Efeu - Muss er weg oder kann er bleiben?

Efeu – Muss er weg oder kann er bleiben?

55. Jahrgang, Nr. 6, November 2021

Briefe aus dem Botanischen Garten der Universität Zürich

Ein Beitrag von Claudia Winteler

Ein vollständig mit Efeu eingewachsenen Haus.

Im Internet finden Gartenbesitzer:innen unzählige Hinweise und Methoden, wie der Efeu von Gemäuern oder Bäumen entfernt werden kann. Aber muss das wirklich sein? Nein, ausser der Efeu passt einem nicht, weil er die schöne Hausmauer bedeckt oder den Apfelbaum allmählich zudeckt, ansonsten gibt es keinen Grund ihn mit radikalen Mitteln und so schnell wie möglich zu entfernen. Im Gegenteil, er schützt besonders empfindliche alte Gemäuer vor dem Verfall, wie Forschende aus England herausgefunden haben.

Gebäudemauern müssen oft ungeschützt grossen Temperaturschwankungen, wechselhafter Witterung und städtischer Verschmutzung trotzen, mit mässigem Erfolg, sie bekommen Risse und zerfallen allmählich. Mit aufwändigen Mitteln müssen die Fassaden folglich in regelmässigen Abständen renoviert werden. Eine Bedeckung mit Efeubewuchs würde die Mauern nachhaltig schützen. Zusätzlich fangen die Efeublätter den teilweise aggressiven Feinstaub, der die Wände ebenfalls angreift, auf. Und schluss endlich spart der Besitzer des Hauses auch noch Heizkosten. Bis zu 30% soll die Isolationswirkung einer Efeufassade sein.

Und wie steht es mit den Bäumen?

Der Efeu stirbt dort, wo er sich festklammert.

Werden sie vom Efeu erstickt, erwürgt, ausgesaugt und erbarmungslos abgemurkst? Diese These stammt vom berühmten Naturforscher Theophrast aus dem 2. Jh.v.Chr. und hält sich bis in die Gegenwart hartnäckig. Der Efeu ist keinesfalls ein Parasit. Mit seinen Nährwurzeln holt er selbstständig Wasser und Nährstoffe aus dem Erdreich und mit seinen Haft- resp. Kletterwurzeln haftet er sich lediglich am Substrat fest, um nach oben zu streben.


Ein bisschen Wahrheit steckt im „Ersticken“ der Wirtsbäume. Sie haben bestimmt schon ganz mit Efeu bedeckte kleine Bäume gesichtet und dabei nur noch erahnen können, welcher Baum mitten im Efeu steckt. Ist es gerade der beliebte Obstbaum im Garten, der jährlich schmackhafte Früchte liefert, dann tut der Besitzer gut daran, den Efeu in Schach zu halten. Jedoch bei grossen Bäumen, wie Eichen, Buchen, Eschen etc. gelangt der Efeu nicht bis in die Kronen, sondern hält sich im Stammbereich und den dickeren Ästen auf. Der Efeu hat nämlich in ungefähr 20 m sein Höhenlimit erreicht und dies dauert seine Zeit. Der Efeu braucht etwa 30 – 40 Jahre bis er da oben angelangt ist. Die Waldbesitzer und Baumpfleger können also das Efeumäntelchen an den Bäumen lassen, zumal es die Stämme vor Sonnenbrand und Frostrissen bewahrt.

Und seien wir mal ehrlich, was hätte der Efeu davon, wenn er seine „Wirtsbäume“ schädigen würde? Denn laut einem Sprichwort stirbt der Efeu dort, wo er sich festklammert und wer schaufelt schon sein eigenes Grab, wenn er eine Lebenserwartung von über 400 Jahre in Aussicht hat.

Doch nicht so gewöhnlich der Efeu

Mit Haftwurzeln kann sich der Efeu an Bäumen u.a. emporranken.

