In Beziehung treten: Was Wissenschaft-Kunst-Projekte mit der Klimakrise zu tun haben

In Beziehung treten: Was Wissenschaft-Kunst-Projekte mit der Klimakrise zu tun haben

56. Jahrgang, Nr. 5, September 2022

Briefe aus dem Botanischen Garten der Universität Zürich

Ein Beitrag von Caroline Weckerle

“Was hat das nun mit Wissenschaft und Botanik zu tun?” Das werden sich einige von Ihnen beim Lesen vom letzten Gartenbrief mit dem Titel “Arabidopsis und Primula, die Tanzimprovisator*innen” gefragt haben. Mehr als man zuerst einmal denkt, möchte ich behaupten. Im Folgenden zeige ich auf, wie dieser wissenschaftliche Diskurs mit indigenem Wissen und der Klimakrise verknüpft ist.

Auswirkungen des ausserordentlich trockenen und
heissen Sommers im Botansichen Garten: Ausgedörrter
Rasen. Aufgenommen am 1. September.
Foto: Evelin Pfeifer

Ein heisser und trockener Sommer neigt sich langsam dem Herbst entgegen. Fruchtbäume werfen wegen Wassermangel ihr Obst ab, Nutz- und Zierpflanzen sind, ohne künstliche Wassergaben, vielerorts vertrocknet, Bäume stellen frühzeitig auf den Laubfall vom Herbst um. Auch für unseren diesjährigen Obstsortenmarkt ist es eine Herausforderung, die gewünschte Vielfalt und die nachgefragten Mengen an Obst zu organisieren.

Ob es noch immer Menschen gibt, die die Klimaveränderung in Abrede stellen, frage ich mich? Und wieso fällt es uns so schwer, einen nachhaltigen Lebensstil zu entwickeln, der Lebewesen und Erde eine fruchtbare Zukunft ermöglicht? Wir verfügen doch über ein umfassendes Wissen in Biologie, Ökologie, globalem Klima, sowie enorme technische Möglichkeiten. Aber offensichtlich reicht gut fundiertes wissenschaftliches Wissen allein nicht aus. Verhaltensänderungen sind schwierig – dies führt uns nicht zuletzt die Klimakrise vor Augen.

Diesen Juni fand am Collegium Helveticum in Zürich ein Symposium zum Thema “Poetics, Ethics and Politics of the Forest in Latin American Cultures” statt [1]. Wissenschaftler:innen, vor allem aus transdisziplinärer Forschung und Kulturwissenschaften, schlugen vor, dass wir uns von indigenen Kulturen [2] inspirieren lassen können, wenn es um den Umgang und die Beziehung der Menschen mit ihrer Umwelt geht. Es gibt eine grundlegende Verwandtschaft zwischen allen Lebewesen, da sind sich seit Darwin universitäre Wissenschaft und indigene Kulturen einig. Ebenfalls einig sind sie sich darüber, dass so ziemlich alles mit allem in Verbindung und Austausch steht und sich gegenseitig beeinflusst. So enthält beispielsweise unser Körper nicht nur Materialien von Pflanzen, Tieren und der Erde, sondern auch aus dem Weltall [3].

Die universitäre Wissenschaft erhebt den Anspruch objektiv, ent-subjektiviert und universell zu sein. Im Gegensatz dazu betrachten indigene Kulturen Pflanzen und Tiere typischerweise als intelligente Wesen, als Personen, als Brüder und Schwestern oder auch als Lehrer:innen [4]. Das heisst, das Subjektive und Personifizierte sowie das Lokale stehen im Vordergrund, und damit die Beziehung zwischen Subjekten. Es handelt sich um «Beziehungswissen». Beziehung ist nichts Abstraktes, sondern etwas Gefühltes und Intimes. Und genau da liegt ein Knackpunkt. Wissenschaftlich objektives Wissen ist gefühllos oder gefühlsneutral, was vielen von uns sehr entgegenkommt, da uns die Gefühlsebene mitunter etwas suspekt ist und wir nicht gerne an unsere Verletzlichkeit erinnert werden.

Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen argumentieren, dass wir eine Verhaltensänderung nur erreichen können, wenn wir in Beziehung treten mit unseren Mitlebewesen und unserer Umwelt und ganz bewusst die Gefühle wahrnehmen, die diese Beziehung ausmachen, die Schönen wie die Unangenehmen, das Erholsame wie den Schmerz und das Entsetzen über Zerstörung. Nur wenn wir die Umwelt an uns herankommen lassen, beginnen wir, uns als Teil von ihr und sie als Teil von uns wahrzunehmen. Die Grenze zwischen Objekt und Subjekt löst sich langsam auf. Und dies hat Verhaltensänderungen zur Folge.
Dass eine solche Lebensweise möglich ist – so die Argumentationslinie am Symposium – kann man von indigenen Kulturen lernen: “Western science and world have to re-learn how to relate to other beings” (Jeremy Narby, 22. Juni 2022).

Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Wissenschafts-Kunst-Projekte, die Pflanzen-Menschen-Beziehungen zum Thema haben. Die Künstlerinnen Magda Drozd und Salomé Voegelin befassen sich mit akustischer Ökologie und haben im Alten Botanischen Garten im Rahmen des Sonic Topographies Festival Pflanzen und ihre Oberflächen hörbar gemacht. Es ist eine Einladung, Pflanzen mit anderen Sinnen als gewohnt wahrzunehmen und zu beobachten, was dies auslöst. Projekte, die Wissenschaft und Kunst zusammenbringen, haben das Potential, neue Gedanken, Ideen, Dialoge und Sichtweisen hervorzubringen. Hierher gehören auch die Projekte von Andrea Haenggi, welche im letzten Gartenbrief erwähnt wurden. Sie laden uns spielerisch ein, Pflanzen anders als gewohnt zu begegnen, gewohnte Muster für einen kurzen Moment hinter uns zu lassen und uns dem Unbekannten zu öffnen.

Im Kleinen beginnt hier etwas, was wir uns für die Welt im Grossen wünschen – dass wir allen Lebewesen um uns herum mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen können. Eine Utopie entsteht – eine Welt, in der das Individuum genauso wichtig ist wie die Gemeinschaft und umgekehrt. Eine Welt, in welcher wir aufeinander hören und gemeinsam Lösungen entwickeln, die für die Gemeinschaft und die Individuen befriedigend, nachhaltig und fruchtbar sind.

Caroline Weckerle

Nicht verpassen:
Obstsortenmarkt – am Samstag, den 22. Oktober von 11 bis 17 Uhr

Obstsortenmarkt 2021
Fotos: Evelin Pfeifer

Literaturverzeichnis

[1] Poetics, Ethics and Politics of the Forest in Latin American Cultures. Symposium am Collegium Helveticum ETHZ UZH ZHdK, 22.-23. Juni 2022; Organisiert von Prof. Dr. Mayara Ribeiro Guimarães.

[2] Indigene Kulturen ist ein schillernder Begriff der in wissenschaftlichen Disziplinen, im künstlerischen und politischen Kontext unterschiedlich, eng oder umfassend definiert und genutzt wird. Er kann stark polarisieren und wird deshalb mitunter ganz vermieden. Für Details siehe z.B. Kenrick J, Lewis J (2004) Indigenous people’s rights and the politics of the term “indigenous”. Anthropology Today 20(2)

[3] Johnson JA, Fields BD (2020) The origin of the elements: a century of progress. Philosophical Transactions of The Royal Society A Mathematical Physical and Engineering Sciences 378(2180).

[4] Daly L. (2022) The spirits drink Cassava beer. Self-care, self-help, and people-plant entanglements in Northern Amazonia. JASO 2022, special issue: Self care – anthropological approaches. Eds. E Hsu and S. Carvalho.