Die Birkenrinde hat’s in sich – wasserdicht, reissfest und dünn wie Papier

Die Birkenrinde hat’s in sich – wasserdicht, reissfest und dünn wie Papier

Ein Beitrag von Lars Kaderli

Eine Birke zu erkennen ist selbst im Winter leicht – die weisse Borke sticht stets aus allen Wäldern und Parkanlagen hervor. Auch wenn wir Birken meist mit Skandinavien oder den Weiten Russlands verbinden, kommen sie auf dem Grossteil des eurasischen und nordamerikanischen Kontinentes vor.

Die Farbpalette der Birkenrinden (Abbildungen 1)

Dabei ist nicht jede Birke so weiss wie die hiesige Moorbirke (Betula pubescens) oder die in Parkanlagen beliebte Himalya-Birke (Betula utilis). Im Botanischen Garten wächst sowohl eine gelbe Birke (Betula alleghaniensis) wie eine schwarze Birke (Betula nigra). Damit ist die Farbpalette der Birke aber noch nicht ausgeschöpft, gibt es doch auch noch Arten mit Rinden in pastellfarbenem Pink, Braun und kupfernem bis rötlichem Orange. Doch auch wenn nicht alle der circa 50 Birkenarten eine weisse Rinde haben, haben viele der Arten weitere gemeinsame Merkmale: [1]

Ihre Rinde ist übersäht mit auffallenden schwarzen bis weissen, horizontalen, kurzen Streifen. Das sind Lentizellen, welche mit ihren Belüftungsröhren den Gasaustausch für das darunterliegende Gewebe ermöglichen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die dünne Borke, welche dazu tendiert vom Stamm abzublättern. Nimmt man diese abblätternde Schicht aus totem Bast und Kork in die Hand, wird dabei offenbar, dass sie zwar fast so dünn wie Papier, aber wesentlich zäher ist. Im Unterschied zu Papier ist diese Rinde sehr wasserresistent, und saugt sich auch bei nasser Witterung nicht mit Wasser voll. [2]

Moorbirken (Betula pubescens) im Botanischen Garten (Abbildung 2)
Papierbirke (Betula papyrifera) (Abbildung 3)

Birkenrinde – ein ideales Material

Körbe aus Birkenrinde (Abbildung 4)

Dünn, wasserabweisend, flexibel und doch zäh. Genau diese Eigenschaften ermöglichten es dem Menschen seit jeher die Birkenrinde auf zahllose Weisen zu nutzen. So wurde schon in der Bronzezeit, ca. 1400 v. Chr. die Rinde zu wasserdichten Gefässen und Schuhen verarbeitet, wie ein archäologischer Fund in Dänemark zeigte. Der Fakt, dass es auch nach über 3000 Jahren möglich war, Spuren von Bier in einem jener Gefässe aus Birkenrinde zu finden, zeigt auf wie beständig dieses Material ist. [3]

Das Holz der Birke, aber auch die Rinde wurde oft in der Konstruktion von Pfeilbögen und Köchern verwendet. Die Sarmaten, ein Reitervolk des 4. Jahrhunderts in der heutigen Ukraine, waren berühmt für ihre Kompositbögen welche mit Birkenrinde umhüllt waren. Im Inneren bestand ein solcher Kompositbogen aus mehreren verleimten Holzschichten. Die äussere Schicht aus Birkenrinde schützte den Leim vor dem Aufweichen bei nasser Witterung. [4]

Eine Hängebirke (Betula pendula) im Botanischen Garten (Abbildung 5)

Auch bei der Konstruktion von Häusern und Unterkünften wurde die Birke und ihre Rinde verwendet. So wohnten die nordamerikanischen Abenakis traditionell in Wigwams, kuppelförmige Zelte dessen äussere Hülle teils aus Birkenrinde gefertigt wurde. Auch wenn Wigwams oft mit Leder oder anderen Rinden gebaut wurden, bedeutet der Begriff «Wigwa» in vielen Sprachen der Algonkin  «Birkenrinde». Auch in Europa wurde die wasser- und zerfallsresistente Rinde zur Abdichtung von Dächern verwendet, so für die typischen skandinavischen Torfdächern. Auch wenn diese Dächer nach dem verwendeten Torf benannt sind, ist es die sich auf der Unterseite befindende Birkenrinde, welche das Dach undurchlässig macht. Der verwendete Torf diente primär zur Befestigung der leichten Rinde und der Stabilisierung der Wände. [2]

