Wie relevant ist ein botanischer Garten?

Wie relevant ist ein botanischer Garten?

Ein Beitrag von Leah Spirk

Botanische Gärten sind bedeutende Vertreter des Artenschutzes, der Wissenschaft, der Bildung und der Kultur. Trotz des breit gefächerten Tätigkeitsbereichs eines botanischen Gartens werden sie oft  unterschätzt. Was sind also die Aufgaben eines botanischen Gartens im 21. Jahrhundert und wie relevant sind diese?

Blick ins Palmenhaus im Seftonpark, Liverpool (Abbildung 1)

Klimawandel und Wissenschaft

Es ist vielleicht nicht ganz offensichtlich, aber botanische Gärten spielen eine wichtige Rolle in der Erforschung des Klimawandels und dessen Auswirkungen. Über den Klimawandel wird schon lange, aber vor allem in letzter Zeit immer häufiger berichtet. Damit man sich darunter konkreter etwas vorstellen kann, zuerst zwei verschiedene Definitionen.

Laut der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change UNFCCC) wird der Klimawandel definiert als:

«Änderungen des Klimas, die unmittelbar oder mittelbar auf menschliche Tätigkeiten zurückzuführen sind, welche die Zusammensetzung der Erdatmosphäre verändern, und die zu den über vergleichbare Zeiträume beobachteten natürlichen Klimaschwankungen hinzukommen.»
RAHMENÜBEREINKOMMEN DER VEREINTEN NATIONEN ÜBER KLIMAÄNDERUNGEN (unfccc.int)

In dieser Definition spielt «die menschliche Tätigkeit» eine wesentliche Rolle. Bei einer anderen Definition des Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC nicht. Dort wird Klimawandel definiert als:

„eine Zustandsänderung des Klimas, die aufgrund von Änderungen des Mittelwerts und/oder der Variabilität seiner Eigenschaften nachgewiesen werden kann (z. B. mit Hilfe von statistischen Methoden) und die über einen längeren Zeitraum von typischerweise Jahrzehnten oder länger andauert“.
Klimaänderung 2014 – Minderung des Klimawandels (ipcc.ch)

Unsere Blutbuche, die auch unter dem Klimawandel leidet (Abbildung 2.1)
Unsere Blutbuche, die auch unter dem Klimawandel leidet (Abbildung 2.2)

Der Klimawandel, auch Klimaänderung oder Klimaveränderung genannt, hat viele meist negative Auswirkungen auf alle möglichen Bereiche des menschlichen Lebens. Um ein paar Beispiele zu nennen:

  • Häufung der Extremwetterereignisse -> Überschwemmungen, Dürren, Starkregen, Sturm
  • Steigung des Meeresspiegels -> Überflutung von Gebieten; Verkleinerung der Landmasse bei wachsender Bevölkerung
  • Auftauen des Permafrosts -> Freisetzung von vielen Treibhausgasen; schnelleres Erwärmen (positive Rückkoppelung)
  • Verlust der Biodiversität -> Ökosysteme werden weniger widerstandsfähig, auch gegen Krankheitserreger; Nahrungsunsicherheit
  • Ozeanversauerung -> Korallensterben etc.
  • Hungerkrisen, Gesundheitskrisen, wirtschaftliche Folgen, Verbreitung von Schädlingen
  • Diverse andere Kettenreaktionen und Kippelemente

(Dies sind nur einige wenige Folgen und Auswirkungen des Klimawandels.)

Die gute Nachricht: Botanische Gärten haben die Gelegenheit, einen nützlichen Beitrag zur Klimaforschung zu leisten und dadurch die Auswirkungen des Wandels vielleicht etwas zu mildern.

In diesem Blogpost soll etwas auf die Aufgabenbereiche und die Bedeutung der botanischen Gärten eingegangen werden und damit einen groben Überblick verschaffen.

Der Botanische Garten von New York (Abbildung 3)

Botanische Gärten gibt es auf der ganzen Welt. Sie besitzen grosse Sammlungen an unterschiedlichsten Pflanzenarten aus der ganzen Welt von verschiedenen geographischen Regionen und gar Zeiten. Die kultivierten Pflanzen wachsen unter gemeinsamen Bedingungen und interagieren laufend. Da kann man sich vorstellen, dass botanische Gärten für die Forschung, Lehre und Wissenschaft von grossem Interesse sind. Denn nur hier kann man die Reaktion verschiedenster Pflanzenarten auf das vorherrschende Klima oder auf die Interaktion mit anderen Pflanzen und Tieren beobachten und aufzeichnen. Und dies an vielen Orten der Welt gleichzeitig.

In botanischen Gärten werden auch aktiv Experimente durchgeführt, welche sorgfältig überwacht und dokumentiert werden. Dafür stellt man sich Fragen wie:
«Wie unterscheiden sich Arten in ihrer Reaktion auf den Klimawandel?», «Wie haben Pflanzen bisher auf den Klimawandel reagiert und wie werden sie in Zukunft reagieren?» und «Wie können wir gefährdete Pflanzen am besten schützen?».
Experimente umfassen beispielsweise die Reaktion von ausgewählten Pflanzen auf veränderte Temperaturbedingungen, Niederschlagsmengen oder auf den Befall von Pathogenen (Krankheitserreger).

