Social Psychology @ UZH

Social Behavior in a Digital Society

Facebook-Likes verraten etwas über unsere Persönlichkeit, aber das ist nicht das Problem!

31. December 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Johannes Ullrich

Im Neujahrstatort „Mord Ex Machina“ geht es um selbstfahrende Autos und nebenbei auch um psychologische Forschung zum Thema Facebook. Der Kommissar ist wenig beeindruckt von den Ergebnissen von Youyou und Kollegen (2015, Proceedings of the National Academy of Science), die vom Tatort-Team so zuzammengefasst wurden: Ab 300 Likes wüssten die Datenfirmen mehr über einen als er selber!

Ganz wie Psycholog_innen oft auf Parties begrüsst werden („Du analysierst mich bestimmt schon, oder?“), kann man natürlich auch psychologischer Forschung mit ehrfürchtigem Respekt vor der Möglichkeit des Durchschautwerdens begegnen. Man wird der Psychologie bloss nicht gerecht damit. Auch in diesem Fall behaupteten Youyou und ihre Kollegen gar nicht, mehr über eine zu wissen als sie selber. Ihre eigentliche Behauptung scheint jedoch auf den ersten Blick nicht weniger sensationell: Computer könnten genauere Persönlichkeitsurteile fällen als Menschen!

Was steckt dahinter? Weil Persönlichkeitseigenschaften wie Extraversion nicht direkt beobachtbar sind, verwenden Psycholog_innen verschiedene Datenquellen, um sich durch deren Übereinstimmung der Richtigkeit ihrer Urteile zu versichern. Dazu zählen unter anderem der Selbstbericht (Zustimmung zu Aussagen über uns selbst in einem Fragebogen), der Fremdbericht (Zustimmung zu Aussagen über eine andere Person in einem Fragebogen), und die Verhaltensbeobachtung. Genau dies haben Youyou und ihre Kollegen auch getan. Wie viele andere Studien auch haben sie gefunden, dass der Selbstbericht und der Fremdbericht eine gewisse Übereinstimmung zeigen, die jedoch nicht perfekt ist. Das erwartet aber auch niemand wirklich. Die Aussage „Ich bringe Leben in eine Feier“, die zur Messung von Extraversion verwendet wird, lässt sich ja nur sinnvoll beantworten, wenn man eine gewisse Anzahl von Verhaltensbeobachtungen gemacht hat und aus diesen die richtigen Schlüsse zieht. Sowohl die Anzahl der Beobachtungen als auch die Schlussfolgerungen werden naturgemäss nicht perfekt übereinstimmen zwischen Selbst- und Fremdbericht.

Neu an Youyous Studie ist die Übereinstimmung zwischen Selbstbericht und Facebook-Likes, die ähnlich hoch ist wie die Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdbericht (Arbeitskolleg_innen, Freunde, Familie, Partner_in), in Ausnahmefällen auch höher. Es ist ein wichtiger Beitrag, diese Übereinstimmung zu demonstrieren. Viele Menschen verbringen schliesslich einen grossen Teil ihrer Zeit mit Facebook, und es würden erhebliche Zweifel an den Methoden der psychologischen Persönlichkeitsmessung aufkommen, wenn die Aussagen, die Menschen über sich im allgemeinen machen, nicht auch zutreffen würden über ihr Verhalten im Facebook.

Warum sollte die Übereinstimmung zwischen Fragebogen und Facebook-Likes denn auch nicht so hoch sein? Es ist schliesslich dieselbe Person, die einen Fragebogen ausgefüllt hat (etwa mit der Aussage „Ich bringe Leben in eine Feier“), und von der wir wissen, ob sie etwas mag (etwa „partying“). Das heisst, dass beiden Datenquellen in etwa die gleichen Verzerrungen zugrundeliegen, die daher rühren, dass Menschen sich bei der Selbstdarstellung gerne in ein gutes Licht setzen. Über die genaue Berechnung der Übereinstimung zwischen Selbstbericht und Facebook-Likes lassen uns Youyou und Kollegen im Dunkeln. Das ist schade und untypisch für psychologische Forschung, die sich zunehmend zu Transparenz verpflichtet. Es ändert aber auch nichts an meinem Fazit, dass der Tatort-Kommissar zu Recht wenig beeindruckt ist von Youyous Studie. Überraschend wäre gewesen, wenn sie nicht gefunden hätte, was sie gefunden hat.

Youyou wünscht sich, dass Technologiefirmen und Gesetzgeber_innen sich stärker um Datenschutz kümmern, damit die Internetgebrauchenden mehr Kontrolle über ihre digitalen Fussabdrücke bekommen. Weil es den Technologiefirmen gar nicht um Persönlichkeit geht, sondern um profitversprechende Aufmerksamkeit für Webinhalte, hätte sie zu dieser Forderung allerdings auch ganz ohne die Persönlichkeitsstudie gelangen können. Wie der Neujahrstatort vor Augen führt, ist die Wirkung in der Öffentlichkeit bloss, dass die Ehrfurcht gegenüber dem Durchschautwerden von der Psychologie auf „die Computer“ übertragen wird. Kein Wunder tut sich der Kommissar damit schwer.

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Statt Brot nun Bytes für die Welt? Soziale Medien können Soziale Ungleichheit reduzieren

30. August 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Aniko Kahlert

759 Millionen Menschen weltweit haben nicht genug zu essen, um ein gesundes und aktives Leben zu führen. Gesetzt den Fall, all diese Menschen hätten auf einmal Zugang zu sozialen Medien und würden sie entsprechend nutzen, was würden sie posten? Einen leeren Teller? Überhaupt etwas, das wir, also die „WEIRD”os (Western, educated, and from industrialized, rich, and democratic countries) in sozialen Netzwerken sehen wollen? Wer möchte schon freiwillig tagtäglich mit dem Elend der Welt konfrontiert werden, wenn man stattdessen auch positive Bilder von attraktiven Menschen, atemberaubenden Reisezielen und den neuesten kulinarischen Trends sehen kann? Sind wir, wenn wir Social Media wie Instagram und Twitter benutzen, nicht vielmehr auf der Suche nach einer modernen Art des Eskapismus? Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass unter den 25 erfolgreichsten Nutzern Sportler und Celebrities unter sich sind. Doch keine Angst, unsere Heile-Welt-Blase ist nicht in Gefahr, denn wir WEIRDos sind online (noch) unter uns. Selbst wenn auf einmal überall in Afrika ein Internetzugang vorhanden wäre, bewegen wir uns doch in völlig anderen Onlinesphären, denn dank der Filtermöglichkeiten und der Funktionsweise von Instagram würde uns die Realität dieser Menschen vermutlich verborgen bleiben und wir würden diese Veränderung zunächst überhaupt nicht mitbekommen.

Was wäre, wenn…?

Gehen wir für ein kleines Gedankenexperiment davon aus, dass dem nicht so wäre. Würde der hungrige Wüstenbewohner in Tschad, dem sich ebenfalls mit einem BMI von 16 im mittleren Untergewicht befindlichen Bauern in Turkmenistan auf einem Social Media Kanal folgen? Welchen direkten Vorteil könnte die Nutzung von Social Media für Menschen, die am Existenzminimum leben, bedeuten? Mit diesem simplen Denkbeispiel gelangen wir bereits zu einer Erkenntnis, zu der auch der Anthropologe Daniel Miller und seine Kollegen kamen, nämlich, dass allein der Zugang zum Internet nicht automatisch eine Reduktion der sozialen Ungleichheit nach sich zieht. Doch wo ansetzen, damit die Onlinerepräsentanz auch eine echte positive Wirkung auf die Lebenswirklichkeit der Menschen offline bekommt?

Es ist möglich…

Bleiben wir doch bei dem Thema Hunger, dem, glaubt
 man einer App, „größte[n] lösbare[n] Problem der Welt,
wobei es nur rund 0,40€ [kostet], ein hungerndes Kind für 
einen Tag zu ernähren”. Die internationalen Hilfsstrukturen und –mechanismen passen sich den neuen Möglichkeiten des Internets an. Zunächst hat es die
Entwicklung von Apps wie „Share the meal“
 ermöglicht. Hier wurde das altbekannte Prinzip gegen 
Ungleicheit, Reicht hilft Arm, der Generation der Digital 
Natives angepasst. Zum „Etwas Gutes tun”, braucht es 
jetzt keine Mitgliedschaft mehr, sondern man bekämpft 
den Hunger in der Welt bequem per Smartphone
 während man auf dem Weg per Tram ins Büro seine Soja-Latte to go trinkt. Da Film- und Musikstars Millionen von Followern haben, verbreiten sich Tweets und Posts von ihnen besonders schnell. Würde sich die Nutzung von Social Media nicht nur auf den Ausdruck von Besorgnis über die Ungleichheit in der Welt beschränken, sondern zudem mit echten Massnahmen, wie der Verbreitung der App „Share the meal” kombiniert werden, könnte die Online-Aktivität so tatsächlich zu einer Linderung der Ungleichheit offline beitragen. Denn wenn mein Lieblingsmusiker sich für den Kampf gegen den Hunger auf der Welt einsetzt, dann folge ich als echter Follower im sprichwörtlichen Sinne des Wortes doch auch gern, besonders für 0,40€.

