Social Psychology @ UZH

Social Behavior in a Digital Society

Algorithmen entscheiden alles für uns

22. November 2016 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare |

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Von Somara Gantenbein

Gehören Sie auch zu den Menschen, die sich schon oft gefragt haben, warum das Internet immer weiss, welche Reise Sie gerade gebucht oder welchen blauen Pullover Sie zuletzt angeschaut haben und Ihnen dies oder Ähnliches jeweils in der Werbung auf diversen Seiten angezeigt wird? Verantwortlich dafür sind Algorithmen.

Was genau sind nun aber Algorithmen? Ein Algorithmus ist ganz einfach ausgedrückt eine Verfahrensanweisung, ähnlich wie ein Kuchenrezept. Die Grundlage dafür sind Daten über uns, die wir, oder auch Firmen, die wir mehr oder weniger bewusst dazu autorisiert haben, täglich im Netz preisgeben. Dabei wählt ein Algorithmus automatisch Elemente aus den zur Verfügung stehenden Daten aus und berechnet eine Antwort. Ein Algorithmus hört nie auf, aus den durchgeführten Berechnungen zu lernen, denn die erhaltenen Ergebnisse sind zugleich auch wieder neue Inputs für künftige Berechnungen eines Algorithmus.

Algorithmen, die autonome Entscheidungen treffen, verbreiten sich immer mehr und sind inzwischen in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens anzutreffen, beispielsweise bei Suchmaschinen (z.B. Google, Bing, Yahoo), sozialen Netzwerken (z.B. Facebook, Instagram, Twitter, Pinterest), Streaming-Anbietern (z.B. Spotify, Netflix), Nachrichtenportalen, Online-Shopping. Sie haben angefangen, unser alltägliches Leben und unsere Realität umzugestalten. Dass wir durch Algorithmen beeinflusst werden, wissen wir oft nicht oder nehmen es selbst nicht aktiv wahr. Anhand von unseren digitalen Aufzeichnungen wie beispielsweise Facebook-Likes können automatische und treffende Annahmen darüber gemacht werden, wer wir sind, was wir tun und denken (z.B. Ethnizität, Religion, Persönlichkeit, Arbeitsfeld, politische Einstellung, Lebenszufriedenheit). Abgesehen von der Reise und dem Pullover, weiss das Internet somit also viel mehr über uns, als uns bisher bewusst war.

Algorithmen entscheiden unter anderem darüber, welche Werbung wir angezeigt bekommen, welche Nachrichtenbeiträge uns erreichen und ob wir kreditwürdig sind. Unternehmen, die Algorithmen einsetzen, um gigantische Datenmengen zu analysieren und die Algorithmen dadurch weiterzuentwickeln, erhalten nicht nur grosse ökonomische Vorteile, sondern kontrollieren damit auch bereits jetzt grosse Teile unseres Lebens.

Abgesehen davon, dass die ethische Dimension von Algorithmen für Organisationen oftmals kein Thema ist, stellt sich an diesem Punkt die Frage, wie viel Kontrolle wir selbst im Internet überhaupt wollen. Denn Algorithmen erleichtern vieles und bringen auch viele Vorteile mit sich. Kreditkartenfirmen schützen mittels Algorithmen unsere Kreditkarteninformationen, wenn wir Onlineshopping betreiben. Personalisierte Film- bzw. Musikvorschläge auf Netflix und Spotify zu erhalten, ist angenehm. Die Informationsflut auf Google wird überschaubarer gemacht.

Schon Festinger (1957) beschrieb in seiner bekannten Theorie der kognitiven Dissonanz, dass Personen nach Konsistenz und Widerspruchsfreiheit in ihrem Gedanken- und Glaubenssystem streben. Sie empfinden es generell als unangenehm, wenn sie widersprüchliche Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen und Einstellungen haben. Daher versuchen sie diese sogenannte Dissonanz zu reduzieren. In Bezug auf soziale Netzwerke, Nachrichten und Streaming-Anbieter könnte man sagen, dass ein Algorithmus genau für eine solche Widerspruchsfreiheit sorgt. Er sorgt dafür, dass keine Dissonanz durch Beiträge und Informationen entsteht, die nicht in unser Schema passen. Denn aufgrund unseres bisherigen Online-Verhaltens filtert uns der Algorithmus genau die Dinge heraus, für die wir eine Präferenz haben und die mit unseren Ansichten übereinstimmen. Wir fühlen uns gut dabei.

Dass wir dazu neigen, Informationen so auszuwählen und so zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen, führt aber auch zu einer kognitiven Verzerrung. Diese Bestätigungsneigung hilft uns nicht dabei, unser Selbstkonzept weiterzuentwickeln, uns selbst politisch und kulturell zu bilden, und uns unabhängig zu fühlen.

In aktueller Zeit wurden auch Stimmen von Soziologen und Technologen laut, die besorgt sind, dass Algorithmen als eine Form „sozialer Kontrolle“ funktionieren. Mitte April dieses Jahres beschäftigte sich ein Hauptreferat der akademischen Konferenz „Theorizing the Web“ in New York City damit. Und auch der Internetaktivist Eli Pariser sprach über die Gefahr, die Algorithmen mit sich bringen können. Er nennt es die „Filterblase“, ein Phänomen, bei welchem Algorithmen effektiv Personen aus dem kulturellen und ideologischen Mainstream ausschliessen. Dies geschieht durch eine Kombination ihres eigenen Online-Verhaltens und den bestehenden Algorithmen, wodurch sie ein einzigartiges Informationsuniversum bilden, in welchem schlussendlich nur noch ihre politische Ansicht und blaue Pullover existieren. Dabei wissen Personen nicht, was ihnen aufgrund des Filters verwehrt bleibt. Provokativ gesagt, ist dies ein Rückschritt in frühere Zeiten, als wir noch nicht die Möglichkeit hatten, alle Informationen zu bekommen, als nicht alles so transparent war wie im World Wide Web.

Dass Algorithmen wirklich alles für uns bestimmen, lässt sich bezweifeln. Man kann allerdings sagen, dass Algorithmen zu wissen meinen, was wir sehen und wissen wollen. Sie enthalten uns dadurch gewisse Dinge vor und entmündigen uns auch teilweise. Einige von uns sind möglicherweise weniger konsistent in dem, was sie sich anschauen, sind offen für unterschiedliche Einstellungen, Ansichten, Meinungen oder suchen genau dies. Haben wir uns nicht alle zu einem gewissen Grad in das World Wide Web begeben, weil wir danach streben unseren Horizont zu erweitern, um uns auch mit Dingen auseinanderzusetzen, die ausserhalb unserer „Komfortzone“ liegen? Algorithmen bestimmen ja bereits einen grossen Teil unseres Online-Daseins. Bei sozialen Netzwerken wie beispielsweise Facebook und Instagram legt man sich aber bereits selbst durch seine Likes und Klicks seine eigene Welt zu recht. Dies wirft bei vielen Personen die Frage auf, wieso man da noch zusätzlich eine Selektion durch einen Algorithmus braucht. Schön wäre es, wenn Individuen selbst entscheiden könnten, ob eine Algorithmusfilterung zur Anwendung kommt oder nicht, und sie nicht automatisch in eine Filterblase geworfen würden. Die Entscheidungsfreiheit wäre toll – egal wo, ob bei Suchmaschinen, sozialen Netzwerken, Streaming-Anbietern, in Nachrichtenportalen oder beim Online-Shopping. Bis dahin appelliere ich an die World Wide Web-Besucher, öfter einmal zu hinterfragen, was sie alles sehen und was sie sehen wollen.

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