Die Fangmechanismen von Venusfliegenfalle und Sonnentau

Die Fangmechanismen von Venusfliegenfalle und Sonnentau

56. Jahrgang, Nr. 2, März 2022

Briefe aus dem Botanischen Garten der Universität Zürich

Ein Beitrag von Elena Zahner

Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, hat über fleischfressende Pflanzen (Karnivoren) ein ganzes Buch geschrieben [1]. Sicher hätte er seine helle Freude an all den neuen Erkenntnissen, über welche wir heute zu den Fangmechanismen fleischfressender Pflanzen verfügen. Da spielen elektrische Signale und Transmittersubstanzen eine wichtige Rolle, ähnlich wie bei der Erregungsleitung in tierischen Nervenbahnen!

Die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) ist wohl eine der faszinierendsten Pflanzen: Wenn sie mit ihren Tasthaaren die Bewegung einer Fliege in einer ihrer Fallen registriert, kann sie im Bruchteil einer Sekunde zuschnappen. Die Fliege hat keine Chance zu entkommen und wird über die nächsten Tage von der Pflanze verdaut, welche anschliessend die in der Fliege enthaltenen Nährstoffe resorbiert. Doch wie kann eine Pflanze so schnell auf einen mechanischen Reiz reagieren? Diese Frage ist Gegenstand der aktuellen Forschung, denn solche blitzschnellen Bewegungen sind für eine Pflanze doch recht ungewöhnlich und sonst eher aus dem Tierreich bekannt.

Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula)
Foto von Elena Zahner
Blatt der Venusfliegenfalle mit je sechs Tasthaaren ausgestattet.
Foto von Elena Zahner

Der Sonnentau (Gattung Drosera) hingegen fängt seine Beute auf eine langsamere Art. Seine Blätter sind mit Fangtentakeln übersät, an dessen Spitze sich klebrige Schleimtröpfchen bilden. An diesen Tropfen bleibt die Beute kleben wie an einem Fliegenpapier. Wenn sich die Beute zu befreien versucht, löst sie mit ihren Bewegungen Reize aus, die von den Tentakeln registriert werden und dazu führen, dass sie sich in Richtung Mitte des Blattes beugen und die Beute umschliessen.

Sonnentau und Venusfliegenfalle gehören beide zur gleichen Familie der Sonnentaugewächse (Droseraceae). Somit kann man davon ausgehen, dass der Mechanismus der Berührungsempfindlichkeit und Reizweiterleitung in beiden Pflanzen wohl ähnlich funktioniert. Das macht es so spannend, diese beiden Pflanzen parallel zu erforschen.

Blatt eines Rundblättrigen Sonnentaus mit seinen Fangtentakeln.
Foto: Elena Zahner

Beide haben spezielle Zellen, welche die mechanischen Reize wahrnehmen. Bei der Venusfliegenfalle befindet sich an der Tasthaarbasis ein Ring aus Zellen, dessen Zellmembran bei der Beugung des Haars gedehnt wird [2]. Durch die Dehnung der Zellmembran öffnen sich spezielle Ionenkanäle, wobei Kalzium-Ionen einfliessen können. Welche Kanäle vermutlich hierfür verantwortlich sind, wurde kürzlich publiziert [3].


Das Einfliessen dieser Ionen führt dazu, dass ein elektrisches Signal – ein sogenanntes Aktionspotential – mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10 m/s [4] durch die Falle weitergeleitet wird. Diese unglaubliche Geschwindigkeit kann vermutlich dank einer speziellen Anpassung der elektrisch leitfähigen Blattadern in der Falle erreicht werden: Diese sind parallel und vernetzt angeordnet und fungieren als «Stromnetz» [5].

Eine Libelle liegt gefangen zwischen Sonnentaublättern – es ist fraglich, ob so ein grosses Insekt von den kleinen Sonnentaublättern verdaut werden kann.
Foto: Alpsdake, wikimedia

Solche Aktionspotentiale können bereits ausgelöst werden, wenn das Tasthaar nur um mehr als drei Winkelgrade und unter Aufwendung minimaler Kraft ausgelenkt wird [6] [7]! Damit sich eine Falle schliesst, braucht es zwei Aktionspotentiale innerhalb von etwa 30 Sekunden. Für lange Zeit hat man gedacht, dass dafür immer zwei Berührungen des Tasthaars notwendig sind – neuerdings wurde jedoch aufgezeigt, dass in bestimmten Fällen auch bereits eine Berührung ausreichend sein kann.


