Mehrere aufrechte Arven auf einer Alpweide

Die Entdeckung der majestätischen Zirbe – Königin der Alpen

Ein Beitrag von Sheldon Masseraz

Abbildung 1 : Die Königin der Alpen
Pinus cembra L.

Die Geschichte der Kieferngewächse (Familie Pinaceae) und der Gattung Pinus reicht mehr als 300 Millionen Jahren zurück, als die ersten Nacktsamer aufkamen. Die aus der Nordhemisphäre stammende Familie umfasst heute mehr als 230 Arten in 11 Gattungen. Dazu gehören: Tanne, Fichte, Kiefern, Douglasien, Eiben, Zedern u.a. Die Zirbe (Pinus cembra L.) (9), auch Arve oder Zirbelkiefer genannt, gehört zur Gattung der Kiefern resp. Föhren (Pinus), welche ca. 113 Arten umfasst. Ausser einer Art kommen sie ausschliesslich in der Nordhalbkugel vor.

Viele Nadelbäume werden dank ihres vertikalen Wuchses mit ihren waagrecht abstehenden Seitenästen recht hoch, dick und alt. Die Arve erreicht Höhen bis 25 m und ein Alter, das über mehrere Jahrhunderte dauert. (2, 5)

Abbildung 2 : mehrere Zirben

Ein anpassungsfähiger Baum

Während des Spätglazials und frühen Holozäns befand sich die Arve in tiefen Lagen von Mittel- und Osteuropa. Heute wächst sie ab 800m in den Karpaten (Rumänien, Slowakei, Ukraine, Polen) und zwischen 1500m und 2500m in den Alpen (Österreich, Schweiz, Norditalien)(1, 7, 10). In der Schweiz ist Pinus cembra hauptsächlich im Wallis und im Engadin anzutreffen, ein subalpiner Raum mit herausforderndem Klima. Tiefe Temperaturen, Trockenheit, nährstoffarme Böden und einen hohen Anteil an Ozon und UV-Strahlung verlangen besondere Schutzmechanismen, um zu überleben (1). Die Arve passt sich schon früh als Keimling an diese Bedingungen an, indem sie ihre ganze Energie zuerst in die Wurzelbildung investiert. So erhöht sie ihre Überlebenschancen. Während die Zirbe wächst, entwickelt sie eine dicke, grau-grüne Rinde, die Temperaturen von bis zu 400°C toleriert und somit Waldbrände überstehen kann. Im Gegensatz dazu brennen die dünnen, geraden und bläulichen Nadeln. Die Nadelabdeckung ist jedoch so dicht, dass sie die darunterliegenden Gewebe schützt. Dies ermöglicht nach einem Brand das Austreiben neuer Nadeln. Interessanterweise keimen die Samen besser, wenn sie auf verbrannte Erde fallen. Auch die Äste können in Zeiten der Dürre den gesamten Organismus schützen, indem sie einzeln verdorren und abfallen (3, 9).

Abbildung 3 : ein Zirbenkeimling

Unsere kräftige Arve hat noch einige unterirdische Tricks auf Lager. Die starken, lateralen Wurzeln des Baums fördern seine Stabilität und ermöglichen ein Wachstum auf dünnen und nährstoffarmen Böden. Hinzu kommt die sogenannte Mykorrhiza Symbiose, bei der der Baum eine besondere Freundschaft mit Pilzen eingeht. Die Zirbe versorgt den Pilz mit Nahrung (meist Zucker), währenddessen der Pilz der Arve Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor und Kalium liefert. Diese Symbiose führt zu einem stärkeren Wachstum und erhöhter Vitalität für die Zirbe. Ein weiterer wichtiger Vorteil dieser Symbiose ist eine erhöhte Resistenz gegenüber Frost und Schädlinge. Zirben ohne Symbiose wachsen nicht nur langsamer, sondern sind auch anfälliger für Krankheitserreger und Schwermetalle (3, 9).

Wie wir nun gesehen haben ist die Arve überdurchschnittlich widerstandsfähig gegenüber der Gefahren der Natur. Dem Menschen ist sie aber schutzlos ausgeliefert. Durch die übermässige Holzgewinnung und der alpinen landwirtschaftlichen Nutzung hat sich die Verbreitung von Pinus cembra im Laufe der letzten Jahrhunderte deutlich reduziert (2). In der Schweiz wuchs der Baum einst in zahlreichen Tälern, bis er abgeholzt wurde. Die obere Waldgrenze, die stark von der Zirbe geprägt war, wurde durch über 1000 Jahre lang Beweidungspraxis um mehrere hundert Meter gesenkt. Dank des Rückgangs menschlicher Aktivitäten im Hochgebirge im letzten Jahrhundert konnten die Zirben an den verlassenen Feldern und Weiden am Waldrand wieder wachsen. Dies geschieht jedoch langsam, da die Arve erst nach 40 Jahren erstmals blüht und Zapfen bildet und diese reifen alle zwei Jahre (7).