Durch die Verbindung des Botanischen Gartens der UZH mit der Universität Zürich ist der Garten mit dem angehängten Institut ein wichtiger Teil der Lehre und Ausbildung von Studierenden.

Tropischer Dschungel in einem Gewächshaus (Abbildug 4)

Der wissenschaftliche Austausch über gesammelte Daten ist sehr wichtig. Deswegen wird die Zusammenarbeit verschiedener botanischer Gärten und die Bildung von Netzwerken unterstützt. Netzwerke erlauben Wissenschaftler:innen, die eine Pflanzenart an verschiedenen Standorten mit unterschiedlichen heutigen Klimabedingungen zu untersuchen und zu vergleichen. Dies kann für die Klimaforschung sehr aufschlussreich sein. Denn so können Zukunftsszenarien erstellt werden, wie sich die biogeographische Verteilung einer oder mehrerer Pflanzenarten mit sich änderndem Klima verändert oder welche Pflanzengemeinschaften unter welchen Bedingungen am besten gedeihen.

Die wohl unmittelbarste Auswirkung des Klimawandels auf Pflanzen ist die Verschiebung der Phänologie (Erscheinungslehre) – also die saisonal ablaufenden Entwicklungserscheinungen wie Blattentfaltung, Blütezeit, Reifung der Früchte, Blattverfärbung und Blattfall. Pflanzenarten, die in der Lage sind, ihre Phänologie anzupassen, habe grössere Chancen sich in einem sich wandelnden Klima durchzusetzen.

Im Botanischen Garten von Meise, Belgien (Abbildung 5)

Doch der lebende Bestand eines botanischen Gartens reicht der (Klima-)Forschung noch lange nicht. Sehr praktisch sind die Herbarien, die viele botanische Gärten auf aller Welt stolz pflegen. Ein Herbarium ist eine Sammlung von gepressten und getrockneten Pflanzen und Pflanzenteilen. Diese teils sehr alten Belege geben Aufschluss über die Veränderung der Pflanzenmorphologie über einen langen Zeitraum, als auch die Veränderung der biogeographische Verteilung von Pflanzen und vielem mehr. Durch die Konservierung von Pflanzenteilen können zeitliche und geographische Veränderungen gut beobachtet und modelliert werden.

Herbarbelege in den Vereinigten Herbarien der Universität und ETH Zürich (Abbildung 6)

Botanische Gärten sind wahrhaftige Biodiversitätsinseln. Leider haben wir es seit ein paar Jahrzehnten ausserhalb botanischer Gärten mit einer Biodiversitätskrise zu tun. Diese beschreibt den schnellen und zahlenmässig grossen Verlust von Tier- und Pflanzenarten, sowie Landschaften und der biologischen und genetischen Vielfalt. Zu den häufigsten anthropogenen Ursachen für den Rückgang der Biodiversität zählen vor allem die Habitatszerstörung und -fragmentierung, globale Klimaveränderungen, biologische Invasionen, Übernutzung und Umweltverschmutzung. In allen Fällen trägt hauptsächlich der Mensch die Verantwortung und dies obwohl die Biodiversität so wichtig wäre. Als eine Art Puffer federt die Artenvielfalt negative Auswirkungen des Klimawandels ab.

«Die besondere Kompetenz der botanischen Gärten liegt in der Kombination von wissenschaftlicher Kenntnis und gärtnerischer Fähigkeit zur Kultur von Wildpflanzen»
Botanica 2020 – Klimawandel.pdf (botanica-suisse.org)

Deshalb haben botanische Gärten eine Schlüsselrolle im Artenschutz. Sie erhalten (konservieren) lebende Pflanzensammlungen durch das aktive Kultivieren seltener und vieler Arten und das Schaffen von geeigneten Lebensräumen im Garten selber. Durch sogenannte Ex-situErhaltungskulturen (lateinisch für «außerhalb des [ursprünglichen] Ortes») werden bedrohte Wildpflanzen in botanischen Gärten (also ausserhalb ihres natürlichen Lebensraums) kultiviert und je nach dem auch wieder in der Natur ausgesiedelt. So können in sehr glücklichen Fällen gefährdete Arten gerettet werden.

Auch sind botanische Gärten Kooperationspartner für den Naturschutz. Sie unterstützen In-SituProjekte (lateinisch für «am Ort»), die durch andere Institutionen oder Organisationen (Bund, Kanton, Gemeinde) ausgeführt werden. Dabei werden bedrohte Arten in ihrem natürlichen Lebensraum so gut wie möglich geschützt und erhalten.