Ein Kanu aus Birkenrinde (Abbildung 6)

Nordamerikanische Indigene bauten robuste Kanus aus Birkenrinde, zum Beispiel aus der Papierbirke (Betula papyrifera). Sie befuhren damit einst nicht nur Stromschnellen, sondern überquerten auch Ozeane. Hatten sie keinen Zugriff zu Birkenrinde, bauten sie die Kanus aus Ulme (Ulmus) oder Hickory (Carya). Solche Kanus hatten allerdings nur eine Lebenserwartung von wenigen Tagen, während jene aus Birkenrinde bis zu 10 Jahre lang haltbar waren. Der Grund dafür liegt in der Wasserresistenz der Birkenrinde. Die Rinde anderer Bäume saugt sich im Gegensatz schnell mit Wasser voll. Die Kanus werden dadurch träge und undicht.

Erst im 20. Jahrhundert wurden in Nordamerika die Birkenkanus durch günstigere Kanus aus Holz und Leinwand verdrängt. [5]

Weshalb ist die Birkenrinde überhaupt weiss?

Auch wenn die meisten Birken durch ihre Rindenfarbe leicht erkannt werden, ist eine weisse Borke bei Laubbäumen in nördlichen Gebieten keine Seltenheit. So ist beispielsweise die aus Eurasien stammende Espe (Populus tremula) oder die amerikanische Zitterpappel (Populus tremuloides) ebenfalls in eine weisse Borke gekleidet. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie alle im Norden ihrer Heimatkontinente vorkommen und sehr kalte Winter überstehen können.

Paradoxerweise entsteht diese Kälteresistenz genau wegen der weissen Borke. Bei Sonneneinstrahlung bleibt sie kälter, als es eine dunklere tun würde. Dies ist gerade im Winter wichtig, in welcher das kurzzeitige Auftauen während sonnigen Stunden und das anschliessend erneute Einfrieren zu grossen Schäden an der Baumrinde führen kann. In einer Studie malten kanadische Forscher weisse Bäume mit brauner Farbe an, um anschliessend während des Winters die mittägliche Durchschnittstemperatur unterhalb der Rinde zu messen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Durchschnittstemperatur unterhalb der Rinde bei dunkel angemalten Bäumen um bis zu 10°C höher war als bei den unbehandelten Birken und Pappeln. Dies führte dazu, dass solche Bäume über den Gefrierpunkt erwärmt wurden und anschliessend wieder schneller gefroren. Nach zwei Jahren zeigten 35% aller dunkel angemalten Bäume Frostschäden, im Gegensatz zu 4.5% bei den unbehandelten Bäumen.

Insgesamt sind diese Ergebnisse gute Hinweise dafür, dass die weisse Farbe der Birke eine Adaption an die kalten Winter der nördlichen Breitenzonen sein könnte. [6]

Pech und Heilung

Man würde es nicht vermuten, aber die edle, weisse Rinde der Birke hat ein schwarzes Geheimnis: Birkenpech. Diese zähe, teerartige Substanz wirkt unappetitlich, hat aber eine Vielzahl von handwerklichen und medizinischen Anwendungen. Diese Substanz wird durch einen einfachen Prozess gewonnen. Birkenrinde wird in einem abgedichteten Gefäss im Feuer erhitzt. Bei dieser hohen Hitze und unter Luftabschluss, entsteht eine dunkle Flüssigkeit. Beim anschliessenden Abkühlen bildet sich das eingedickte Birkenpech. Diese Substanz könnte man durchaus als eines der ersten synthetischen Produkte ansehen.

Birkenpech (Abbildung 7)

Umso beindruckender, dass archäologische Grabungen die ältesten Funde von Birkenpech auf 250’000 v.Chr. datieren. Andere Funde belegen, dass bereits unsere steinzeitlichen Verwandten, die Neandertaler, Birkenpech hergestellt haben. [7]

Die Anwendung dieses zähen schwarzen Stoffes als Klebstoff für die Herstellung von Werkzeugen und Waffen dokumentiert der Fund der Gletschermumie «Ötzi». Birkenpech und seine Inhaltsstoffe wurden schon genauso lange als Heilmittel verwendet: Die Inarisamen aus dem finnischen Lappland verwendeten es als antimikrobiellen Kaugummi und Wundverschluss. In Russland diente Birkenpech als Mückenschutz und Entwurmungsmittel.