Es kann sogar noch besser werden…

Wie sagt schon das bekannte chinesische, vermutlich von Lao Tze stammende Sprichwort: Gib einem Menschen einen Fisch – er hat einen Tag zu essen. Gib einem Menschen viele Fische – er hat viele Tage zu essen. Lehre ihn fischen – und er wird nie hungern. Könnte sich nicht hinter diesem Aufruf zur Hilfe zur Selbsthilfe vielleicht auch ein Ansatz zur Verringerung der sozialen Ungleichheit durch Social Media verbergen? Schliesslich ist Bildung ein Schlüssel zur sozialen Mobilität, und wie Miller und Kollegen zeigen, bedienen sich Menschen etwa in China und Brasilien sozialer Medien, um ihren „Hunger nach Bildung” zu stillen und Kenntnisse auf verschiedensten Wissensgebieten zu erlangen oder sich neue Fähigkeiten anzueignen. Allerdings herrscht auch hier eine riesige Diskrepanz zwischen der Anzahl der weltweit gesprochenen Sprachen und den online verfügbaren Inhalten. Die Entwicklung von Übersetzungstools für Sprachen, die online unterrepräsentiert sind, wäre ein weiterer Schritt, um Hilfe zur Selbsthilfe, durch den Zugang zu Wissen, also kulturellem Kapital zu ermöglichen.

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Facebook-Live macht uns alle zu (Mit-)Tätern – Wie wir auf Kosten eines Marketingtrends zum Bystander werden.

29. June 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Lea Mozzini

Facebook-Live gibt es seit etwas mehr als einem Jahr. Wir als NutzerInnen brauchen die Funktion laut Zuckerberg, um unsere Follower und Freunde stärker in Konversationen einzubinden, um neue ZuhörerInnen und ZuschauerInnen zu gewinnen, um uns sofort live mit anderen zu verbinden und um die eigene Geschichte personalisiert erzählen zu können. Für mich klingt das nach einem neuen Gadget: nicht wirklich notwendig und höchstens ein nice-to-have für den fleissigen Facebook-Nutzer. Facebook selber braucht die Funktion aus einem ganz anderen Grund: Marketing. Die Videos sind eine neue Möglichkeit, dem Trend entgegenzuwirken, dass Facebook-Mitglieder weniger Dinge aus ihrem persönlichen Leben auf der Seite veröffentlichen.

Die Schattenseite: auf Facebook-Live werden immer mehr Gräueltaten gestreamt und niemand greift ein. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Live-Vergewaltigung eines 15-jährigen Mädchens in Chicago durch mehrere junge Männer. Dabei haben rund 40 Facebook-User zugeschaut und keiner davon meldete die Tat. Diese 40 Zuschauer wurden durch den Live-Stream und ihre Untätigkeit zu Mittätern. Warum kann so etwas passieren und warum lassen wir uns das gefallen? In diesem Blog gehe ich der Frage nach, wie die sozialpsychologische Forschung zum Bystander-Effekt durch Facebook-Live plötzlich wieder höchst relevant geworden ist.

Facebook-Live ermöglicht es NutzerInnen, Echtzeit-Videos mit Followern und Freunden zu teilen. Die Videos können bis zu vier Stunden lang sein und erscheinen im News-Feed, sowie auf der Profilseite des Erstellers/der Erstellerin. Nachdem das Video zu Ende ist, wird es auf Facebook veröffentlicht, so dass es auch später noch angeschaut werden kann. Das Live-Video wird dadurch zu einem Post wie jeder andere auch. Zusätzlich gibt es eine interaktive Live-Karte, welche laufend ausgebaut und optimiert wird. Darauf sind alle öffentlichen Live-Streams aus der ganzen Welt zu sehen. Damit man sein Video auf der Karte veröffentlichen kann, muss auch der eigene Standort angegeben werden. Dafür kann das Video weltweit einfach gefunden, angeklickt und geschaut werden. Ebenfalls ersichtlich ist, welche Videos besonders viele Zuschauer und Kommentare haben.

Die Videos können – wie auch normale Posts – gemeldet werden, worauf sie von einem Team durchgesehen und allenfalls mit einer Warnung bezüglich des Inhalts versehen oder gelöscht werden.

Ein Polizist erschiesst den Vater einer 4-jährigen Tochter, seine Frau und die Tochter sitzen mit ihm im Auto. Ein Mann ermordet in Cleveland wahllos jemanden. Ein dschihadistischer Aktivist erschiesst einen Polizisten vor dessen Haus, ersticht seine Frau, den kleinen Sohn lässt er am Leben. Ein Mann wird durch mehrere Schüsse getötet. Ein Vater erhängt sein Baby und nimmt sich anschliessend selber das Leben.

Was diese Taten gemeinsam haben ist, dass alle live auf Facebook gestreamt wurden. In den meisten Fällen schauten viele zu, doch niemand meldete etwas. Die Taten bleiben meist mehrere Stunden online, bevor Facebook sie findet und löscht. Doch dann ist es bereits zu spät, denn das Internet vergisst nicht: das Video des Mannes, welcher bei seinem eigenen Livestream getötet wurde, war mehrere Tage lang abrufbar und lediglich mit einer Warnung versehen. Mittlerweilen ist es auf Youtube zu finden. Das Video des von einem Polizisten erschossenen Mannes ist nach wie vor auf Facebook zu finden und das Video der Live-Ermordung in Cleveland war rund zwei Stunden online.

Kann uns Facebook dem Marketing zuliebe so leicht zur Mittat bewegen? Bis jetzt scheint genau dies der Fall zu sein.

Dadurch, dass NutzerInnen Gewaltvideos schauen, ohne diese zu melden, werden sie – freiwillig oder unfreiwillig – zu Mittätern. Eine mögliche Antwort auf die Frage, warum wir uns das gefallen lassen, ist der Bystander-Effekt: die Wahrscheinlichkeit, Personen in einer Notsituation zu helfen, nimmt ab, je mehr Personen anwesend sind. Bei Facebook-Live haben wir es mit einem Online Bystander-Effekt zu tun, die Anzahl Zuschauer ist also um einiges grösser als bei einem Offline-Ereignis und die Wahrscheinlichkeit, dass einer davon hilft, dementsprechend kleiner. Laut Latané und Darley (1970) müssen nacheinander fünf Voraussetzungen erfüllt sein, damit Menschen in Notsituationen helfend eingreifen. Sie müssen

  1. das Ereignis bemerken
  2. es als Notfall interpretieren
  3. sich verantwortlich fühlen
  4. helfen können
  5. sich entscheiden, zu intervenieren.

Die Anonymität scheint dabei der Schlüsselfaktor von Online-Bystandern zu sein, denn sie begünstigt das Gefühl, keine persönliche Verantwortung zu tragen und hemmt dadurch das Einschreiten. Kennzeichnend dafür sind der Verlust an Selbstkontrolle und die Abwesenheit von Einschränkungen, welche in direkten Face-to-Face Interaktionen typisch wären. Durch die Anonymität verschwimmt zudem die Grenze zwischen Bystander und Täter und auch ein Zuschauer, der sich selber nicht als Täter wahrnimmt, kann einfach zu einem werden.

An einem fiktiven Beispiel von Facebook-Live veranschaulicht heisst dies: Peter, der eine Live-Vergewaltigung schaut, nimmt sich nicht als Täter wahr, denn er sitzt bei sich zuhause gemütlich auf dem Sofa und sieht sich nur ein Video an. Er ist nicht anwesend, sondern nur einer von vielen Facebook-Usern. Durch seine Untätigkeit und dadurch, dass er das Video schaut, lässt er jedoch nicht nur zu, dass die Tat fortschreitet, sondern vor allem auch, dass sie weiterhin online und für Facebook-NutzerInnen weltweit sichtbar gestreamt wird. Er lässt zu, dass das Opfer weiter öffentlich gedemütigt und verletzt werden kann und er unterstützt den Täter, indem er das Video schaut, was die Zuschauerzahl des Videos und somit dessen Popularität und die Wahrscheinlichkeit, dass andere User es auch schauen, erhöht. Ob Peter dies nun so wahrnimmt oder nicht: er wurde zum Mittäter.

