Social Psychology @ UZH

Social Behavior in a Digital Society

Psychologische Prozesse unterstützen die Wirkung von Gerüchten über Flüchtlinge

12. January 2017 | Johannes Ullrich | Keine Kommentare |

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Von Korbinian Lunckenbein

Falschinformationen können sowohl absichtlich als auch unabsichtlich in Umlauf gebracht werden. Speziell soziale Medien verschaffen Falschinformationen extremes Gewicht und ungeahnte Popularität. Das grösste Problem ist oftmals nicht die Falschinformation an sich, sondern dass es sehr schwer ist, diese wieder zu korrigieren. So hält sich beispielsweise hartnäckig das Gerücht, dass der amerikanische Präsident Barack Obama kein Amerikaner sei. Schlimmer wird es jedoch, wenn ein ganzes Land aufgrund einer unseriösen Studie der Meinung ist, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung zu Autismus führen kann. Aus Angst vor vermeintlichen Impfschäden nahmen die Menschen eine grosse Anzahl von tatsächlichen Erkrankungen in Kauf, zum Teil mit Todesfolge. Inwiefern Falschinformationen noch gefährlichere Auswirkungen haben kann, zeigt das eindrückliche Beispiel des Irak-Krieges. Heutzutage glaubt immer noch ein Grossteil der Amerikaner, dass der Irak unter Saddam Hussein tatsächlich Atomwaffen gehabt haben könnte. Diese Behauptung legitimierte nicht nur den verheerenden Irak-Krieg, sondern trug im Nachhinein auch massgeblich zur Bildung des Islamischen Staates bei, welcher uns heute in Angst und Schrecken versetzt. Das Wissen, beziehungsweise das angebliche Wissen, ist heute trotz eindeutiger Klarstellung der US-Regierung und US-amerikanischer Medien immer noch tief in den Überzeugungen der westlichsten Nation verankert. All diese Beispiele wurden überwiegend von Medien verbreitet und liessen sich im Nachhinein schwer bis gar nicht mehr korrigieren. Doch warum ist das so?

Lewandowsky und Kollegen (2012) diskutieren einige Erklärungen aus der Psychologie. Diese versuche ich anhand der Flüchtlingskrise und einer eigenen kleinen Umfrage zu belegen. Flüchtlinge sind hierbei irgendwo gefangen zwischen Realität und Fiktion, ihrer eigenen Realität und der Fiktion anderer Menschen. Dabei wird Flüchtlingen zu Unrecht alles Mögliche zur Last gelegt. Sie seien schuld an der Entführung und Schlachtung von Nutzvieh (z.B. Ziegen), hinterlassen alles in einem Chaos und vergewaltigen reihenweise Frauen. All dies sind Gerüchte, die keinerlei Grundlage aufweisen und dennoch rapide in sozialen Medien aufgegriffen werden und sich verbreiten. Dies ist heutzutage, u.a. durch Facebook, leichter als je zuvor. So beschreiben die Forscher Friggeri und Kollegen (2014), dass eine Richtigstellung auf Facebook ein Gerücht sogar noch populärer macht, da es so weitere Beachtung bekommt. Ein eindrückliches Beispiel ist das Foto eines verwüsteten Zugs, welcher vermeintlich von Flüchtlingen so hinterlassen wurde. Besagtes Foto löste einen Aufschrei in Deutschland aus, da es als Beweis für den mangelnden Respekt der Flüchtlinge verbreitet wurde. Wie man jedoch schnell herausfand, waren hier keine Flüchtlinge am Werk, sondern deutsche Fussballfans, welche nach einem Spiel diesen Zugwaggon so hinterlassen haben. Damals sah ich es noch als meine Aufgabe, Freunde, welche dieses Bild in Facebook mit der Hass-Nachricht teilten, zu berichtigen und ihnen den Original-Artikel zu zeigen. Um herauszufinden, ob dies erfolgreich war, habe ich im Rahmen dieses Beitrags drei Freunde erneut befragt und ihnen das Foto gezeigt, welches bereits mindestens ein Jahr zurückliegt. Erstaunlicherweise gaben zwei von drei schnell die Antwort, dass es sich hierbei um Flüchtlinge handelte, die diesen Zug verwüstet hinterlassen hatten.