Im Sonnentau weiss man nicht genau, welche Zellen berührungsempfindlich sind, jedoch geht man davon aus, dass sie sich im oberen Teil des Tentakels befinden. In den Tentakeln kann man ebenfalls Aktionspotentiale messen; sie werden vom oberen Teil des Tentakels generiert und werden bis in dessen Basis weitergeleitet. Jedoch scheinen sie mit 0.005 m/s einiges langsamer unterwegs zu sein als bei der Venusfliegenfalle [8].
Es gibt Hinweise, dass z.B. im Rundblättrigen Sonnentau (Drosera rotundifolia) die gleichen Kalziumkanäle wie bei der Venusfliegenfalle für die Wahrnehmung mechanischer Reize verantwortlich sind [9].

Elena Zahner

Nachsatz: Elena Zahner (elena.zahner@uzh.ch), die Autorin dieses «Gartenbriefes», hat zum gleichen Thema im Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie UZH eine Masterarbeit abgeschlossen. Eine Briefversion mit ausführlichem Quellenverzeichnis findet sich auf der Webseite der Freunde BGZ: http://www.freundebgz.ch/.


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Literaturverzeichnis

[1] Darwin, C. (1875) Insectivorous Plants (John Murray, London). [deutsch 1876 «Insektenfressende Pflanzen»].

[2] Saikia, E., Läubli, N. F., Vogler, H., Rüggeberg, M., Herrmann, H. J., Burgert, I., Burri, J. T., Nelson, B. J., Grossniklaus, U., & Wittel, F. K. (2021). Mechanical factors contributing to the Venus flytrap’s rate-dependent response to stimuli. Biomechanics and Modeling in Mechanobiology, 20(6), 2287-2297.

[3] Procko, C., Murthy, S., Keenan, W. T., Mousavi, S. A. R., Dabi, T., Coombs, A., Procko, E., Baird, L., Patapoutian, A., & Chory, J. (2021). Stretch-activated ion channels identified in the touch-sensitive structures of carnivorous Droseraceae plants. ELife10. https://doi.org/10.7554/elife.64250

[4] Volkov, A. G. (2019). Signaling in electrical networks of the Venus flytrap (Dionaea muscipula Ellis). Bioelectrochemistry125, 25-32.

[5] Fabricant, A., Iwata, G. Z., Scherzer, S., Bougas, L., Rolfs, K., Jodko-Władzińska, A., Voigt, J., Hedrich, R., & Budker, D. (2021). Action potentials induce biomagnetic fields in carnivorous Venus flytrap plants. Scientific Reports11(1). https://doi.org/10.1038/s41598-021-81114-w

[6] Burri, J. T., Saikia, E., Läubli, N. F., Vogler, H., Wittel, F. K., Rüggeberg, M., Herrmann, H. J., Burgert, I., Nelson, B. J., & Grossniklaus, U. (2020). A single touch can provide sufficient mechanical stimulation to trigger Venus flytrap closure. PLOS Biology18(7), e3000740. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000740

[7] Scherzer, S., Federle, W., Al-Rasheid, K. A. S., & Hedrich, R. (2019). Venus flytrap trigger hairs are micronewton mechano-sensors that can detect small insect prey. Nature Plants5(7), 670-675.

[8] Williams, S. E., & Pickard, B. G. (1974). Connections and barriers between cells of Drosera tentacles in relation to their electrophysiology. Planta116(1), 1-16.

[9] Zahner, E. (2022). Transcriptome analysis of sensory cells from Droseraceae. (Masterarbeit, betreut durch Prof. Dr. Ueli Grossniklaus und Dr. Hannes Vogler, Universität Zürich).

Weitere Links

https://www.systbot.uzh.ch/static/personen/rolf_rutishauser_assets/Darwin_Botaniker_Rutish_2009_VNGZ.pdf
https://www.bg.uzh.ch/de/fundgrube/Pflanzen/pflanzenvonnah/fleischfresser.html