In meinem Kopf tummeln sich die Fragen, eine davon möchte ich abschliessend nennen: Hat Facebook die negativen Implikationen der Live-Funktion tatsächlich nicht mitbedacht (was sehr naiv wäre), oder waren sie ihnen einfach egal (was sehr beunruhigend wäre)? Würde ersteres zutreffen, könnte Facebook als Reaktion auf die Gräueltaten die Live Funktion einfach wieder löschen. Gleichzeitig scheint die Funktion leider super fürs Marketing und das Geschäft zu sein. Warum also vor der Vision einer komplett in Echtzeit vernetzten Global Community zurückschrecken? Es gilt eine Kosten-Nutzen Abwägung zu machen: in diesem Fall geht der Entscheid gegen die Würde einzelner Individuen und ein humanes Moralverständnis.

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E-Mail Overload: Wege aus dem Stress

25. March 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Stefan Prüter

Der Hauptgrund, warum Menschen online gehen, ist nicht das World Wide Web, sondern die Möglichkeit, E-Mail zu empfangen und zu verschicken. Mehr als 210 Mrd. E-Mails werden jeden Tag auf der ganzen Welt versendet, davon mehr als die Hälfte am Arbeitsplatz. Im Schnitt bekommt ein Büro-Angestellter 88 E-Mails am Tag und versendet selbst nochmals 34 E-Mails. Tendenz steigend! Dieser permanente E-Mail Overload verschlingt Zeit, viel Zeit sogar! Laut einer McKinsey Studie aus dem Jahr 2012 sind wir mehr als ein Viertel (28%) der Arbeitswoche nur mit E-Mails beschäftigt und gerade mal zu 39% mit unserer eigentlichen Tätigkeit. Rechnet man dies mit den Daten des Bundesamts für Statistik für Herr und Frau Schweizer beispielhaft nach, so kommen wir folglich bei einem 8.7h Arbeitstag auf einen knapp 2.5h Aufenthalt im E-Mail-Postfach.

Was macht das mit uns? Sollten wir uns der E-Mail-Flut ergeben oder sie bekämpfen? Hilft es, ganz auf E-Mail am Arbeitsplatz zu verzichten? Geht das überhaupt und wenn ja, wie? Gibt es effektive Strategien im Umgang mit E-Mails? Mit Hilfe der neusten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse wollen wir uns diesen und anderen Fragen im aktuellen Blog-Eintrag widmen.

In einer kanadischen Studie aus dem Jahr 2015 konnte gezeigt werden, dass die Häufigkeit, mit der wir unsere E-Mails checken, massgeblich zum Stress-Erleben beiträgt. Wer sein Postfach nur 3x täglich überprüfte, hatte einen signifikant tieferen Stress-Level und steigerte dadurch sein Wohlbefinden. Aus der psychologischen Forschung wissen wir, wie schädlich Stress für unser Wohlbefinden, unsere Schlafqualität, aber auch unsere Leistungsfähigkeit ist. Daher bietet es sich an, sein eigenes Postfach mehrheitlich geschlossen zu lassen, jegliche Form von Notifikationen und Alarmen auszustellen und die Inbox nur zu wenigen, festgelegten Zeiten zu öffnen, z.B. morgens als erstes im Büro, dann nach der Mittagspause und zuletzt noch einmal kurz vor Feierabend.

Neben der reinen Häufigkeit, mit der wir in unser E-Mail Fach schauen, gibt es aber noch andere Stellschrauben, an denen wir drehen können. Zum Beispiel die Quantität und die Wichtigkeit der E-Mails. Das französische IT-Unternehmen ATOS hat 2012 als erstes Unternehmen dazu aufgerufen, keine internen E-Mails mehr zu versenden. Durch Implementierung einer eigenen Social Media Plattform mit Instant Messaging Funktion reduzierte sich der E-Mail Versand tatsächlich innerhalb weniger Jahre um beachtliche 80%, und über 200 Prozesse funktionieren mittlerweile ganz ohne E-Mails. Ob diese Verlagerung der Kommunikation auf andere Kanäle aber zwingend besser oder gar effizienter für die Mitarbeiter ist, sei dahingestellt. Es zeigt aber sehr schön, dass erst eine direkte und öffentlichkeitswirksame Weisung durch den CEO einen solchen Kulturwandel einleiten kann. Es liegt daher auch in anderen Unternehmen an den Vorgesetzten, ihren Teams eine gesunde Erwartungshaltung und einen sparsamen Umgang mit E-Mails beizubringen, und dabei selber eine Vorbildrolle einzunehmen, indem sie vorzugsweise das persönliche Gespräch suchen oder proaktiv Meetings einberufen.

Selbst beeinflussen können wir, wie schnell wir E-Mails beantworten. Die grösste E-Mail Studie der Welt wurde kürzlich (2015) von Yahoo durchgeführt und analysierte dabei rund 187 Mio. E-Mails, die sich Yahoo-Nutzer untereinander zugeschickt hatten. Dabei zeigten sich markante Alters-Unterschiede. Während Teenager (<20 Jahre) im Schnitt schneller und kürzer antworten (13 Minuten und 17 Wörter), antworten ältere Nutzer (>50 Jahre) deutlich langsamer, schreiben dafür aber auch deutlich längere E-Mails (47 Minuten und 40 Wörter). Kommt es zu einem E-Mail Overload, dann reduzieren zwar alle Benutzer ihre Antwortlänge und Antwortzeiten; Jüngere verfolgen dabei aber eine andere Strategie als Ältere. Die Generation Y reduziert ihre Antwortzeit und E-Mail-Länge so stark, so dass sie noch in der Lage ist, prozentual gleich vielen Korrespondenten antworten zu können wie sonst auch. Ältere verzichten darauf, mithalten zu müssen, und beantworten nur ausgewählte E-Mails, diese dafür aber auch mit deutlich grösserem Umfang als jüngere Nutzer.

Professor Martin Meyer ist Alternsforscher am Psychologischen Institut der Universität Zürich und sieht darin zwei mögliche Erklärungen. Zum einen kann es an der Genügsamkeit im Alter liegen, dass Ältere nur noch die für sie interessantesten E-Mails beantworten, da im Ruhestand der Druck zum Antworten entfällt, und meint dazu lapidar: „Wenn ich nicht mehr im Beruf stehen würde, würde ich auch nicht mehr als zwei E-Mails am Tag beantworten, obwohl ich mehr beantworten könnte.“ Er verweist aber auch auf eine Vielzahl an Studien, die darauf hindeuten, dass Ältere im Mittel langsamer sind im Tippen und am PC langsamere Reaktionszeiten in Videospielen oder bei Gehirn-Jogging aufweisen. Vor allem tun sie sich mit neuen Technologien schwieriger: „Sie sind nicht so flexibel mit irgendwelchen Umstellungen. Die haben sich gerade an E-Mail gewöhnt, und dann heisst es jetzt nur noch What’s App, und dann dauert das auch wieder zwei Jahre, bis sie sich umgestellt haben.“ Um herauszufinden, welche Prozesse dafür verantwortlich sind, empfiehlt Professor Meyer weitere Forschung mit „echt gematchten Kontrollgruppen“, vor allem mit „Leuten, die noch im Beruf sind“, damit man nicht „Junge vergleicht, die noch im Beruf stehen, mit Alten, die nicht mehr im Beruf stehen“. Das sei „eine ganz schlechte Basis für einen Vergleich“ und bislang zu wenig differenziert worden.

Es zeigt sich also, dass eine angepasste Strategie dem individuellen Nutzer helfen kann, diese Masse an E-Mails effektiv zu bewältigen und so dem Stress zu entgehen. Sei es, indem man sich kürzer fasst oder indem man selektiver antwortet. Wie wir gesehen haben: Ein Leben ganz ohne E-Mail gibt es vorerst nicht. Die Kommunikation verschiebt sich höchstens auf andere Kanäle wie Social Media oder Instant Messaging. Stattdessen sollten wir selbst effektiver mit E-Mails umgehen und die für uns individuell richtige Strategie finden, mit der wir unsere tägliche E-Mail Flut am besten bewältigen können. Nur so lässt sich der E-Mail Stress auf ein Minimum reduzieren!