Um die Frage nach dem „warum“ des nachhaltigen Einflusses von Falschmeldungen zu beantworten, geben Lewandowsky und Kollegen (2012) einige Erklärungen. Hier würde zum Beispiel das individuelle mentale Modell erklären, warum die Richtigstellung nicht funktionierte. Durch die Berichtigung wird ein Teil in den Vorstellungen gestrichen. Aus dem ursprünglichen „A→B→C→D“ wird nun „C“ entfernt. Die Kette ist unvollständig, was zur versuchten Aufrechterhaltung von „C“ führt. Um dies zu verhindern versuchte ich, die „Flüchtlinge“ durch Fussballfans zu ersetzten, was mir per Facebook wahrscheinlich nicht so gut gelungen ist. Ein weiterer Grund des Effekts wird erklärt durch Fehler beim kontrollierten Erinnerungsprozess beziehungsweise durch die Flüssigkeit des Abrufens. So ist es schlichtweg einfacher, sich etwas Positives zu merken (A→B, anstatt A-ungleich-B) und das Abrufen der Falschinformation “Flüchtlinge verwüsten Züge” ist einfach, schneller und vor allem vertrauter als das Abrufen der Information “Flüchtlingen haben diesen Zug nicht verwüstet”. In der Psychologie wird dies unter dem Begriff Familiarity Backfire Effect zusammengefasst, der besagt, dass die reine Wiederholung das Gerücht leichter abrufbar und damit auch leichter merkbar macht. Dies zu ändern oder zu korrigieren erfordert zusätzliche Denkprozesse, welche wesentlich mehr Aufmerksamkeit benötigen. Des Weiteren besagt der Overkill Backfire Effect, dass simple Mythen/Aussagen schlicht attraktiver sind und die meisten Korrekturen komplizierter verfasst sind. Die Aussage „Flüchtlingen verwüsteten diesen Zug“ ist einfach geschrieben. Die Korrektur „Flüchtlinge haben diesen Zug nicht verwüstet, sondern das waren eigentlich Fussballfans, die nach einem Spiel auf dem Heimweg waren“ ist vergleichsweise lang und sperrig. Zudem darf man nicht vergessen, dass es sich bei besagten Facebook-Bekannten um Personen handelt, welche bereits Flüchtlingen gegenüber negativ eingestellt waren und sie demnach auch eher Informationen suchen, welche ihre Einstellungen befürworten. So werden beim Worldview Backfire Effect Gegebenheiten, welche dem eigenen Weltbild widersprechen, ignoriert und bewirken sogar ein Festklammern an den eigenen Überzeugungen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die „Wahrheit der Masse“. Menschen neigen eher dazu, einem Gerücht zu folgen, wenn es viele tun. Gerade rechtslastige Gerüchte werden in Facebook oder anderen sozialen Medien von Tausenden Menschen geteilt. Die schiere Masse verleitet dazu, Informationen einfach hinzunehmen und ungefragt zu akzeptieren. Dabei ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen, dass sie diese Informationen wiederum von eigenen Freunden (auf Facebook) beziehen und diese dann auch eher als vertrauenswürdige Informationen behandelt werden. Diese Gerüchte werden oftmals aufgrund eigener Motive, diese können beispielsweise politischer oder bösartiger Natur sein, absichtlich platziert, um eben diese Flüchtlinge zu verunglimpfen mit dem Wissen, dass diese schwer, wenn nicht gar unmöglich zu korrigieren sind.

Zusammengefasst zeigt sich immer wieder, dass Gerüchte und Desinformationen fatale Auswirkungen haben und dass es sehr schwer ist, diesen entgegen zu wirken. Speziell Flüchtlinge werden derzeit von meist rechtsradikalisierten Menschen gezielt durch den Schmutz gezogen. Durch das soziale Netzwerk verbreiten sich Falschinformationen zunehmend schneller. Abschliessen möchte ich dieses Statement mit einem Zitat von Kuklinski, Quirk, Jerit, Schwieder, & Rich (2000): “It is a truism that a functioning democracy relies on an educated and well-informed populace”. Für eine funktionierende Demokratie braucht es eine gebildete und gut informierte Gesellschaft, und daran gilt es meines Erachtens zu arbeiten.

Abgelegt unter: Seminar Blog


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