Das Leberblümchen begeistert jeden Frühling von neuem

Das Leberblümchen begeistert jeden Frühling von neuem

57. Jahrgang, Nr. 1, Januar 2023

Briefe aus dem Botanischen Garten der Universität Zürich

Ein Beitrag von Claudia Winteler

Jeden Frühling ziehen Fotografen in die Natur und werden magisch von der blauen Blüte des Leberblümchens (Hepatica nobilis) angezogen. Fotocommunities veranstalten sogar exklusive Leberblümchen-Exkursionen. Worin liegt die Faszination dieser kleinen, höchstens 20cm hohen Blume?

Die Farbe Blau

Das Leberblümchen hat meistens 6 Blütenblätter.
Foto: Claudia Winteler

Könnte es eventuell an der blauen Blütenfarbe liegen? Eine Farbe, die im Gegensatz zu weiss und gelb bei uns eher selten auftritt. Gerade mal annähernd 6% aller Blütenpflanzen der Schweiz tragen die Farbe Blau. Okay, orange ist mit 0.4% noch seltener. Jedoch schafft es laut einer Umfrage die Farbe Blau mit 40% an die Spitze der Lieblingsfarben, orange ist mit 6% in der Beliebtheitsskala weit hinten. Wer beliebt und rar ist, ist begehrt.

Die Chemie des blauen Farbstoffes

Es ist die Gruppe der Anthocyane, die in den Pflanzen für rote, blaue und violette Farben sorgen. Es sind wasserlösliche und pH-abhängige Stoffe, die zu der Grossgruppe der Flavonoide gehören. Das Leberblümchen besitzt in seinen Blüten das Anthocyan Cyanidin. Cyanidin zeigt für jeden Säuregrad eine andere Farbe und kann für die Bestimmung der ganzen pH-Skala benutzt werden. Da es bevorzugt auf Kalk mit pH-Werten über 7 wächst, leuchten seine Blüten fast immer intensiv blau, violett bis lila. Fällt jedoch der pH-Wert unter 7, wechselt die Farbe nach rosa oder pink. Wandert eine Ameise über die blauen Blüten und gibt etwas Säure ab, entstehen an diesen Stellen rosa Flecken.

In alten Wäldern, auf Kalk und ungestört

Das müssen Sie sich merken, wenn Sie Leberblümchen im Wald entdecken: Junge Wälder sind während der Aufbauphase noch vielen Veränderungen ausgesetzt. Alte Wälder, und dabei spreche ich von mehreren hundert Jahren, haben sich so weit arrangiert, dass der Boden, das Licht und viele weitere Faktoren gut auf-einander abgestimmt sind. Genau das Richtige für die Leberblümchen – ist der Boden auch noch kalkhaltig und wird er nicht umgegraben, plattgedrückt, niedergewalzt oder sonst wie gestört, dann steht dem Leberblümchen nichts mehr im Wege, sich dort „häuslich“ nieder zu lassen, um ein ganzes Menschenleben lang zu verweilen. Sie können zwischen 70 und 80 Jahre alt werden. Von noch älteren Exemplaren wurde auch schon berichtet.

Historische Mauern oder wie ein paar Leberblümchen einem Archäologen Kopfzerbrechen bereiteten

Eines Tages stand ein Archäloge vor einer Ansammlung von Leberblümchen in der Nähe einer Burgruine. Diese Burgruine befand sich auf einem steilen Quarzfelsen, der sehr basenarm war und den Boden entsprechend sauer machte. Das Leberblümchen darf hier eigentlich gar nicht vorkommen, dachte sich der Mann. Tat es aber! Was ihn vor ein grosses Rätsel stellte. Auffallend war, dass die Blume nur an einer Stelle auf dem ganzen Areal wuchs. Könnte es sein, dass der Boden nur an dieser Stelle kalkhaltig war? Aber warum? Der Archäologe wischte mit der Hand etwas Erde beiseite und stiess schon nach kurzer Zeit auf eine Mauer, die zu einer alten Zisterne gehörte. Diese Zisterne bestand aus Kalkmörtel, welche den Boden in der unmittelbaren Nähe über die Jahrhunderte kalkhaltig machten. Das Rätsel war gelöst. Die Frage, wie die Leberblümchen dahin kamen, interessierte den Archäologen wahrscheinlich nicht mehr. Aber vielleicht wollen Sie es wissen?