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Lifelogging – Aufzeichnen zur Selbstzerstörung

1. March 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Norman Hoffmann

9912 gezählte Schritte, 2571 verbrannte Kalorien, 5 Stunden 50 Minuten erholsamer Schlaf, 2h 58 Minuten im Stehen verbrachte Zeit, 56 Minuten mit Gehen verbrachte Zeit und 13h 18 Minuten im Sitzen verbrachte Zeit. Die Aufzeichnung meines Activity-Tracker-Armbandes vom Mittwoch 17. April 2016 führt mir schonungslos vor Augen, dass ich an einem gewöhnlichen Uni- respektive Arbeitstag mehr als die Hälfte eines Tages sitzend verbringe. Da ich jeweils eine Stunde von St. Gallen nach Zürich und zurück pendle und meinen Nebenjob in Form einer Bürotätigkeit verrichte, habe ich bereits bei Beginn meiner 14-tägigen Aufzeichnungsphase damit gerechnet, dass ich die personalisierten Aktivitätsziele zur Gesundheitsverbesserung nicht erreichen werde. Dennoch haben mich die aufgezeichneten Messresultate überrascht. Die digitalisierten Aufzeichnungen haben gegenüber retrospektiven Abfragen, welche auf Erinnerungen basieren, nämlich einen entscheidenden Vorteil: Sie erheben physische und biologische Parameter frei von jeglichen Verfälschungen und potentiellen Verzerrungen wie beispielsweise der sozialen Erwünschtheit eines Verhaltens. Die Diskrepanz zwischen quantitativen Daten und der subjektiven Einschätzung kann so mitunter überraschend hoch ausfallen. Doch was nützen uns solche Erkenntnisse? Können Sie uns motivieren und unser Verhalten zum Positiven verändern oder führen sie unter Umständen zu Resignation und Demotivation? Verlieren wir einen Teil unserer Selbstbestimmung, wenn technische Geräte versuchen, unser Verhalten zu beeinflussen?

Wenn mir nach einstündigem Sitzen in einem Seminar ein kleines Lämpchen an meinem Armband anzeigte, dass es an der Zeit wäre, wieder einmal aufzustehen, löste dies in mir eher negative Emotionen aus: Einerseits verunmöglichte mir der soziale Kontext, in dem ich mich befand, dem Ratschlag zu folgen, da dies wohl eher verwunderte Blicke meiner Kommilitonen auf mich gezogen hätte. Andererseits kamen unweigerlich auch Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen in mir hoch. Manchmal löste die aufblickende Anzeige auch Anzeichen von Ärger und Frustration aus.

Der oben erwähnte Activity-Tracker in Form eines Armbandes stellt nur eine technische Möglichkeit zur Selbstvermessung dar. Nebst Schrittzählern, Uhren, kleinen Kameras, CO2-Sensoren, GPS-Sensoren und Mikrofonen kommen mit zunehmendem technischem Fortschritt ständig neue und auch erschwinglichere Gadgets auf den Markt. Ihre Nutzer verfolgen mit den Geräten das Ziel, ihren gesamten Lebensalltag oder zumindest Teile davon aufzuzeichnen und digital zu archivieren. Gespeichert werden sämtliche Konversationen, Handlungen und Erfahrungen aus dem eigenen Alltag, um die Informationen zu einem späteren Zeitpunkt wieder abrufen zu können. Dieses Verhalten wird in einschlägigen Communitys und auch in der Wissenschaft unter dem Begriff „Lifelogging“ subsumiert. Als bekannter Protagonist in diesem Gebiet gilt unter anderen Gordon Bell, ein US-amerikanischer Computeringenieur, der in Zusammenarbeit mit Microsoft Research das Projekt MyLifeBits ins Leben gerufen hat. Dieses dient zum einen dem Ziel der Softwareentwicklung, und zum anderen führt Gorden Bell als Teil des Projektes ein langjähriges Experiment durch, in welchem er sein vollständiges Leben protokolliert und digital archiviert. Nebst Briefen, Artikeln, Fotos, E-Mails, Büchern, Präsentationen und Dokumenten speichert er auch Sprachaufzeichnungen von jeglichen Telefonaten und trägt eine kleine Kamera um den Hals, die alle 60 Sekunden ein Bild der Umgebung knipst. Gordon Bell führt so ein komplett papierloses Leben und verkörpert das Sinnbild der „totalen Erinnerung“. Die Bedürfnisse und Motivationen hinter dem Phänomen Lifelogging fallen individuell sehr unterschiedlich aus. Personen wie Gordon Bell nutzen Lifelogging als Erinnerungshilfe und Biografiegenerator. Die umfassende Lebensprotokollierung ermöglicht es ihnen, die begrenzten biologischen Kapazitäten und Fehleranfälligkeiten des menschlichen Gedächtnisses zu kompensieren und jederzeit auf die perfekte Erinnerung zurückzugreifen. Damit wird bis zu einem gewissen Grad auch ein menschliches Bedürfnis zur Überwindung der Vergänglichkeit abgedeckt:

„Lifelogging feeds the inner King Tut – the side uf us that rejects transience through mummification, relic, and entombment.“ (Allen, 2008, S. 52)

Andere Personengruppen wiederum setzen Lifelogging ein, um Körper- und Gesundheitsmonitoring zu betreiben. Im Vordergrund stehen dabei die Überwachung und Optimierung der eigenen Vitalfunktionen. In diesen Nutzertyp fällt beispielsweise die Verwendung eines zu Beginn beschriebenen Activity-Tracker-Armbandes. Während die einen beabsichtigen, ihr Gedächtnis zu erweitern, geht es anderen darum, ihren Lebensstil zu optimieren. Zweifelsohne können umfassende Lifelogs eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen. Auf individueller Ebene ermöglichen sie ein hohes Mass an Introspektion und Selbsterkenntnis, was beispielsweise auch im therapeutischen Setting eingesetzt werden kann. Auf gesellschaftlicher Ebene erhoffen sich Verfechter des Lifeloggings unter anderem Vorteile für die Gesundheit oder die Strafverfolgung. Dem gegenüber stehen Kritiker, welche auf potentielle Gefahren hinweisen. Stein des Anstosses sind vor allem rechtliche Bedenken bezüglich dem Schutz der Privatsphäre und von Persönlichkeitsrechten.

Doch auch aus psychologischer Perspektive kann dem Phänomen kritisch begegnet werden. Dies führt uns auch zu der eingangs gestellten Frage zurück, ob Lifelogs unter Umständen auch Resignation bewirken können. Ein erster Ansatzpunkt, der im Hinblick auf die motivationsförderliche Wirkung aus psychologischer Sicht Skepsis auslöst, leitet sich aus der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1985) ab. Die Theorie geht davon aus, dass ein Verhalten dann intrinsisch motiviert ausgeführt wird, wenn es selbstbestimmt und autonom, also nicht von aussen kontrolliert ist. Dem selbstbestimmten Verhalten sollte zudem auch ein Bedürfnis nach Kompetenz und Wirksamkeit zugrunde liegen. Im Falle des Armbandes kann die Autonomie aber in Frage gestellt werden, da hier vor allem externe Kontroll- und Feedbackmechanismen zu einer Verhaltensänderung führen sollen. Dies würde gemäss der Selbstbestimmungstheorie zu einem Verlust von intrinsischer Motivation führen.

Diesen Motivationsverlust habe ich auch während meines Selbstversuches erlebt. Während ich am ersten Tag noch absichtlich die Treppe statt den Lift benutzte, um einen guten Tageswert in den zurückgelegten Schritten zu erreichen, legte sich die anfängliche Begeisterung und Neugier ziemlich schnell und wich einer zunehmenden Gleichgültigkeit.

Die Selbstoptimierung durch Lifelogging scheint demnach nicht in jedem Fall zu funktionieren und kann unter Umständen auch ins Gegenteil kippen. Nebst dem potentiellen Motivationsverlust löst insbesondere auch der Aspekt des „Rechts auf Vergessen“ aus psychologischer Sicht Bedenken aus. Die technischen Hilfsmittel ermöglichen es den Lifelogging-Nutzern, ausgewählte Sequenzen aus ihrem Leben unbegrenzt oft und in ihrer vollen Detailtreue zu rekapitulieren. Für Demenzerkrankte beispielsweise könnte dies eine sehr vielversprechende Anwendungsmöglichkeit sein. Im Hinblick auf persönliche Misserfolge, peinliche Fehltritte oder traumatische Erlebnisse im Leben von Personen kann das ständige Wiedererleben jedoch auch schädigend auf die Psyche wirken. Die gespeicherten Lifelogs können unter Umständen das Vergessen oder Verdrängen von erlebten Episoden unterminieren. Obwohl in der psychologischen Literatur kein einheitliches Konzept des Verdrängungsbegriffes existiert, beschreiben Vertreter unterschiedlicher Schulen die Verdrängung als natürliche Reaktion des Menschen, die in bestimmten Situationen auch als adaptive und nützliche Strategie angesehen wird. Durch die dauerhafte Archivierung und die permanente Verfügbarkeit schalten Lifelogs diesen natürlichen Mechanismus des menschlichen Gehirnes aus.

