Evolution in unserem Garten

Evolution in unserem Garten

57. Jahrgang, Nr. 3, Juli 2023

Briefe aus dem Botanischen Garten der Universität Zürich

Ein Beitrag von Reto Nyffeler

Drei mit Schneckenzäunen eingefasst Beete. Stellt den Evolutionsgarten dar.
Der neue Evolutionsgarten des Botanischen Gartens UZH

Die 4 Milliarden Jahre …
… währende biologische Evolution hat seit der Entstehung des Lebens auf unserer Erde eine immense Vielfalt an Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen hervorgebracht. Heute sind etwa 1.8 Millionen rezente Arten wissenschaftlich benannt;
man schätzt jedoch, dass gut und gerne das Zehnfache der bereits bekannten Arten auf unserem Planeten lebt. Durch das Wirken der Evolutionsprozesse entstehen laufend neue Arten,
gleichzeitig aber – und dies vermehrt durch die negativen Einflüsse des Menschen – sterben Arten auch wieder aus. Vergleichsweise umfassen und detailreich ist unser Kenntnisstand zur Vielfalt der Landpflanzen: etwa 350 000 rezente Arten werden unterschieden.
Der Begriff Evolution meint im ursprünglichen Verständnis «Entfaltung», abgeleitet vom lateinischen
evolvere. Als Ausdruck für «Wandel im Laufe der Zeit» wurde das Wort Evolution von Charles Darwin (1809 – 1882) zum ersten Mal im heutigen Sinne verwendet. Dies nicht in der ersten, aber in einer späteren Auflage seines berühmten Werkes über die Entstehung der Arten, und zwar im Jahr 1873 (Literatur 1).
Die biologische Evolution als «descent with slow modification» erklärt nach seiner Theorie die Entstehung und Entwicklung der Vielfalt der Lebewesen auf unserer Erde. Darwin nutzte hierfür auch Beobachtungen über die Züchtung von Tauben; er zeigte, dass Selektion von Individuen aus einer vielfältigen Gruppe zu vererbten Veränderungen und schliesslich zur Weiterentwicklung von Arten
führt. Gerichtete künstliche Selektion durch den Menschen bei Zier- und Nutzpflanzen veranschaulicht die wirkenden evolutiven Mechanismen und macht diese für uns fassbar.
Unser Konzept …
Die Evolution der Landpflanzen wird dem Publikum in vielen botanischen Gärten in Form eines «Evolutionsgartens» nähergebracht. Das Augenmerk liegt dabei fast ausschliesslich auf der
Präsentation der verschiedenen Pflanzengruppen, welche im Laufe der Erdgeschichte entstanden sind.
Wir vom Botanischen Garten der Universität Zürich thematisieren die Geschichte der Pflanzen in der Form von einem Themenrundgang mit dem Titel «Pflanzen mit Langzeitgedächtnis». Unser neu konzipierter Evolutionsgarten hingegen soll das Augenmerk auf die Evolutionsprozesse legen und auf deren Nutzung durch den Menschen für die Pflanzenzucht.
… 5 Themen-Beete
Unser Evolutionsgarten zeigt fünf Kulturbeete (Abb 1), eingefasst von Schneckenzäunen. Dieses Element nimmt Bezug auf die Kultur von verschiedenen Zier- und Nutzpflanzen, welche sich durch künstliche Selektion von bevorzugten Eigenschaften durch den Menschen «entfaltet», oder eben evolviert haben.
1 Beet widmet sich der Arten- und Sortenvielfalt von Akelei. Die Gattung Aquilegia zählt 70 bis 80 Arten und ist in den temperaten Regionen der Nordhemisphäre weit verbreitet. Sie kommt in einer Vielzahl verschiedener Lebensräume vor und zeigt eine breite Palette von Anpassungen an unterschiedliche
Bestäuber. Schon seit längerer Zeit werden Sorten und Cultivare gezüchtet, insbesondere von der nordamerikanischen, langspornigen Art Aquilegia caerulea sowie der einheimischen
Aquilegia vulgaris, die nur einen kurzen Sporn trägt.

Sprossranke der Horngurke, (Cucumis metuliferus), ein Kürbisgewächs.
Blumenkohl (Brassica oleracea var. botrytis).

2 Beete zeigen die Vielfalt der in diversen Erdregionen genutzten lokalen Arten und Sorten der Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae; ca. 800 Arten) (Abb 2). Themen sind zudem die Züchtung der Wassermelone (Citrullus lanatus) aus Wildformen und die Auslese unterschiedlicher Eigenschaften
und Nutzungsformen des Gartenkürbis (Cucurbita pepo; u.a. Zucchini) (Literatur 2).
2 Beete thematisieren die Domestikation von Gemüsekohl (Brassica oleracea) und Rübenkohl (Brassica rapa; auch Rübsen genannt) (Abb 3). Die kultivierten Sorten zeigen die unterschiedlichen Selektionsformen und die parallele Auslese in geographisch getrennten Regionen zu einer Vielfalt von Öl-, Gemüse- und Futterpflanzen mit teils ähnlichen Eigenschaften.
Unser Evolutionsgarten wird anlässlich einer Dienstagsführung am 29. August um 12.30 Uhr offiziell eröffnet. In deutscher und englischer Sprache formulierte Informationstafeln erklären die biologische Evolution und deren Bedeutung für die Züchtung von Zier- und Nutzpflanzen.


Reto Nyffeler, Leitung Herbarium und Co-Gartenleiter

Literatur:

[1] Darwin, C. R. 1859 «On the origin of species by means
of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life.»
London: John Murray (First edition)
[2] Chomiki, G. et al. (2019) «Origin and domestication of Cucurbitaceae crops:
insights from phylogenies, genomics and archaeology.» https://nph.onlinelibrary.wiley.com/
doi/10.1111/nph.16015