Ein Plädoyer für mehr Botanik in meiner Schokolade

Ein Plädoyer für mehr Botanik in meiner Schokolade

56. Jahrgang, Nr. 6, November 2022

Briefe aus dem Botanischen Garten der Universität Zürich

Ein Beitrag von Andrea Thurner

In der Schweiz essen wir pro Kopf und Jahr 11.3 kg[1] Schokolade – das ist mehr als in jedem anderen Land. Unsere Lieblingsschokolade ist die Milchschokolade. Wenn auf der Verpackung nichts anderes vermerkt ist, dann enthält diese aber nur 25% Kakaomasse[2] (Theobroma cacao L.; meist der Sorte Amelonado), wahrscheinlich aus Ghana (50%) oder aus Ecuador (24%)[1]. Ganz genau können wir dies aber nicht wissen, denn die Angabe des Produktionslandes ist zwar Pflicht, nicht aber die Angabe des Herkunftslandes oder der Sorte des Kakaos.

Kakaoanbau und Herkunft

Technik und Innovation, Standardisierung und Effizienzsteigerung trugen dazu bei, die Schweizer Milch-schokolade begehrt und berühmt zu machen. Allerdings basiert die Produktion auf wenigen Sorten aus
Monokulturen. Kakao stammt ursprünglich aus Zentral- und Südamerika, wurde von den Kolonialmächten aber weltweit verbreitet und im sogenannten Kakaogürtel (20° nördlich und südlich des Äquators) in vielen tropischen Ländern kultiviert. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist Westafrika das Hauptproduktions-Gebiet und Kakaoexportriesen wie Brasilien oder Venezuela verschwanden praktisch vom Weltmarkt. Einige wenige Konzerne kontrollieren den Handel und die Verarbeitung der Kakaomasse[3]. Zugang zu kleineren Anbaugebieten, die hochwertigen und geschmacklich interessanten Kakao anbauen, ist fast unmöglich geworden. Kakao aus Guatemala ist genauso schwierig zu finden wie Kakao aus Panama, den Philippinen oder Haiti.

Innovation durch mehr Kakao-Sorten

Verschiedene mexikanische Kakaosorten.
Gemahlen lassen sie sich farblich und geschmacklich unterscheiden. Foto: Andrea Thurner.

Das Ministerium für Landwirtschaft in Peru veröffentlichte 2010 die Studie «Catálogo de Cultivares de Cacao del Peru», und dokumentierte 73 Sorten, verteilt auf 5 genetische Gruppen:
Criollo (4), Forastero del alto amazonas (6), Forastero del bajo amazonas (1), Nacional (6) und Trinitario (11). Weitere 45 Sorten konnten genetisch keiner der oben genannten und bekannten Gruppen zugeteilt werden und wurden neu in 6 weitere Gruppen aufgeteilt. Wie viel reicher wären unsere Supermarktregale, wenn wir anstatt zwischen Milchschokolade und dunkler Schokolade, zwischen Schokolade mit Porcelana-Kakao (Criollo, Venezuela) – oder mit Chuncho Kakao (Forastero del alto amazonas, Cusco Peru) wählen könnten! Der Erste ist fein buttrig mit Macadamia Noten, der zweite fruchtig und floral.

Innovation durch Einbezug von anderen Theobroma-Arten

In seinem Buch «Cacao and its allies: A taxonomic revision of the genus Theobroma» (1964) beschreibt José Cuatrecasas 22 Theobroma-Arten. Noch heute wird das Fruchtfleisch und die
Samen von verschiedenen Theobroma-Arten von der lokalen Bevölkerung konsumiert. Seit einiger Zeit gibt es auch innovative Schokoladenhersteller, die vor Ort schokoladenähnliche Produkte aus Theobroma bicolor Bonpl. (in Mexiko bekannt als pataxte) und Theobroma grandiflorum (Willd. ex Spreng.) K. Schum. (in Brasilien bekannt als cupuaçu) herstellen. Sie sind weicher als Schokolade und komplex im Geschmack: Wir können Erdnuss-, aber auch Mangonoten entdecken. In der Schweiz sind sie nicht erhältlich.