Sollte sich Lifelogging von einem Nischenphänomen zu einem verbreiteten und gesellschaftsfähigen Verhalten entwickeln, täten Wissenschaftler gut daran, nebst den rechtlichen Bedenken auch psychologische Folgen nicht ausser Acht zu lassen.

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Raus auf die Strasse: Mit Online Dating bleibt man länger allein

21. February 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

Von Nadine Meier

Viele Menschen suchen heutzutage ihren Traumpartner im Internet. Die Online Dating Websites ermöglichen uns Zugang zu tausenden Profilen, von welchen eines unserem Traumpartner gehören könnte. Um die Suche zu vereinfachen, präsentieren sie uns eine Auswahl an potenziell passenden Partnern. Dies sind Profile, welche laut den Matching- Algorithmen der Websites zu einem passen.

Unsere heutige Welt lebt im Überfluss. Wir entscheiden uns tagtäglich zwischen dreissig verschiedenen Müslis im Supermarkt oder zwölf unterschiedlichen Kaffees im Starbucks. Ebenso findet man einen Überfluss an potenziell passenden Partnern auf den Online Dating Websites – da sollte uns diese Entscheidung auch nicht viel schwieriger fallen. Doch können wir wirklich so einfach Entscheidungen treffen, wie wir meinen?

In einer amerikanischen Studie blieben die Kunden eines Supermarktes an einem Tisch mit vierundzwanzig Konfitüren doppelt so oft stehen wie an einem Tisch mit sechs Konfitüren. Gekauft wurde jedoch zehnmal mehr von dem Tisch mit der kleineren Auswahl. Des Weiteren waren Kunden zufriedener mit ihrer Schokolade, wenn sie die Schokolade aus einem Set von sechs und nicht dreissig Schokoladen ausgewählt haben.

Auch die grosse Auswahl an Singles auf den Online-Dating Websites zieht uns an. Offline gilt es zuerst einmal herauszufinden, wer noch zu haben ist. Dieser mühsame Prozess fällt im Internet weg. Umso mehr Auswahl aber, desto mehr Informationen sind vorhanden, welche wir vergleichen müssen. Das Durchstöbern von Profilen ist mit einem erheblichen mentalen Aufwand verbunden und kann mit der Zeit anstrengend sein. Dies könnte dazu führen, dass wir nicht mehr motiviert sind, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Halten wir aber durch, kann dies gegenüber dem Offline-Dating einen Vorteil bedeuten. Wir erfahren schon einiges über die Person, bevor es zu einem Face-to-Face-Treffen kommt. So können böse Überraschungen beim ersten Date vermieden werden. Die Wahl haben wir jedoch aus einem grossen Set getroffen, um nochmal auf das Beispiel mit der Schokolade zurück zu kommen. Durch den langen Entscheidungsprozess stiegen auch die Erwartungen, wir haben schliesslich einige Zeit in das Vergleichen der Profile gesteckt. Ist die oder der Auserwählte live dann doch nicht so toll, sind wir von unserer Wahl enttäuscht und die Suche beginnt von vorne. Dass es uns nicht ganz so leicht fällt, Entscheidungen treffen, zeigt ein weiteres Beispiel: Wir Menschen tendieren dazu, uns die Optionen offen zu halten. Mehrere Studien konnten zeigen, dass wir das sogar tun, wenn dies schlussendlich ein schlechteres Resultat bedeutet. Beim Online-Dating wissen wir, dass da immer ein Pool an potenziell passenden Partnern sein wird.

Die Folge davon ist, dass es uns dazu verleitet, uns weniger schnell zu binden. Durch die grosse Auswahl werden wir wählerischer und vergeben weniger zweite Chancen. Ich würde Kandidat XY vielleicht nicht so schnell in die Wüste schicken, wenn ich nicht wüsste, dass da weiterhin zweihundert Single-Profile auf mich warten. Somit verzögert sich das Ende der Suche nach unserem Traumpartner weiterhin. Wir wollen uns nicht festlegen, weil wir die richtige und beste Wahl treffen möchten. Ständig haben wir Angst, dass noch Besseres kommen könnte.

Durch die Globalisierung hat sich unser Dating-Verhalten verändert. Wir haben Zugang zu Singles auf der ganzen Welt, was uns offline verwehrt bleibt. Wie aber die genannten Beispiele gezeigt haben, kann eine Auswahl auch zu gross sein und unser Entscheidungsverhalten damit negativ beeinflussen. Diese Überlastung an Informationen kann zu Unentschlossenheit führen, wir werden anspruchsvoller, weil wir viel Zeit in die Auswahl investieren. Aus Angst, jemand passenderes übersehen zu haben, starten wir den ganzen Prozess von vorne. Natürlich ist die Person, mit welcher wir unser Leben verbringen möchten, nicht dasselbe wie ein Müsli oder eine Schokolade aus dem Supermarkt. In jedem Fall ist es wertvolle Zeit, die wir verlieren. Merken wir, dass die grosse Auswahl nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt, gibt es also nur eines: Raus auf die Strasse! Während wir vor dem Computer Profile vergleichen, kauft unser Traumpartner vielleicht gerade in der Migros sein Lieblingsmüsli.

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Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr: Über die Korrektur von Fake-News

20. January 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

trump

Von Nicolas Ramer

Bürokraten entscheiden, ob eine Person es wert ist, eine Gesundheitsversorgung zu erhalten. So dramatisch lautete – kurz zusammengefasst – ein Facebook-Eintrag vom 7. August 2009 der ehemaligen Vize-Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin, um gegen die geplante Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama vorzugehen. Obwohl diese Behauptung von verschiedenen Quellen eindeutig widerlegt werden konnte, hatte sie sich dennoch wie ein Lauffeuer verbreitet, so dass in kürzester Zeit 86% der Amerikaner von ihr Kenntnis nahmen und ein beachtlicher Teil von ihnen dieses Gerücht für wahr hielt. Laut dem Time Magazine hat der Vorwurf die Reform sogar beinahe zu Fall gebracht. Dies ist nur eines von vielen Beispielen für die Wirkung von Gerüchten. Dieses Problem ist so gewichtig, dass es auch vom Weltwirtschaftsforum (WEF) erkannt und im Jahr 2014 auf die Liste der zehn schwerwiegendsten Probleme gesetzt wurde, die in der Welt zurzeit zu bewältigen sind.

Das Phänomen, dass sich falsche Informationen auch nach ihrer Widerlegung oder Korrektur weiterhin auf die Schlussfolgerungen von Menschen auswirken, beschäftigt seit längerer Zeit auch die Forschung und wird in der Fachliteratur meist als „continued influence effect“ bezeichnet. Welche Rolle hat das Internet bei der Erhaltung von solchen Gerüchten und Falschinformationen?

Das Internet hat die Verbreitung und die Nutzung von Informationen revolutioniert: Nachrichten, Bilder, Videos u.v.m. erreichen innert kürzester Zeit ein riesiges Publikum. Mit der Entwicklung des sogenannten Web 2.0 sind Internetnutzer nicht mehr nur passive Konsumenten von Informationen, sondern sie erstellen und verbreiten selbst aktiv Inhalte auf Internetplattformen wie YouTube, Facebook oder Twitter. Beispielsweise auf YouTube gibt es bereits abertausende Videos, die allerlei Nachrichten und Informationen vermitteln und häufig von mehreren hunderttausend Personen gesehen werden. Statistiken aus dem Jahr 2011 zeigten, dass alleine im Oktober desselben Jahres 1.2 Milliarden Menschen Onlinevideos geschaut haben. Allerdings wird durch das Internet auch die bewusste oder unbewusste Verbreitung von Falschinformationen und Gerüchten erleichtert, da nun jeder Laie Inhalte verbreiten kann, ohne dass sachkundige Fachleute sie vorgängig überprüft haben. Das Netz speichert alle diese (Falsch-)Informationen und Gerüchte, so dass sie auch noch Jahre nach ihrer Veröffentlichung zugänglich sind. Eine Artikelüberschrift in der Zeit Online von 2011 hat dies auf den Punkt gebracht: „Das Internet vergisst nichts“. Somit ist es möglich, die unzähligen Desinformationen im Internet beliebig oft abzurufen bzw. mit ihnen konfrontiert zu werden. Dieser Umstand ist sehr problematisch, wie sich in einer Studie der Forschergruppe um Ullrich Ecker gezeigt hat. Die Befunde der Studie deuten darauf hin, dass die Wiederholung einer Falschinformation viel stärker haften bleibt und nachwirkt, als die Wiederholung einer Richtigstellung der falschen Information. Wenn man sich die damit verbundenen und zum Teil schwerwiegenden individuellen und gesellschaftlichen Folgen vor Augen führt, wird klar, dass dringend Handlungsbedarf besteht.