Das Leberblümchen: eine Giftpflanze

Das Leberblümchen gehört zu den Hahnenfussgewächsen, einer Familienbande mit lauter giftigen Gesellen. Der Eisenhut, der Rittersporn und die Christrose sind ganz vorne dabei. Das Leberblümchen mit seinen wenigen und schwachen Giftstoffen bringt es in dieser Hinsicht nicht zu grosser Berühmtheit. Obwohl alle Hahnenfussgewächse ähnliche Inhaltsstoffe haben, sind nicht alle gleich stark giftig. Auf die Zusammensetzung kommt es an. So gilt das Leberblümchen mit seinem geringen Gehalt des Reizstoffs Protoanemonin und den Saponinen als schwach giftig. Trotzdem kann es zu unangenehmen und schmerzhaften Reizungen im Magen-Darmtrakt, in der Nierengegend oder auf der Haut kommen. Um eine tödliche Vergiftung zu erreichen, müsste der Mensch allerdings 30 – 50 ganze Leberblümchen verspeisen. Bei der Trocknung verliert das Protoanemonin seine Giftwirkung, wobei dann das Leberblümchen kaum mehr giftig ist.

Die Früchte des Leberblümchen sind mit weissen, eiweiss- und fettreichen Anhängsen (Elaiosomen) versehen, die als Futter für Ameisen dienen.
Foto: Claudia Winteler

Zuckerbrot für Ameisen

Nun, ich würde jetzt einfach mal eine Vermutung äussern. Vielleicht befand sich ein Kalkbuchenwald in der Nähe und die Samen wurden von dort durch ein Heer von Ameisen an diese Stelle geschleppt. Die Ameisen sind richtiggehend süchtig nach dem süssen Anhängsel der Leberblümchenfrucht, dem Elaiosom. Entweder fressen sie den süssen Snack sofort oder bringen ihn in ihren Bau, um den Nachwuchs zu füttern. Die Frucht fällt auf dem Weg dahin ab und der darin enthaltene Same keimt bei günstiger Gelegenheit aus.

Bewegen durch Wachsen

Was für eine geniale Einrichtung! Die Blüten des Leberblümchens können sich bei Sonnenuntergang oder Regen schliessen, indem die Zellen der äusseren Schicht wachsen. So krümmen sich die Blütenblätter zum Zentrum. Beim Öffnen wiederum müssen die Zellen auf der Innenseite wachsen. Mit der Zeit werden so die Blütenblätter grösser.

Innereien in der Pflanzenwelt

Ein Leberblümchenblatt im Herbst.
Foto: Claudia Winteler

Herz, Niere, Milz, Lunge, Darm und Leber sind alles wichtige Organe in unserem Körper. Einige Pflanzen werden aus verschiedenen Gründen nach unseren inneren Organen benannt. Herzgespann, Nieren-Steinbrech, Milzkraut, Lungenkraut, Hühnerdarm und eben auch das Leberblümchen. Es verdankt seinen deutschen und lateinischen (Hepaticus = Leber) Namen den leberähnlichen Blättern. Vor allem die einzelnen Blattlappen und die rote Unterseite sieht unserem Entgiftungsorgan ähnlich. Daher soll es nach der Signaturenlehre vom Spätmittelalter gegen Leberleiden wirksam gewesen sein. Diese Lehre ging davon aus, dass die Pflanzen durch ihre Formen und Farben verraten, für welche Krankheiten sie gut sind. So die gängige Meinung – jedoch existiert eine andere wahrscheinlichere Interpretation der Signaturenlehre, die besagt, dass die Menschen nach einem Symbol bei den Pflanzen suchten, um sich die Anwendung besser merken zu können. Bis ins 17. Jahrhundert setzten die Gelehrten das Leberblümchen in Wein gesotten bei Leberbeschwerden und Nierenleiden ein, und die frische Pflanze wurde auf Wunden gelegt. Sie nahmen vermutlich in Kauf, dass bei ihren Patienten bei der äusserlichen Anwendung sich die Haut durch die Giftstoffe entzündete und bei der inneren Anwendung das Nierensystem gereizt wurde. Im 19. Jahrhundert gab es in der Pharmazie grosse Veränderungen und viele neue Erkenntnisse, im Zuge dessen verlor das Leberblümchen seine Relevanz. Es verschwand aus den Heilpflanzenbüchern und ist nur noch in der Homöopathie vertreten. Ein Revival hat es bis heute nicht erlebt.

Claudia Winteler

Claudia Winteler arbeitet im Redaktionsteam von Natura-Helvetica. Über das Leberblümchen schrieb sie in der Ausgabe Nr. 41 (Feb./März 2021). www.naturahelvetica.ch