Ungewöhnlich ist der Efeu in manchen Aspekten. Obwohl der Efeu zu unserer heimischen Flora gehört, verhält er sich so, als ob er immer noch in den Lorbeerwäldern von vor 60 Millionen Jahren lebt. Damals gab es in Mitteleuropa noch kein Gebirge und das Klima war feucht-warm mit trockenen Sommern und regenreichen Wintern. Daher blüht er im Herbst und fruchtet im Frühjahr, also gerade umgekehrt wie unsere Holzgewächse. Lorbeerwälder kommen heute auf den Kanarischen Inseln, auf Madeira, auf den Azoren und weiteren regenreichen milden Gebieten auf der Welt vor.


Eine andere Besonderheit ist die Heterophyllie (Verschiedenblättrigkeit). An den Zweigen, die kriechend und haftend unterwegs sind, sitzen die typisch gelappten Efeublätter, welche in ihrer Grösse stark variieren können (von 4 bis zu 25 cm lang). An den Zweigen, die keine Haftwurzeln mehr ausbilden und auch erst in einer gewissen Höhe über dem Boden austreiben, befinden sich die ungelappten eiförmigen bis rhombischen Blätter, die mit Längen zwischen 5 – 10 cm nicht so stark voneinander abweichen. Nur diese Stängel bilden Blüten- resp. Fruchtstände.

Wäsche waschen: leicht gemacht!

Falls Sie mal unbeabsichtigt länger in der Natur stecken bleiben als vorgesehen und Ihre Kleider anfangen unangenehm zu riechen, nehmen Sie Efeublätter zum Waschen. Dazu können Sie in einen kleinen verschliessbaren Behälter eine Handvoll grob zerrissene Efeublätter legen, Wasser dazu geben und ca. eine halbe Stunde einwirken lassen. Beim Schütteln wird der Seifenschaum sichtbar und damit waschen Sie dann Ihre Wäsche. In Notzeiten haben die Menschen diese Naturseife immer gerne benutzt. Durch die Seifenstoffe (Saponine) werden die Kleider wieder sauber und obwohl der Efeu nicht gerade berühmt für seinen Parfümduft ist, gibt er doch ein ganz wenig angenehm duftendes ätherisches Öl ab.

Efeuharz – eine Zufallsbegegnung

Harzaustritt aus dem Efeustamm.

Efeu produziert Harz? Ja, wo denn? Wenn Sie das nächste Mal unterwegs sind, nähern Sie sich mal einem dicken Efeustamm und mit gut Glück werden Sie baumseitig geschützt vor Regen und Sonne eine rötliche-braune balsamisch duftende Substanz finden. Beim Austritt ist das Harz noch sehr weich und härtet später zu einem dunklen rubinsteinähnlichen Klumpen nach. Galen, ein bedeutender antiker Arzt, erwähnte als erster den Gebrauch von Efeuharz. Es sei hervorragend zum Haare und Läuse entfernen, schrieb er im 2. Jh.n.Chr. In den späteren Jahrhunderten benutzten Zahnärzte das braun-rote Harz als Grundlage für Zahnfüllungen. Heute wird nicht mehr viel über das Efeuharz berichtet. Falls Sie jedoch bei der „Schatzsuche“ nach dem Efeuharz fündig werden, bewahren Sie es wie ein seltenes Schmuckstück auf und erfreuen sich an seinem Duft.

Durch Efeu einen kühlen Kopf bewahren

Antike Nächte waren genauso wild wie die heutigen und so legten die Verkaterten nach einer
durchzechten Nacht einen Efeukranz um ihren Kopf. Das immergrüne Laub kühlte deren Brummschädel und linderte die Nachwehen üppigen Weingenusses. So ist es nicht verwunderlich, dass der Efeu die Lieblingspflanze des griechischen Gottes Dionysos (Gott des Rausches) war.

In diesem Sinne viel Spass beim Erkunden des Efeus!

Claudia Winteler

Ausführlichere Informationen über den Efeu erfahren Sie in den beiden Natura Helvetica Heften Nr. 40 (Dez/Jan20) und Nr. 42 (Apr/Mai21): info@naturahelvetica.ch / Alle Fotos hier im Gartenbrief wurden von Claudia Winteler zur Verfügung gestellt.