Abbildung 4 : Illustration von
Pinus cembra

Ein Holz zum Träumen

Der vertikale Wuchs der Gattung Pinus wirkt sich positiv auf die Holzqualität aus und ergibt ein Holz, das durch seine Leichtigkeit, Elastizität, Robustheit und Langlebigkeit ein beliebtes Baumaterial ist. Das gelb-rote Holz der Pinus cembra zeichnet sich durch seine Härte und geringe Schrumpfbarkeit aus. Es ist sowohl als Baumaterial geeignet, wie auch als Ausgangsmaterial für Skulpturen und Kunstwerke (2, 3).

Abbildung 5 : Zirbenrinde

Das Zirbenholz hat auch Auswirkungen auf unseren Schlaf. Seit Jahrzehnten wird die Zirbe in Regionen, in denen sie vorkommt (Tirol, Süddeutschlands, Norditalien und die Schweiz), bevorzugt zur Herstellung von Betten und Wandverkleidungen verwendet. Der Grund dafür liegt in der beruhigenden und wohltuenden Wirkung des Holzes, das auf seinen hohen Gehalt an flüchtigen Komponenten wie α-Pinen und Limonen aus dem enthaltenen Zirbenharz zurückzuführen ist. Diese volatilen Moleküle sind bekannt für ihre stimulierende Wirkung auf den Vagusnerv, ein Nerv, der für unsere Herzfrequenz, Immunfunktion, Stressregulierung und Entspannung von zentraler Bedeutung ist. Eine erhöhte Aktivität dieses Nerves wirkt entzündungshemmend und senkt die Herzfrequenz. Einigen Studien zu folge, kann das Schlafen in einem Zirbenbett die Anzahl der Herzschläge pro Nacht reduzieren. Selbst die Berührung von Zirbenholz soll auf unseren Körper ähnlich wirken und Entspannung und Stressreduktion fördern. Die Umarmung von Bäumen, die oft mit der Hippie- Bewegung assoziiert wird, gewinnt durch diese Erkenntnisse eine neue Bedeutung. Aufgrund dieser Studien explodierte der Markt an Schlafzimmermöbel aus Arvenholz (6, 9).

Nun ist es interessant, ein bisschen hinter die Kulissen dieser erholungsfördernden Duftstoffe zu schauen. Der Geruch des Harzes und des Holzes besteht aus sogenannten Terpenen. Es wird geschätzt, dass unsere Zirbe über 800 verschiedene Terpene enthält, von denen bisher nur 125 identifiziert wurden. Diese Terpene sind in jedem Teil der Pflanze enthalten und verleihen ihr therapeutische Eigenschaften wie Entzündungshemmung, antibakterielle Wirkung, Schmerzlinderung, Angst- und Stresslinderung. Es wurde sogar festgestellt, dass Terpene als Antibiotika dienen können (9).

Ein wunderbares Harz…

Die Arve wächst unter extremen Klimabedingungen und ist anfällig für Krankheitserreger wie Pilze und Bakterien. Um diese Stressfaktoren zu überwinden, produziert sie eine hohe Menge von Antioxidantien und antimikrobiellen Substanzen, die im Harz enthalten sind (1).

Abbildung 6 : Zirbenharz auf der Rinde

Aufgrund dessen wird das Zirbenharz auch medizinisch genutzt. Eine daraus hergestellte Salbe dient gegen kleine Hautverletzungen und Akne. Zudem wirkt der Duft beruhigend.

In Mittelamerika hat das Pinienharz eine hohe kommerzielle Bedeutung. Dort werden Kiefern für ihr goldenes Blut kultiviert, das zu Terpentinöl verarbeitet wird, um Verdünner oder Lösungsmittel für Anstrichmittel herzustellen. Leider werden bei der Ernte den Bäumen oft grosse Wunden zugeführt, was die Bäume schwächt. Es ist jedoch möglich, das Harzklopfen sanft und effizient durchzuführen, sodass der Baum vollständig gesund bleibt, wie es bei der Wildsammlung von Zirbenharz der Fall ist (5).

aber auch…

Abbildung 7 : Zirbennadeln

Rinden und Nadeln haben ihren Wert. Die schuppige Rinde des Baums enthält eine hohe Menge an Flavonoiden, Phenole und Proanthocyanidine, die alle für ihre antioxidativen, antimikrobiellen, und entzündungshemmenden Eigenschaften bekannt sind (1). Auch die Zirbennadeln haben ähnliche Eigenschaften. Laut aktueller Forschung zeigen Arvennadeln zytotoxische Wirkungen gegen eine Vielzahl von Krebszellen. Es wurden mehrere Komponenten mit Antitumoraktivität entdeckt, die die Proliferation von Krebszellen stoppen können (8). Extrakte oder Isolate aus Pinus cembra Nadeln könnten in Zukunft eine zusätzliche Hilfe in der Krebstherapie sein. Im Jahr 2007 wurde sogar ein Patent für Nadelholzterpene zur Behandlung von Krebserkrankungen eingereicht (9). Schliesslich enthalten Äste und Zapfen Stoffe, die Sauerstoffradikale wie Ozon abbauen können.

