Ein Blick unter die Erde

Ein Blick unter die Erde

57. Jahrgang, Nr. 2, März 2023

Briefe aus dem Botanischen Garten der Universität Zürich

Ein Beitrag von Leah Spirk

Was ist die Wurzel von 81? Kennen Sie die richtige Antwort?

Hoffentlich schon, obwohl das Wurzelziehen im Mathematikunterricht je nachdem schon eine ganze Weile her ist. Trotzdem haben wir es alle gelernt, und vielleicht auch wieder vergessen.

Falls Sie es bis jetzt immer noch nicht wissen: Die Lösung ist neun. Aber Wurzeln kennt man nicht nur aus der Mathematik, sondern auch aus der Zahnmedizin. Falls Sie schon einmal einen Zahn ziehen mussten, konnten Sie nur hoffen, dass die Zahnwurzel nicht zu tief feststeckte. Doch auch sonst ist der Begriff «Wurzel» allgegenwärtig. Besonders prägend ist er im Kontext der Familienforschung. Wir fragen uns, wo wir herkommen, wo also unsere Wurzeln liegen und mit wem wir sie teilen. Stammbäume sind ein beliebtes Konzept, diese Verhältnisse aufzuzeigen. Der symbolische Stammbaum besitzt dargestellt zwar keine Wurzeln, doch wenn wir uns einen Baum mit umfassendem Wurzelwerk vorstellen, könnte er so wie in Abbildung 1 aussehen. Faszinierenderweise ist die Fläche, die die Wurzeln dieses Baumes einnimmt (es handelt sich um die Waldföhre Pinus sylvestris L.), mindestens genau so gross oder grösser als der mit ihrem oberirdische Teil des Baumes. Beeindruckend, nicht?

Abbildung 1: Zeichnung der Waldföhre (Pinus sylvestris) mit ihrem ausgeprägten Wurzelwerk

Doch wofür brauchen Pflanzen Wurzeln?

Pflanzenwurzeln dienen primär der Aufnahme von Wasser und Nährstoffen. Sie sind aber auch außerordentlich wichtig für die Befestigung und Stabilität einer Pflanze, da die Wurzeln sie fest im Boden verankern. Bei Kletterpflanzen sind die Wurzeln essenziell für die Anheftung an den Untergrund. Darüber hinaus funktionieren die Wurzeln einiger Arten als Speicherorgan für Reservestoffe wie zum Beispiel Stärke oder Wasser. Einige dieser Pflanzenarten kultivieren wir für Nahrung. Denken Sie an Karotte, Zuckerrübe oder Süßkartoffel. Wussten Sie, dass Wurzeln auch bedeutend für die Atmung der Pflanze sein können? Zum Beispiel bei der Echten Sumpfzypresse (Taxodium distichum), die im Botanischen Garten am Teich wächst, kann man die sogenannten Pneumatophoren (Atemwurzeln) sehr gut betrachten (Abbildung 2). Da die Echte Sumpfzypresse feuchte und daher sauerstoffarme Böden bevorzugt, ragen diese «Atemknie» aus der Erde und versorgen das Wurzelgewebe mit genügend Sauerstoff für den Zellstoffwechsel.

Abbildung 2: Atemwurzeln der Sumpfzypresse (Taxodium distichum) im Botanischen Garten
Foto: UZH

Wussten Sie, dass Pflanzenwurzeln miteinander kommunizieren und somit unterirdische Netzwerke bilden? Dies wird über eine Symbiose zwischen Lebensgemeinschaften an Bodenpilzen und Pflanzenwurzeln erreicht. Man nennt diese Symbiose Mykorrhiza, aus dem griechischen «mýkēs» für Pilz und «rhiza» für Wurzel, also «Pilz-Wurzel». Dabei besiedelt der Pilz das Feinwurzelsystem einer Pflanze und versorgt die Pflanze mit wichtigen Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff. Im Gegenzug liefert die Pflanze den Pilzen Produkte, die sie über die Photosynthese gewinnt, wie zum Beispiel Kohlenstoff in Form von Zucker. Vorteile für die Pflanze sind nicht nur ein erhöhtes Wachstum
durch die effizientere Nährstoff- und Wasseraufnahme, sondern auch ein verbesserter Schutz gegen Krankheiten.1 Da sich die Mykorrhiza-Pilze mit mehreren Pflanzen gleichzeitig verbinden können, entsteht ein Netzwerk, über das die Pflanzen durch den Austausch von Stoffen miteinander «kommunizieren». Man spricht von «unterirdischen Pilzstrassen» (Abbildung 3). Grundsätzlich leben fast alle Landpflanzen in einer Mykorrhiza-Symbiose.2

Abbildung 3: beeindruckende Mykorrhiza-Netzwerk (in rot) 2

Das umfassende unterirdische Wurzelnetzwerk und die vielfältigen Funktionen der Wurzeln selbst sind für uns nur schwer greifbar. Deshalb befindet sich im Botanischen Garten neu ein Plakat, welches die Komplexität des Wurzelgeflechts visualisiert. Es handelt sich dabei um den Milden Mauerpfeffer (Sedum sexangulare), der seine prächtigen Wurzeln präsentiert (Abbildung 4). Auf dem Poster befinden sich auch noch drei weitere Illustrationen, die die Arten Tatarischer Strandflieder (Goniolimon tataricum), Steppen-Wolfsmilch (Euphorbia seguieriana) und Öhrchen-Leimkraut (Silene otites) darstellen. Sie demonstrieren ein etwas anderes Wurzelnetz von trockenadaptierten mitteleuropäischer Grünlandpflanzen.


Abbildung 4: Milder Mauerpfeffer (Sedum sexangulare) und seine Wurzelpracht

Die schönen Illustrationen stammen aus zwei Publikationen von L. Kutschera und E. Lichtenegger – «Wurzelatlas mitteleuropäischer Gründlandpflanzen» (1992) und «Bewurzelung von Pflanzen in verschiedenen Lebensräumen» (1997). Das Plakat befindet sich im Durchgang zwischen dem Trockengebietshaus und dem Tieflandregenwaldhaus.

Viel Spass beim Besuchen!

Leah Spirk

(Praktikantin im Botanischen Garten mit Bachelor in Biologie)

Literatur:

[1] Dighton, J. (2009). Mycorrhizae. In M. Schaechter (Ed.), Encyclopedia of Microbiology
(Third Edition) (pp. 153-162). Academic Press. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/B978-012373944-5.00327-8
[2] Heijden, M. G. A. v. d. (2016). Underground networking. Science, 352(6283), 290-291.
https://doi.org/doi:10.1126/science.aaf4694