Doch kann man überhaupt etwas gegen den Einfluss von Falschinformationen und Gerüchten unternehmen? Und wie kann das Internet dazu beitragen?

Eine Möglichkeit, dem Einfluss von Desinformationen und Gerüchten beizukommen, besteht darin, eine plausible Alternativerklärung für das in Frage stehende Ereignis zu liefern. Wird nämlich ein wichtiger Teil der Falschinformation entkräftet, bleibt eine Lücke bestehen, die mit einer Alternativerklärung ausgefüllt werden muss, da Personen sonst auf die falsche Aussage zurückgreifen. Wenn beispielsweise bei einem Hausbrand fälschlicherweise von Brandstiftung ausgegangen wird, könnte ein Defekt in der Stromleitung als Alternativerklärung dienen und die Falschinformation widerlegen. Diese Strategie hat sich als effektiv herausgestellt, ist aber oft sehr aufwändig und nicht immer durchführbar, da häufig eine plausible Alternativerklärung fehlt. Ein anderer, weitaus einfacherer und auf das Internet anwendbarer Ansatz kommt von zwei Forscherinnen aus den USA. Sie haben in einer Studie gezeigt, dass der Einfluss von Falschinformationen und Gerüchten reduziert werden kann – selbst wenn keine Alternativerklärung vorliegt –, soweit die Richtigstellung der Desinformationen von einer vertrauenswürdigen Quelle kommt. Diese Erkenntnis könnte man sich im Netz besonders gut zu Nutze machen, indem man bei der Gegeninformation möglichst viele Angaben zur Vertrauenswürdigkeit der Quelle liefert. Eine einfache Möglichkeit, um dies zu erreichen, wäre, einen Link zum Profil bzw. zum Curriculum des Verfassers der Gegeninformation herzustellen, so dass sich Personen ein Bild über dessen Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit verschaffen können. Ein Arzt ist beispielsweise in Gesundheitsfragen meistens fachkundig und somit auch vertrauenswürdig. Bei Falschinformationen im Gesundheitswesen sollte man in dem Fall normalerweise hervorheben, dass die Quelle der Gegeninformation ärztlich tätig ist. Es muss aber bedacht werden, dass nicht alle Menschen darin übereinstimmen, welche Personen sie als vertrauenswürdig ansehen und welche nicht. Manche Menschen gehen zum Beispiel lieber zum Homöopathen als zum Arzt, um sich behandeln zu lassen. In diesem Fall wäre eine Gegeninformation von einem Schulmediziner nicht wirksam und vielleicht sogar kontraproduktiv. Daher sollte man zuerst überlegen, welche sozialen Gruppen gegen die Korrektur bzw. die Widerlegung von Falschinformationen resistent sind und entsprechend die Quelle für die Gegeninformation auswählen.

Was Heinrich von Kleist schon vor über 200 Jahren bemerkt haben soll, gilt auch heute noch: ‚Was das Volk nicht weiss, macht das Volk nicht heiss. Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr.’ Gerüchte und Falschinformationen werden nach häufiger Wiederholung für wahr gehalten und haben dadurch Einfluss auf die Meinungsbildung von Menschen. Dies ist vor allem mit dem Aufkommen von sozialen Medien ein zunehmendes Problem, da nun jeder Internetnutzer aktiv Inhalte verbreiten kann, ungeachtet des Wahrheitsgehalts. Allerdings bietet gerade auch das Internet Möglichkeiten, durch Anführung von vertrauenswürdigen Quellen, Gerüchten und Desinformationen gezielt entgegenzuwirken.

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Psychologische Prozesse unterstützen die Wirkung von Gerüchten über Flüchtlinge

12. January 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

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Von Korbinian Lunckenbein

Falschinformationen können sowohl absichtlich als auch unabsichtlich in Umlauf gebracht werden. Speziell soziale Medien verschaffen Falschinformationen extremes Gewicht und ungeahnte Popularität. Das grösste Problem ist oftmals nicht die Falschinformation an sich, sondern dass es sehr schwer ist, diese wieder zu korrigieren. So hält sich beispielsweise hartnäckig das Gerücht, dass der amerikanische Präsident Barack Obama kein Amerikaner sei. Schlimmer wird es jedoch, wenn ein ganzes Land aufgrund einer unseriösen Studie der Meinung ist, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung zu Autismus führen kann. Aus Angst vor vermeintlichen Impfschäden nahmen die Menschen eine grosse Anzahl von tatsächlichen Erkrankungen in Kauf, zum Teil mit Todesfolge. Inwiefern Falschinformationen noch gefährlichere Auswirkungen haben kann, zeigt das eindrückliche Beispiel des Irak-Krieges. Heutzutage glaubt immer noch ein Grossteil der Amerikaner, dass der Irak unter Saddam Hussein tatsächlich Atomwaffen gehabt haben könnte. Diese Behauptung legitimierte nicht nur den verheerenden Irak-Krieg, sondern trug im Nachhinein auch massgeblich zur Bildung des Islamischen Staates bei, welcher uns heute in Angst und Schrecken versetzt. Das Wissen, beziehungsweise das angebliche Wissen, ist heute trotz eindeutiger Klarstellung der US-Regierung und US-amerikanischer Medien immer noch tief in den Überzeugungen der westlichsten Nation verankert. All diese Beispiele wurden überwiegend von Medien verbreitet und liessen sich im Nachhinein schwer bis gar nicht mehr korrigieren. Doch warum ist das so?

Lewandowsky und Kollegen (2012) diskutieren einige Erklärungen aus der Psychologie. Diese versuche ich anhand der Flüchtlingskrise und einer eigenen kleinen Umfrage zu belegen. Flüchtlinge sind hierbei irgendwo gefangen zwischen Realität und Fiktion, ihrer eigenen Realität und der Fiktion anderer Menschen. Dabei wird Flüchtlingen zu Unrecht alles Mögliche zur Last gelegt. Sie seien schuld an der Entführung und Schlachtung von Nutzvieh (z.B. Ziegen), hinterlassen alles in einem Chaos und vergewaltigen reihenweise Frauen. All dies sind Gerüchte, die keinerlei Grundlage aufweisen und dennoch rapide in sozialen Medien aufgegriffen werden und sich verbreiten. Dies ist heutzutage, u.a. durch Facebook, leichter als je zuvor. So beschreiben die Forscher Friggeri und Kollegen (2014), dass eine Richtigstellung auf Facebook ein Gerücht sogar noch populärer macht, da es so weitere Beachtung bekommt. Ein eindrückliches Beispiel ist das Foto eines verwüsteten Zugs, welcher vermeintlich von Flüchtlingen so hinterlassen wurde. Besagtes Foto löste einen Aufschrei in Deutschland aus, da es als Beweis für den mangelnden Respekt der Flüchtlinge verbreitet wurde. Wie man jedoch schnell herausfand, waren hier keine Flüchtlinge am Werk, sondern deutsche Fussballfans, welche nach einem Spiel diesen Zugwaggon so hinterlassen haben. Damals sah ich es noch als meine Aufgabe, Freunde, welche dieses Bild in Facebook mit der Hass-Nachricht teilten, zu berichtigen und ihnen den Original-Artikel zu zeigen. Um herauszufinden, ob dies erfolgreich war, habe ich im Rahmen dieses Beitrags drei Freunde erneut befragt und ihnen das Foto gezeigt, welches bereits mindestens ein Jahr zurückliegt. Erstaunlicherweise gaben zwei von drei schnell die Antwort, dass es sich hierbei um Flüchtlinge handelte, die diesen Zug verwüstet hinterlassen hatten.