Keine Pinus-Arten ohne ätherische Öle

Obwohl alle Teile der Zirbe ätherische Öle enthalten, werden häufig nur die Nadeln und Zweige zur Gewinnung verwendet. Diese werden mittels Wasserdampfdestillation extrahiert. Die flüchtigen Öle steigen zusammen mit dem heissen Dampf hoch und werden nach Abkühlung in einem Gefäss aufgefangen (2, 9).

Abbildung 8 : Zirbenzapfen und -Nadeln

In einigen Regionen von Österreich und Italien hat das ätherische Öl von Pinus cembra eine wirtschaftliche Relevanz. Es findet in vielen Branchen Anwendung, wie in der Pharmazie, Lebensmittelindustrie (z.B. zur Likörherstellung), Kosmetik- und Parfümindustrie. In der Medizin und Aromatherapie werden sie genutzt, um das Wohlbefinden zu fördern, dank ihrer oben erwähnten therapeutischen Eigenschaften (2, 7, 9).

Eine Königin, die auch schmeckt

Vor etwa 2400 Jahren erwähnte Hippocrates Kiefernrinde als Heilmittel für entzündliche Erkrankungen. Sowohl frisch, getrocknet als auch geröstet wurde die Rinde damals in Nordeuropa und Amerika verzehrt, ohne zu wissen, dass sie einen hohen Gehalt an Flavonoiden (Antioxidantien) und Vitamin C hat. Im Mittelalter wurde Kiefernrinde zur Wundheilung verwendet. Heute noch findet die Rinde der Arve in der traditionellen Medizin Anwendung zur Behandlung verschiedener Beschwerden wie Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen, sowie Diabetes mellitus (8).

Abbildung 9 : reife Zirbenzapfen

Überraschenderweise war die Pinus cembra bereits im Mesolithikum kulinarisch interessant. Vor etwa 15000 Jahren waren Zirbenkerne sogar ein Luxusprodukt. Aufgrund ihrer weichen, harzigen Zapfen waren die Samen des Baums damals schwer zu ernten, was dazu führte, dass sie in sehr geringen Mengen verfügbar waren, obwohl sie gerne gegessen wurden (10).

Die Samen der Zirbe schmecken nicht nur gut, sondern sind auch aufgrund ihres Nährstoffgehalts attraktiv. Sie enthalten eine Mischung von Proteinen (17-18%), Fetten (50- 59%) und Kohlenhydraten (17%). Die enthaltenen Fette sind gesunde einfach ungesättigte Fettsäuren, ähnlich wie im Olivenöl. Sie enthalten auch fettlösliche Vitamine wie Vitamine B1, B2 und B3. In Sibirien war das Öl der sibirischen Zirbe (Pinus sibirica, oft als Unterart der Pinus cembra betrachtet) ein Grundnahrungsmittel und hatte vor der Globalisierung und dem Aufkommen anderer pflanzlicher Öle wie Sonnenblumenöl eine große wirtschaftliche Bedeutung (9, 10).

Eine andere kulinarische Spezialität findet man im Aostatal neben dem Nationalpark Gran Paradiso. Unreife Zapfen werden als Aromastoff für Likör und Grappa verwendet. Darüber hinaus dienen sie zur Herstellung eines Sirups gegen Atemwegserkrankungen wie Husten, Bronchitis und Erkältung (4).

Wissen weitergeben

Dieses traditionelle Wissen ist jedoch meist nur bei den älteren Bevölkerungsgruppen bekannt und kann leicht verloren gehen, wenn keine Dokumentation erstellt wird oder sich keine neuen Generationen damit befassen. Wie wir nun gelesen haben, bietet uns die Königin der Alpen viel mehr, als wir auf den ersten Blick denken. Sie ernährt uns, verbessert unseren Schlaf, beruhigt uns, pflegt unsere Haut usw. Um dieses wertvolle Wissen weiterzugeben, ist seine Aufzeichnung unentbehrlich. Dieser Beitrag dient nicht nur als Entdeckungsreise in die Welt der majestätischen Zirbe, sondern trägt auch zur Erhaltung und Weitergabe des ethnobotanischen Wissens und der biokulturellen Vielfalt bei.

