Unter Blumen ruhen sie

Unter Blumen ruhen sie

Briefe der Vereinigung Freunde des Botanischen Gartens der Universität Zürich

57. Jahrgang, Nr. 4 September 2023

Ein Beitrag von Selina Knöpfli

Überlegen Sie kurz – wann waren Sie das letzte Mal auf einem Friedhof? Was haben Sie dort gemacht? Nahmen Sie an einer Beisetzung teil? Haben Sie das Grab einer verwandten oder bekannten Person besucht? Oder sind Sie einfach spaziert und haben die bunten Blumen bewundert?

Abbildung 1: Eine der beliebtesten Grabpflanzen ist die hitze- und trockenheitsbeständige Dipladenia (Mandevilla sanderi [Hemsl.] Woodson, Apocynaceae)

Mit Friedhöfen sind vielerlei Assoziationen verbunden. Manche Menschen meiden sie, weil sie ans Sterben und den Tod erinnern. Andere suchen sie als Oase der Ruhe gezielt auf. Die meisten Leute in unserem Kulturkreis haben Verwandte oder Bekannte, die auf einem Friedhof beerdigt sind, und etliche besuchen die Gräber regelmässig. Hierbei spielen Pflanzen eine grosse Rolle. Man legt eine Rose oder einen hübschen Kranz aufs Grab. Nach einer Hitzeperiode bringt man ein Töpfchen mit den reich
blühenden Glockenblümchen mit, damit das Grab ordentlich aussieht – so-
fern es das Friedhofsreglement zulässt.

Früher …
Was uns hier so selbstverständlich und gewohnt erscheint, ist eigentlich eine neue Entwicklung. Die längste Zeit wurden die Verstorbenen in schmucklosen Gräbern bestattet, häufig ohne Bezeichnung der Person, die dort lag. Erst im Zuge der Aufklärung, als das Friedhofs- und Bestattungswesen von der Kirche in die Hand der politischen Gemeinde überging, konnte sich jede Person ein ordentliches und gepflegtes Grab leisten (Lit. 1). Zusätzlich förderte die aufkommende Vorstellung von Friedhöfen als Orte der stillen Andacht und Trauer in einer friedvollen Atmosphäre die Verbreitung von Friedhofs- pflanzen (Lit. 2).
In Zürich sind die ersten Grabbepflanzungen im Jahr 1821 belegt. Es handelte sich hierbei um Rosenstöcke, die zusammen mit einer Nummer die Gräber auf dem St. Peter-Friedhof markierten (Lit. 3). Danach nahm die Vielfalt verwendeter Grabpflanzen rasch zu: 1875 wurden auf einer Liste mit empfohlenen Pflanzen 45 Arten vermerkt, 1891 waren es bereits deren 117 (Lit. 4 und 5).

Abbildung 2
Ein wahres Blumenmeer auf einem Grab:
Im Rahmen einer Studie liessen sich unglaubliche 610 verschiedene Taxa von Grab-Pflanzen auf Deutschschweizer Friedhöfen finden!

… und heute?
Wagen Sie einmal den Versuch und fragen Sie ihre Bekannten oder Verwandten, was typische Friedhofspflanzen seien. Bestimmt werden Sie ganz unterschiedliche Antworten erhalten. Eine Studie auf 21 Friedhöfen in den Deutschschweizer Kantonen zeigte eine immense Vielfalt an verwendeten Pflanzen (Lit. 6). Allein im Sommer 2020 wurden 610 verschiedene Taxa gezählt (Abb. 2). Spricht man mit den Leuten auf den Friedhöfen, so ist die Vorstellung typischer Friedhofspflanzen von Mensch zu Mensch verschieden: Friedhofsverwalter:innen und -gärtner:innen legen Wert darauf, dass die Pflanzen günstig in der Beschaffung und einfach in der Pflege und der Entsorgung sind, schliesslich werden die Gräber saisongerecht mehrmals pro Jahr bepflanzt. Als sehr geeignete Friedhofspflanze wird deshalb fast immer die Eisbegonie (Begonia Semperflorens-Cultorum Gruppe, Begoniaceae) genannt, die klassischen «Begöneli», wie sie im Volksmund bezeichnet werden (Abb. 3). Besucher:innen, welche die Gräber selbst bepflanzen, richten sich hingegen nach ihrem persönlichen Geschmack , suchen nach Arten, die (noch) nicht das Etikett «Friedhofspflanze» tragen und versuchen, den Pflegeaufwand gering zu halten. So ist gerade in katholischen Regionen, wo die Friedhöfe oft mit Kies bestreut sind, die hitze- und trockenheitsbeständige Dipladenia (Mandevilla sanderi [Hemsl.] Woodson, Apocynaceae) eine der beliebtesten Grabpflanzen (Abb. 1)

Abbildung 3
Die klassischen «Begöneli»
(Begonia Semperfl orens-Cultorum Gruppe) schmücken viele Gräber.

Aber ordentlich muss es sein
Für alle Personen ist jedoch absolut zentral, dass die Gräber schön und ordentlich aussehen, sei es, weil sie sich der Gemeinde verpflichtet fühlen, ihren Berufsstolz wahren wollen oder den Verstorbenen damit einen Dienst erweisen möchten. Übrigens findet man fast alle Typen von Pflanzen auf Gräbern, von Bäumen über Beerensträucher und Saisonpflanzen bis zu Kakteen und anderen Zimmerpflanzen. Eine Ausnahme gibt es aber: Ausser zuweilen einem Zierkohl oder einer Zierchili wird grundsätzlich kein Gemüse auf Gräbern gezogen.
Selina Knöpfli, wiss. Mitarbeiterin, Botanischer Garten der UZH

Literatur 1
Sörries, R. (2011) «Ruhe sanft. Kulturgeschichtedes Friedhofs.» 2. Auflage, Kevelaer, Deutschland: Butzon & Bercker, Seiten 129 – 130
Literatur 2
Hauser, A. (1994) «Von den letzten Dingen –Tod, Begräbnis und Friedhöfe in der Schweiz.»
Zürich, NZZ Verlag, Seiten 155 – 161
Literatur 3
Michel, R. (2002) «Der Friedhof Sihlfeld in Zürich-Wiedikon» Schweizerische Kunstführer GSK, Serie 73 (723/724), Seiten 5 – 6
Literatur 4 und 5
«Preisverzeichniss» (1878) sowie «Preisverzeichniss der gangbarsten Pfl anzen auf Gräbern und Grabplätzen» (1891) von G. A. Bernhauser, Friedhofgärtner im Städt. Zentralfriedhof Wiedikon
Literatur 6
Knöpfli, S. D. (2021) «Biodiversity and meanings of plants on cemeteries in German speaking Switzerland» Master thesis at the Department of Evolutionary and Systematic Botany, University of Zurich

Abbildungen

Abbildungen 1-3: Selina Knöpfli