Um die Frage nach dem „warum“ des nachhaltigen Einflusses von Falschmeldungen zu beantworten, geben Lewandowsky und Kollegen (2012) einige Erklärungen. Hier würde zum Beispiel das individuelle mentale Modell erklären, warum die Richtigstellung nicht funktionierte. Durch die Berichtigung wird ein Teil in den Vorstellungen gestrichen. Aus dem ursprünglichen „A→B→C→D“ wird nun „C“ entfernt. Die Kette ist unvollständig, was zur versuchten Aufrechterhaltung von „C“ führt. Um dies zu verhindern versuchte ich, die „Flüchtlinge“ durch Fussballfans zu ersetzten, was mir per Facebook wahrscheinlich nicht so gut gelungen ist. Ein weiterer Grund des Effekts wird erklärt durch Fehler beim kontrollierten Erinnerungsprozess beziehungsweise durch die Flüssigkeit des Abrufens. So ist es schlichtweg einfacher, sich etwas Positives zu merken (A→B, anstatt A-ungleich-B) und das Abrufen der Falschinformation “Flüchtlinge verwüsten Züge” ist einfach, schneller und vor allem vertrauter als das Abrufen der Information “Flüchtlingen haben diesen Zug nicht verwüstet”. In der Psychologie wird dies unter dem Begriff Familiarity Backfire Effect zusammengefasst, der besagt, dass die reine Wiederholung das Gerücht leichter abrufbar und damit auch leichter merkbar macht. Dies zu ändern oder zu korrigieren erfordert zusätzliche Denkprozesse, welche wesentlich mehr Aufmerksamkeit benötigen. Des Weiteren besagt der Overkill Backfire Effect, dass simple Mythen/Aussagen schlicht attraktiver sind und die meisten Korrekturen komplizierter verfasst sind. Die Aussage „Flüchtlingen verwüsteten diesen Zug“ ist einfach geschrieben. Die Korrektur „Flüchtlinge haben diesen Zug nicht verwüstet, sondern das waren eigentlich Fussballfans, die nach einem Spiel auf dem Heimweg waren“ ist vergleichsweise lang und sperrig. Zudem darf man nicht vergessen, dass es sich bei besagten Facebook-Bekannten um Personen handelt, welche bereits Flüchtlingen gegenüber negativ eingestellt waren und sie demnach auch eher Informationen suchen, welche ihre Einstellungen befürworten. So werden beim Worldview Backfire Effect Gegebenheiten, welche dem eigenen Weltbild widersprechen, ignoriert und bewirken sogar ein Festklammern an den eigenen Überzeugungen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die „Wahrheit der Masse“. Menschen neigen eher dazu, einem Gerücht zu folgen, wenn es viele tun. Gerade rechtslastige Gerüchte werden in Facebook oder anderen sozialen Medien von Tausenden Menschen geteilt. Die schiere Masse verleitet dazu, Informationen einfach hinzunehmen und ungefragt zu akzeptieren. Dabei ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen, dass sie diese Informationen wiederum von eigenen Freunden (auf Facebook) beziehen und diese dann auch eher als vertrauenswürdige Informationen behandelt werden. Diese Gerüchte werden oftmals aufgrund eigener Motive, diese können beispielsweise politischer oder bösartiger Natur sein, absichtlich platziert, um eben diese Flüchtlinge zu verunglimpfen mit dem Wissen, dass diese schwer, wenn nicht gar unmöglich zu korrigieren sind.

Zusammengefasst zeigt sich immer wieder, dass Gerüchte und Desinformationen fatale Auswirkungen haben und dass es sehr schwer ist, diesen entgegen zu wirken. Speziell Flüchtlinge werden derzeit von meist rechtsradikalisierten Menschen gezielt durch den Schmutz gezogen. Durch das soziale Netzwerk verbreiten sich Falschinformationen zunehmend schneller. Abschliessen möchte ich dieses Statement mit einem Zitat von Kuklinski, Quirk, Jerit, Schwieder, & Rich (2000): “It is a truism that a functioning democracy relies on an educated and well-informed populace”. Für eine funktionierende Demokratie braucht es eine gebildete und gut informierte Gesellschaft, und daran gilt es meines Erachtens zu arbeiten.

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Unternehmen können die Einstellung ihrer Kunden gegenüber Selektionsalgorithmen zu ihrem Vorteil nutzen

5. December 2016 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

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Von Myriam Ebinger

Hast du dich schon einmal darüber gewundert, dass in deinem Facebook bei den Neuigkeiten plötzlich eine Werbung steht zu einem Produkt, welches du kürzlich auf Google gesucht hast? Dann bist du Zeuge des Ergebnisses eines Selektionsalgorithmus geworden. Was genau ist jedoch solch ein Selektionsalgorithmus?

Ein Algorithmus ist die Beschreibung des Vorgehens zur Lösung eines Problems. Also wie die Anleitung eines IKEA-Möbels, welche einem Schritt für Schritt beschreibt, wie es zusammengesetzt werden soll. Ein Selektionsalgorithmus ist somit eine Anweisung an das System, nach welchen Kriterien Inhalte ausgewählt werden sollen. Zu dieser Art der Algorithmen gehören zum Beispiel Such-, Aggregations-, Überwachungs- und Empfehlungsapplikationen. Es gibt also bereits eine grosse Auswahl an Algorithmen alleine für die Selektion von Daten. Im Allgemeinen spricht man im Kontext von Webseiten meist von Such- und Empfehlungsalgorithmen, wie sie Unternehmen wie Google, Facebook und Netflix nutzen.

Viele Menschen wissen über diese Algorithmen nicht oder nur ungenügend Bescheid. Deshalb sind sie diesen eher feindlich oder zumindest kritisch gesinnt. Denn viele Menschen haben das Gefühl, überwacht oder manipuliert zu werden, wenn ein Unternehmen wie zum Beispiel Facebook massgeschneiderte Kaufvorschläge unterbreitet. Welche Rolle spielt die Einstellung gegenüber diesen Algorithmen für die Sympathie respektive Antipathie gegenüber einem Unternehmen?

In der Psychologie wird eine Einstellung folgendermassen beschrieben: die Bereitschaft eines Individuums ein Objekt positiv oder negativ zu bewerten, was sich in Gedanken, Gefühlen und Verhalten ausdrücken kann. Es wäre denkbar, dass die negative Einstellung gegenüber den erwähnten Selektionsalgorithmen auf ein ganzes Unternehmen ausstrahlt und daraus ein negatives Image resultiert. Umgekehrt ist dieser Prozess auch als Chance zu sehen: eine Person mit einer positiven Einstellung gegenüber Selektionsalgorithmen nimmt auch eine positive Einstellung gegenüber dem Unternehmen ein, welches damit wirbt, solche Algorithmen zu verwenden. Somit wäre es für das Unternehmen von Vorteil, die anfängliche negative Einstellung in eine positive umwandeln zu können. Dies wäre dank der sogenannten evaluativen Konditionierung möglich. Dabei werden Argumente und daraus resultierende positive Emotionen mit dem Unternehmensnamen gekoppelt und auf das Unternehmen übertragen. Dies könnte beispielsweise durch gezielte Werbung erreicht werden. Denn sachlich gesehen benutzen wir im Alltag, das heisst in der «Offline-Welt», auch viele Algorithmen (z.B. wenn wir auf der Suche nach einer Wohnung sind und eine Maklerin mit unseren individuellen Suchkriterien anfragen). Und genau so könnte man die Menschen bei den Emotionen packen und ihnen zeigen, wie praktisch und effizient es ist, verstanden zu werden und genau das zu kriegen, das man will.

Eine bleibende negative Einstellung gegenüber Selektionsalgorithmen ist für ein Unternehmen schlecht. Wie sollen diese Firmen nun mit der negativen Einstellung umgehen? Sie können diese zu ihren Gunsten nutzen und ihre Taktik ändern, indem sie den Kunden die Möglichkeit bieten, die Selektionsalgorithmen auf ihrer Website auszuschalten. Dadurch können sie sich von anderen Konkurrenten differenzieren und neue Kunden akquirieren, die Selektionsalgorithmen gegenüber eher negativ eingestellt sind.

Was viele Menschen vor allem an den Selektionsalgorithmen stört, ist nicht in erster Linie das Was, sondern vielmehr das Wie und insbesondere auf welcher Datenbasis diese Auswahlkriterien beruhen. Denn damit die Algorithmen optimal funktionieren, benötigt das Unternehmen Informationen in Form von Daten. Diese Informationen erhalten sie oftmals ohne das Wissen der Benutzer der Webseiten. Und genau damit haben viele Menschen ein Problem, denn der Datenschutz und die Privatsphäre könnten dabei verletzt werden. Dies ist neben der Manipulation der Konsumenten einer der prominentesten Gründe für die Unzufriedenheit der Kunden mit den Algorithmen. Vielen Konsumenten ist jedoch nicht klar, welche weiteren sozialen Risiken existieren. Der Medienwissenschaftler Michael Latzer erwähnt beispielsweise auch eine Verringerung der Auswahl, soziale Diskriminierung und eine Beschränkung der Meinungsfreiheit. Nimmt das Wissen über die mit Algorithmen verbundenen sozialen Risiken zu, würde das Image von Unternehmen, die sich dieser Algorithmen bedienen, leiden.

Ein Unternehmen, welches dieses Problem bereits erkannt hat, entwickelte die Suchmaschine DuckDuckGo, welche ganz ohne Speicherung persönlicher Daten auskommt und damit wirbt, sich nicht dem Nutzungsverhalten anzupassen, neutral zu bleiben und ungefilterte Informationen zu liefern. Diese Webseite bearbeitet täglich mehrere Millionen Suchanfragen und ist ein Beweis dafür, dass dieses Angebot einem Bedürfnis entspricht. Selbstverständlich verwendet DuckDuckGo ebenfalls Algorithmen, jedoch ohne die Komponenten der Speicherung persönlicher Daten und der Manipulation.