Abbildung 10 : die majestätische Zirbe

Bibliographie

1. Apetrei, Cristina Lungu, Cristina Tuchilus, Ana Clara Aprotosoaie, Adrian Oprea, Karl Egil Malterud, and Anca Miron. ‘Chemical, Antioxidant and Antimicrobial Investigations of Pinus cembra L. Bark and Needles’. Molecules 16, no. 9 (13 September 2011): 7773–88. https://doi.org/10.3390/molecules16097773.

2. Chizzola, Remigius, Felix Billiani, Stefan Singer, and Johannes Novak. ‘Diversity of Essential Oils and the Respective Hydrolates Obtained from Three Pinus cembra Populations in the Austrian Alps’. Applied Sciences 11, no. 12 (January 2021): 5686. https://doi.org/10.3390/app11125686.

3. Contini, Laurence, and Yves Lavarelo. Le Pin Cembro, Pinus cembra L: Répartition, Écologie, Sylviculture et Production. Paris: Institut national de la recherche agronomique, 1982.

4. Danna, Cristina, Laura Poggio, Antonella Smeriglio, Mauro Mariotti, and Laura Cornara. ‘Ethnomedicinal and Ethnobotanical Survey in the Aosta Valley Side of the Gran Paradiso National Park (Western Alps, Italy)’. Plants 11, no. 2 (January 2022): 170. https://doi.org/10.3390/plants11020170.

5. Farjon, Aljos, and Brian T. Styles. Flora Neotropica. Monograph 75: Pinus (Pinaceae) / Aljos Farjon and Brian T. Styles. New York: New York Botanical Garden, 1997.

6. Grote, Vincent, Matthias Frühwirth, Helmut K. Lackner, Nandu Goswami, Markus Köstenberger, Rudolf Likar, and Maximilian Moser. ‘Cardiorespiratory Interaction and Autonomic Sleep Quality Improve during Sleep in Beds Made from Pinus cembra (Stone Pine) Solid Wood’. International Journal of Environmental Research and Public Health 18, no. 18 (January 2021): 9749. https://doi.org/10.3390/ijerph18189749.

7. Lis, Anna, Aleksandra Kalinowska, Agnieszka Krajewska, and Karolina Mellor. ‘Chemical Composition of the Essential Oils from Different Morphological Parts of Pinus cembra L.’ Chemistry & Biodiversity 14, no. 4 (2017): e1600345. https://doi.org/10.1002/cbdv.201600345.

8. Lungu, Cristina, Cosmin-Teodor Mihai, Gabriela Vochita, Daniela Gherghel, Sorin-Dan Miron, Ana Clara Aprotosoaie, and Anca Miron. ‘Cytotoxic Activity of Pinus cembra L. Needle Extract: A Preliminary Study on HeLa Cell Line’. Romanian Journal of Pharmaceutical Practice 14, no. 2 (1 June 2021): 93–98. https://doi.org/10.37897/RJPhP.2021.2.5.

9. Moser, Maximilian. Die Kraft der Zirbe. 1. Auflage. Wals bei Salzburg: Servus, 2019.

10. Pokorný, Petr, Petr Šída, Michaela Ptáková, and Ivo Světlík. ‘A Little Luxury Doesn’t Hurt: Swiss Stone Pine (Pinus cembra L.) – an Unexpected Item in the Diet of Central European Mesolithic Hunter-Gatherers’. Vegetation History and Archaeobotany 32, no. 3 (1 May 2023): 253–62.

Abbildungen

Abbildung 1 : Unter der Genehmigung Philippe Juillerat, https://www.infoflora.ch/fr/flore/pinus- cembra.html

Abbildung 2 : Wolfgang Moroder, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Odles_Cisles_y_Mastle_pinus_Cembra.jpg

Abbildung 3 : Ude, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/Pinus_cembra#/media/File:Pinus_cembra_shoot.jpg

Abbildung 4 : CC Public Domain, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schlumbach.jpg

Abbildung 5 : Unter der Genehmigung Ernesto Léon Marty, www.lésura.ch

Abbildung 6 : Unter der Genehmigung Ernesto Léon Marty, www.lésura.ch

Abbildung 7 : Meneerke bloem, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/Pinus_cembra#/media/File:Pinus_cembra_leaves.jpg

Abbildung 8 : Robert Flogaus-Faust, CC BY-SA 4.0,, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pinus_cembra_RF.jpg

Abbildung 9 : Unter der Genehmigung Ernesto Léon Marty, www.lésura.ch

Abbildung 10 : Unter der Genehmigung Ernesto Léon Marty, www.lésura.ch