Innovation durch Einbezug von anderen Pflanzen

Theobroma bicolor
Foto: Kakaw Museo del Cacao, Chiapas Mexiko

Für den Historiker Girolamo Benzoni (1519 – ca. 1575) war das bittere Kakao Getränk der Azteken «eher für Schweine als für Menschen gedacht». Der spanische Missionar und Ethnologe Fray Bernardino de Sahagún (1499 – 1590) schaute aber genauer hin. Sein Werk «Historia General de las Cosas de Nueva España» gilt als bedeutendes zeitgenössische Werk (UNESCO Weltdokumentenerbe seit 2015). Er beschreibt das tägliche Leben u.a. den Schokoladenkonsum der aztekischen Könige: «…danach wurde die Schokolade serviert: Grüne Kakao Früchte, mit Honig gesüsste Schokolade, blumige Schokolade, Schokolade mit grüner Vanille, leuchtend rote Schokolade, Schokolade mit Huitzecolli-Blumen, blumenfarbene Schokolade, schwarze Schokolade und weisse Schokolade».

Traditionelle Küche in Oaxaca, Mexiko
Foto: Andrea Thurner

Rote Schokolade wurde mit Achiote (Bixa orellana L.) gefärbt. Mit grüner Vanille (Vanilla planifolia Andrews) bezieht er sich auf die weiss/grünlichen Blüten. Die Namen der anderen Blumen erwähnt Sahagún nicht. Wir wissen aber, dass neben unzähligen Chilli-Arten (Capsicum spp.), Hoja Santa (Piper auritum Kunth, Mecaxochitl), die mexikanische Magnolie (Magnolia mexicana DC.) und die Heilige Ohrblume (Cymbopetalum penduliflorum Baill.) wichtige Zutaten waren[4]. Letztere wurde später weitgehend durch Zimt aus Asien ersetzt. Heute gibt es noch hunderte verschiedene Schokoladengetränke in Mexiko. Eines ist tejate aus Oaxaca. Hier werden Kerne der Grossen Sapote (Pouteria sapota (Jacq.) H.E.Moore&Stearn), mit Florecita de Cacao (Quararibea funebris (La Llave) Vischer), Mais und Kakao zu einem samtigen kühlen Getränk angerührt. So wird Schokolade zu einem reichhaltigem Nahrungsmittel anstatt einer Süssigkeit.

Innovation durch Einbezug von Tieren

Cielo Dentro Chocolate
Foto: Andrea Thurner

Jede Kakaolandschaft bietet Lebensraum für Tiere. Während in Ecuador Tapire beobachtet wurden, gibt es in Indien Tiger-Spuren auf den Plantagen. Affen oder Eichhörnchen, naschen gerne die reifen Kakaofrüchte. Auf der Hacienda Napana in Mexiko wurde beobachtet, dass Früchte, die von Spechten angepickt wurden, spontan zu fermentieren begannen. Mit diesem Kakao stellte Fernando Galván, Schokoladenmacher von Cielo Dentro, eine Schokolade her, die nach Pflaumen und grünen Bananen schmeckt. Tiere werden so einbezogen und nicht als Feinde gesehen.

Grössere Schokoladen Vielfalt bedeutet Diversifizierung der kultivierten Pflanzen und eine direkte Zusammenarbeit mit den Produzent:innen. So können biodiverse Schokoladenwälder entstehen, deren Besuch wahre Freude bereitet.

Andrea Thurner
von thesmallbatchproject.ch

Am 6. Dezember 2022, 12.30-13 Uhr, findet zu diesem Thema ein Vortrag im Grossen Hörsaal statt.


Literaturverzeichnis

[1] Chocosuisse, 2022, Faltblatt CHOCOSUISSE-Bulletin 2022 (Geschäftsjahr 2021),
www.chocosuisse.ch/services/unterrichtsmaterial

[2] Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI), 2010, Verordnung des EDI über Zuckerarten, süsse Lebensmittel und Kakaoerzeugnisse (Stand am 1. April 2010), 817.022.101, Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung vom 23. November 2005 (LGV)

[3] Leissle K., 2018, Cocoa, p 43, Polity Press

[4] Coe S., Coe M, 2018, The True History of Chocolate 3rd Edition p. 87 ff, Thames & Hudson