Es ist in der heutigen Zeit bei der vorherrschenden enorm grossen Datenmenge praktisch unmöglich, bei Webseiten auf Algorithmen zu verzichten. Unternehmen können jedoch die Einstellung der Kunden gegenüber Selektionsalgorithmen nutzen und zu ihren Gunsten verwenden, indem sie entweder die positive Einstellung gegenüber Algorithmen mit ihrem Unternehmen koppeln oder die Bedenken der Kunden berücksichtigen und ihnen eine „light“ Version der Algorithmen anbieten, die Datensicherheit und die Privatsphäre schützen. Diese Möglichkeit der Wahlfreiheit ist heutzutage besonders wichtig, da es sowohl Kunden gibt, die es geniessen, auf sie zugeschnittene Ergebnisse zu erhalten, aber ebenso auch andere Kunden, bei denen die Wahrung ihrer Privatsphäre im Vordergrund steht.

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Algorithmen entscheiden alles für uns

22. November 2016 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare

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Von Somara Gantenbein

Gehören Sie auch zu den Menschen, die sich schon oft gefragt haben, warum das Internet immer weiss, welche Reise Sie gerade gebucht oder welchen blauen Pullover Sie zuletzt angeschaut haben und Ihnen dies oder Ähnliches jeweils in der Werbung auf diversen Seiten angezeigt wird? Verantwortlich dafür sind Algorithmen.

Was genau sind nun aber Algorithmen? Ein Algorithmus ist ganz einfach ausgedrückt eine Verfahrensanweisung, ähnlich wie ein Kuchenrezept. Die Grundlage dafür sind Daten über uns, die wir, oder auch Firmen, die wir mehr oder weniger bewusst dazu autorisiert haben, täglich im Netz preisgeben. Dabei wählt ein Algorithmus automatisch Elemente aus den zur Verfügung stehenden Daten aus und berechnet eine Antwort. Ein Algorithmus hört nie auf, aus den durchgeführten Berechnungen zu lernen, denn die erhaltenen Ergebnisse sind zugleich auch wieder neue Inputs für künftige Berechnungen eines Algorithmus.

Algorithmen, die autonome Entscheidungen treffen, verbreiten sich immer mehr und sind inzwischen in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens anzutreffen, beispielsweise bei Suchmaschinen (z.B. Google, Bing, Yahoo), sozialen Netzwerken (z.B. Facebook, Instagram, Twitter, Pinterest), Streaming-Anbietern (z.B. Spotify, Netflix), Nachrichtenportalen, Online-Shopping. Sie haben angefangen, unser alltägliches Leben und unsere Realität umzugestalten. Dass wir durch Algorithmen beeinflusst werden, wissen wir oft nicht oder nehmen es selbst nicht aktiv wahr. Anhand von unseren digitalen Aufzeichnungen wie beispielsweise Facebook-Likes können automatische und treffende Annahmen darüber gemacht werden, wer wir sind, was wir tun und denken (z.B. Ethnizität, Religion, Persönlichkeit, Arbeitsfeld, politische Einstellung, Lebenszufriedenheit). Abgesehen von der Reise und dem Pullover, weiss das Internet somit also viel mehr über uns, als uns bisher bewusst war.

Algorithmen entscheiden unter anderem darüber, welche Werbung wir angezeigt bekommen, welche Nachrichtenbeiträge uns erreichen und ob wir kreditwürdig sind. Unternehmen, die Algorithmen einsetzen, um gigantische Datenmengen zu analysieren und die Algorithmen dadurch weiterzuentwickeln, erhalten nicht nur grosse ökonomische Vorteile, sondern kontrollieren damit auch bereits jetzt grosse Teile unseres Lebens.

Abgesehen davon, dass die ethische Dimension von Algorithmen für Organisationen oftmals kein Thema ist, stellt sich an diesem Punkt die Frage, wie viel Kontrolle wir selbst im Internet überhaupt wollen. Denn Algorithmen erleichtern vieles und bringen auch viele Vorteile mit sich. Kreditkartenfirmen schützen mittels Algorithmen unsere Kreditkarteninformationen, wenn wir Onlineshopping betreiben. Personalisierte Film- bzw. Musikvorschläge auf Netflix und Spotify zu erhalten, ist angenehm. Die Informationsflut auf Google wird überschaubarer gemacht.

Schon Festinger (1957) beschrieb in seiner bekannten Theorie der kognitiven Dissonanz, dass Personen nach Konsistenz und Widerspruchsfreiheit in ihrem Gedanken- und Glaubenssystem streben. Sie empfinden es generell als unangenehm, wenn sie widersprüchliche Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen und Einstellungen haben. Daher versuchen sie diese sogenannte Dissonanz zu reduzieren. In Bezug auf soziale Netzwerke, Nachrichten und Streaming-Anbieter könnte man sagen, dass ein Algorithmus genau für eine solche Widerspruchsfreiheit sorgt. Er sorgt dafür, dass keine Dissonanz durch Beiträge und Informationen entsteht, die nicht in unser Schema passen. Denn aufgrund unseres bisherigen Online-Verhaltens filtert uns der Algorithmus genau die Dinge heraus, für die wir eine Präferenz haben und die mit unseren Ansichten übereinstimmen. Wir fühlen uns gut dabei.

Dass wir dazu neigen, Informationen so auszuwählen und so zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen, führt aber auch zu einer kognitiven Verzerrung. Diese Bestätigungsneigung hilft uns nicht dabei, unser Selbstkonzept weiterzuentwickeln, uns selbst politisch und kulturell zu bilden, und uns unabhängig zu fühlen.

In aktueller Zeit wurden auch Stimmen von Soziologen und Technologen laut, die besorgt sind, dass Algorithmen als eine Form „sozialer Kontrolle“ funktionieren. Mitte April dieses Jahres beschäftigte sich ein Hauptreferat der akademischen Konferenz „Theorizing the Web“ in New York City damit. Und auch der Internetaktivist Eli Pariser sprach über die Gefahr, die Algorithmen mit sich bringen können. Er nennt es die „Filterblase“, ein Phänomen, bei welchem Algorithmen effektiv Personen aus dem kulturellen und ideologischen Mainstream ausschliessen. Dies geschieht durch eine Kombination ihres eigenen Online-Verhaltens und den bestehenden Algorithmen, wodurch sie ein einzigartiges Informationsuniversum bilden, in welchem schlussendlich nur noch ihre politische Ansicht und blaue Pullover existieren. Dabei wissen Personen nicht, was ihnen aufgrund des Filters verwehrt bleibt. Provokativ gesagt, ist dies ein Rückschritt in frühere Zeiten, als wir noch nicht die Möglichkeit hatten, alle Informationen zu bekommen, als nicht alles so transparent war wie im World Wide Web.

Dass Algorithmen wirklich alles für uns bestimmen, lässt sich bezweifeln. Man kann allerdings sagen, dass Algorithmen zu wissen meinen, was wir sehen und wissen wollen. Sie enthalten uns dadurch gewisse Dinge vor und entmündigen uns auch teilweise. Einige von uns sind möglicherweise weniger konsistent in dem, was sie sich anschauen, sind offen für unterschiedliche Einstellungen, Ansichten, Meinungen oder suchen genau dies. Haben wir uns nicht alle zu einem gewissen Grad in das World Wide Web begeben, weil wir danach streben unseren Horizont zu erweitern, um uns auch mit Dingen auseinanderzusetzen, die ausserhalb unserer „Komfortzone“ liegen? Algorithmen bestimmen ja bereits einen grossen Teil unseres Online-Daseins. Bei sozialen Netzwerken wie beispielsweise Facebook und Instagram legt man sich aber bereits selbst durch seine Likes und Klicks seine eigene Welt zu recht. Dies wirft bei vielen Personen die Frage auf, wieso man da noch zusätzlich eine Selektion durch einen Algorithmus braucht. Schön wäre es, wenn Individuen selbst entscheiden könnten, ob eine Algorithmusfilterung zur Anwendung kommt oder nicht, und sie nicht automatisch in eine Filterblase geworfen würden. Die Entscheidungsfreiheit wäre toll – egal wo, ob bei Suchmaschinen, sozialen Netzwerken, Streaming-Anbietern, in Nachrichtenportalen oder beim Online-Shopping. Bis dahin appelliere ich an die World Wide Web-Besucher, öfter einmal zu hinterfragen, was sie alles sehen und was sie sehen wollen.

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