Einer der aktiven Substanzen im Birkenpech ist Betulin, ein Terpen. Der Birkenrindenextrakt wurde 2016 unter dem Namen Episalvan zur Behandlung von Hautwunden für den europäischen Markt zugelassen. [8]

Birkenrinde ist geduldig

Die bereits erwähnte Ähnlichkeit der abschälenden Birkenborke zu Papier macht es naheliegend, dass diese auch dazu verwendet wurde. Tatsächlich zählen dünne Streifen der Rinde zu den ältesten Schriftträgern der Geschichte und wurde von vielen Kulturen verwendet. So zählen die aus dem heutigen Kaschmir stammende buddhistischen Texte in Sanskrit zu den ältesten Texten in einer indoeuropäischen Sprache. [9]

Auch im mittelalterlichen Nord- und Osteuropa wurde Birkenrinde als Schriftträger verwendet. Im heutigen Russland, Belarus und der Ukraine wurden insgesamt über tausend Stücke beschriebene Birkenrinden gefunden, welche im Lehmboden perfekt erhalten blieben. Im Unterschied zu teurem Pergament war Birkenrinde günstig und wurde auch von einfachen Leuten für Notizen verwendet. Die Alphabetisierungsrate war dementsprechend vermutlich wesentlich höher als es im damaligen Westeuropa der Fall war.

Siebzehn dieser beschriebenen Birkenrinden stammen aus dem Jahr 1260 und wurden von einem besonders charismatischen Autor verfasst: Dem etwa 6-7-jährigen Onfim aus Novgorod. Onfim schrieb nicht nur seine Hausaufgaben auf die weisse Rinde, sondern kritzelte darauf auch sich und seine Tagträumereien. Die Ähnlichkeit dieser Zeichnungen zu heutigen Kinderzeichnungen ist bemerkenswert. [10]

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Vielseitigkeit und Wichtigkeit der Birke und ihrer Rinde nicht unterschätzt werden soll. Auch wenn der Baum oft nur wegen der Schönheit seiner  Rinde angepflanzt wird, können Sie den Baum vielleicht in Zukunft mit anderen Augen sehen.

Das Auge einer Moorbirke (Abbildung 9)

Literautverzeichnis

[1] Ashburner, K., & McAllister, H. (2013). Botanical Magazine Monograph: The genus Betula: a taxonomic revision of birches. Royal Botanic Gardens: London, UK. 118.

[2] Lewington, A. (2018). Birch. Reaktion Books. 34-40, 55-71, 96-98.

[3] Bergerbrant, S. (2019). Revisiting the ‚Egtved Girl‘. 1-204.

[4] Ureche, P. (2013). The bow and arrow during the Roman Era. Ziridava. Studia Archaeologica27(1). 188-192.

[5] Mcphee, J. (1982). The survival of the bark canoe. Farrar, Straus And Giroux Publishers. 16-26.

[6] Karels, T. J., & Boonstra, R. (2003). Reducing Solar Heat Gain during Winter: The Role of White Bark in Northern Deciduous Trees. ARCTIC56(2). https://doi.org/10.14430/arctic612

[7] Schenck, T., & Groom, P. (2018). The aceramic production of Betula pubescens (downy birch) bark tar using simple raised structures. A viable Neanderthal technique? Archaeological and Anthropological Sciences10(1), 19–29. https://doi.org/10.1007/s12520-016-0327-y

[8] Scheffler, A. (2019). Betulin aus der Birkenrinde für die Haut. Aktuelle Dermatologie45(07), 332–335. https://doi.org/10.1055/a-0881-6715

[9] Olivelle, P. (Ed.). (2006). Between the empires: society in India 300 BCE to 400 CE. Oxford University Press. 356-357.

[10] Rybina, E. A. (2018). Interpreting the birch bark manuscript no. 206 written by the Novgorod boy Onfim. Sibirskie Istoricheskie Issledovaniya4, 130–145. https://doi.org/10.17223/2312461x/22/7

Abbildungsverzeichnis

Abbildungen 1: Fotos von links nach rechts

Abbildung 2: Foto von Lars Kaderli

Abbildung 3: Foto von Natalie von Riedmatten

Abbildung 4: Foto von Daderot unter CCO 1.0

Abbildung 5: Foto von Natalie von Riedmatten

Abbildung 6: Foto von Jim Brekke

Abbildung 7: Foto von Jorre unter CC BY-SA 3.0

Abbildung 8: Foto von Nikola Smolenski unter Public Domain

Abbildung 9: Foto von Natalie von Riedmatten