wurden schliesslich die Anerkennungsgesuche von Laborantinnenschulen durch das SRK bewilligt (SRK-Jahresbericht, 1963).

KWS: Ab 1964 setzte sich Berufsverband der KWS-Schwestern für die SRK-Anerkennung ein. Davor war die Ausbildung über den Verband diplomierter Schwestern für Wochen- Säuglings- und Kinderpflege organisiert und geregelt (SRK-Jahresbericht, 1965). Ab 1967 wurden die ersten vier Schulen vom SRK provisorisch anerkannt (SRK-Jahresbericht, 1967), weitere Anerkennungen folgten kurz darauf und führten 1969 zu ersten SRK-Diplomen.

PSY: 1967 wurde vom SRK das Reglement für die Anerkennung von psychiatrischen Krankenpflegeschulen erlassen. 1968 traten die Richtlinien für die Ausbildung an den Schulen in Kraft. Dementsprechend wurden ab 1970 erstmals die Diplome in diesem Ausbildungsprogramm vom SRK gegengezeichnet, die ehemals seit 1949 von der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie ausgestellt worden sind (SRK-Jahresbericht, 1969). Aus der erstellten Statistik geht deutlich hervor, dass dieser Berufszweig den höchsten Anteil Männer im Vergleich zu den anderen Ausbildungsprogrammen verzeichnete.

Quellen und Literatur

Bender, P. (2011). Ausbildung in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen. Chronik und Aspekte des Wandels 1976–2006. Bern. Schweizerisches Rotes Kreuz.

Jahresberichte des Schweizerischen Roten Kreuzes, 1961, 1963, 1965, 1967, 1969.

Hägi, L. & Kessler, S. (2023). Die Politik statistischer Zahlen. In L. Hägi, L., S. Kessler, T. Lehner-Loosli & N. Quiring (Hrsg.), Erziehung und Bildung in Wissenschaft und Politik. Beiträge zu Verflechtungen, Wissensordnungen, Bildungsplanung und Bildungspolitik. Bibliothek am Guisanplatz.

Statistische Jahresberichte des Schweizerischen Roten Kreuz von 1960-2005.

Valsangiacomo, E. (1991). Die Entstehungsgeschichte der ersten Richtlinien von 1925. In E. Valsangiacomo (Hrsg.), Zum Wohle der Kranken. Das Schweizerische Rote Kreuz und die Geschichte der Krankenpflege. Basel. Schwabe.

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