Sehr wichtig für den Artenschutz ist auch der (inter-)nationale Austausch von Samenmaterial oder gar Setzlingen. Über die jeweiligen Samenkataloge (Index Seminum) der botanischen Gärten können Samen bestimmter Pflanzen untereinander geteilt werden. In Saatgutbanken können auch seltene Pflanzensamen für die spätere Wiederansiedlung in der freien Natur aufbewahrt werden.

Palmenblätter im Botanischen Garten von Lund, Schweden (Abbildung 7)

Professor Dr. Christopher D.K. Cook, ehemaliger Direktor des Botanischen Garten der Universität Zürichs, meinte: «So bleibt für viele bedrohte Pflanzenarten als einzige Überlebenschance die Kultivierung in Gärten.» (Guyer, Schneller, & Cook, 1977)

Einer der grössten Pluspunkte eines botanischen Gartens aber ist dessen Interaktion mit der Öffentlichkeit.

Bildung und Kultur

Früher waren botanische Gärten nur den Klöstern oder Universitäten vorbehalten. Mit der Öffnung der Gärten für die Öffentlichkeit wuchs auch deren Bedeutung für die Gesellschaft. Ein botanischer Garten ist sozusagen der Schnittpunkt zwischen Forschung und Öffentlichkeit mit Pflanzen als Kommunikationsmittel.

Ein botanischer Garten spielt eine grosse Rolle in der Wissensvermittlung. Dabei teilt er vor allem die Bedeutung der biologischen Vielfalt der Gesellschaft mit. Die Artenvielfalt soll nämlich gefördert werden! Botanische Gärten verwirklichen dies hauptsächlich über Führungen, botanische Ausstellungen, Kurse, Informationstafeln, Events, Broschüren, Social Media und Publikationen. Für einen Wissenstransfer sind botanische Museen, Bibliotheken oder Herbarien ebenfalls geeignet. Am wichtigsten aber ist die Kultivierung und Präsentation der Pflanzenvielfalt für die Gesellschaft.
So werden beim Nutzpflanzengarten Pflanzen zur Schau gestellt, die zum Beispiel nach Zeit, Nutzung oder Küche sortiert sind. Der Heilpflanzengarten beherbergt (Heil-)Pflanzen unterteilt nach Geschichte, Arzneimittel oder Medizinalsystemen. Überall im Garten verteilt finden sich spannende Infos und viele Arten sind beschriftet.
Natürlich gibt es in den meisten botanischen Gärten auch Platz für Kunst und Kultur. So werden nicht nur Kunstaustellungen, sondern auch Konzerte und Theater veranstaltet.

Viele botanische Gärten bieten auch eine Art «Grüne Schule» für Kinder und Jugendliche an. Mit kindergerechten Formaten wird so die Wichtigkeit der Natur und Artenvielfalt in spielerischer Weise vermittelt.

Aktuell haben sich viele botanische Gärten das Ziel gesetzt, die Beziehungen zwischen Pflanzen und Menschen besser aufzuzeigen, zu fördern und zu stärken. Unser botanischer Garten hat die Vision, ein schweizweit führender Lehr- und Lernort zum Thema Biodiversität der Pflanzen zu sein. Auch will er wesentlich zum Thema Pflanzen-Umwelt-Menschen-Gesundheit beitragen.

Die drei Schauhäuser im Botanischen Garten der UZH (Abbildung 8)

Neben der Wissensvermittlung hat ein botanischer Garten natürlich auch eine bedeutende Rolle im Bereich Naturerlebnis und Erholungsraum. Mit den grosszügigen grünen Flächen, schattenspendenden Bäumen und bequemen Sitzgelegenheiten ist er ein beliebtes Ausflugsziel – und dies für ein breites Spektrum der Gesellschaft. Auch Fotografen, Pflanzenliebhaber, Sportbegeisterte oder Flaneure lassen sich gerne blicken. Die botanische Vielfalt fasziniert und inspiriert. Mit seinem abwechslungsreichen Gelände bietet der Garten einen attraktiven Ort zum Verweilen, Entspannen und Erholen. Die Kraft und Ruhe, die ein botanischer Garten ausstrahlt, lädt bei jedermann und -frau die Batterien wieder voll auf.

Der Botanische Garten in Kew (Abbildung 9)

Zusammenfassend kann man also sagen, wie könnte ein botanischer Garten nicht relevant sein? Er ist nicht nur für die Forschung und Wissenschaft, aktuelle Themen wie der Klimawandel und den Biodiversitätsverlust, Wissensvermittlung und Bildung, sondern auch für die Erholung der Bevölkerung, für Kultur und Ästhetik und als Ort der Begegnung von grosser Bedeutung.

Kakteenwald (Abbildung 10)

Obwohl botanische Gärten so wichtig für die Wissenschaft und die Gesellschaft sind, wird immer wieder über fehlende Finanzierungen und Schliessungen gesprochen. Dies ist sehr schade, denn botanische Gärten haben auf vielen Ebenen etwas zu bieten!


Quellen