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Drei Fragen an Fritz Frauenfelder, Psychiatrische Universitätsklinik, zum «Year of the Nurse and Midwife»

27. April 2020 | HBZ | Keine Kommentare |

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Die Coronakrise fällt mitten in das Year of the Nurse and the Midwife der WHO. Mit der Veröffentlichung dieses vor dem Covid-19 Ausbruch geführten Interviews möchten wir unsere Dankbarkeit und Anerkennung für die Leistung der Pflegenden zum Ausdruck bringen.

Dr. Fritz Frauenfelder, Pflegewissenschaftler PhD, MNSc, RN

Fritz Frauenfelder ist stellvertretender Direktor in der Direktion Pflege, Therapie und Soziale Arbeit (PTS) der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK). Sein Forschungsgebiet umfasst die stationäre Psychiatrie und darin insbesondere die standardisierte Pflegefachsprache.

Interview: Ursula Reis

Was ist Ihre Aufgabe in der Direktion Pflege, Therapie und Soziale Arbeit (PTS)?

Fritz Frauenfelder: Die Direktion PTS umfasst die Berufe der Pflege, der nicht ärztlichen Therapien (z.B. Ergo-, Physio- Musiktherapien) und der Sozialen Arbeit. Insgesamt sind es rund 1200 Mitarbeitende. Ich beschäftige mich vor allem mit strategischen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Fachentwicklung, der Personalführung aber auch dem Ausbildungswesen.

Aufgrund des dualen Führungsmodells an der PUK ist die Direktion PTS in die jeweilige Betriebsführung der einzelnen Kliniken eingebunden. Das bedeutet für mich, dass ich mich mit einem sehr grossen Versorgungsspektrum der Psychiatrie beschäftige, von der Kinder- und Jugendpsychiatrie über die Erwachsenenpsychiatrie bis zur forensischen Psychiatrie. Diese Vielfalt der Themenfelder, die strategisch ausgerichteten Tätigkeiten und die damit zusammenhängende Führungsarbeit faszinieren mich. Mit dem dualen Führungsmodell wird die interprofessionelle Zusammenarbeit auf allen Hierarchiestufen gewährleistet. So können Missverständnis vermieden, die Transparenz erhöht und die Lösungsfindung beschleunigt werden, was sich wiederum positiv auf die effiziente und effektive Auftragsumsetzung auswirkt. Es braucht dazu Führungspersonen, die sich als Partner verstehen.

Als direkter Linienvorgesetzter bin ich auch für die Abteilung Forschung und Entwicklung sowie das Daten- und Systemmanagement zuständig. Im Rahmen der Forschungstätigkeiten werden vor allem innovative Entwicklungsprojekte wissenschaftlich begleitet, um entsprechende Evidenz gewinnen zu können. Diese Erkenntnisse sind elementar für weitere Entscheidungsprozesse. In der Regel werden Innovationen im Rahmen eines systematischen Prozesses von Fachpersonen im klinischen Alltag initiiert. Im Moment ist zum Beispiel eine Studie zu nichtmedikamentösen Einschlafstrategien am Laufen. Es handelt sich dabei um ein zentrales Problem im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. Solche angewandte Forschung kommt direkt den Patientinnen und Patienten zugute. Letztlich sind unsere Forschungsergebnisse relevant für die Weiterentwicklung der Psychiatrie.

Weshalb sind Pflegeklassifikationen ein wichtiges Instrument in der Pflege?

Fritz Frauenfelder: Mit der Anwendung einer standardisierten Pflegefachsprache kann die Kontinuität und Effektivität der praktischen Pflege nachweislich erhöht werden. Die entscheidende Rolle spielt dabei, dass mit der Standardisierung der Sprache die Begrifflichkeiten definiert und in eine gleichbleibende Strukturierung eingebettet sind. Dadurch wird gewährleistet, dass sämtlich involvierten Pflegefachpersonen in der Dokumentation dasselbe unter den beschriebenen Phänomenen oder Handlungen verstehen. Der Gebrauch einer standardisierten Pflegefachsprache stellt die zentrale Voraussetzung für die Generierung von Evidenz dar, sowohl für die Bestimmung der Wirksamkeit der Pflege im einzelnen Patientenfall wie auch für die Durchführung von wissenschaftlichen Studien.

Die beiden Pflegeklassifikationen NANDA-I und Nursing Interventions Classification (NIC) sind die weltweit am etabliertesten und wissenschaftlich mit Abstand fundiertesten Pflegefachsprachen. Durch verschiedene Studien konnten wir aufzeigen, dass die beiden Klassifikationen NANDA-I und NIC die Pflege in der stationären Erwachsenenpsychiatrie in einem grossen Ausmass abbildet [1-5]. Zusätzlich konnten auf dieser Grundlage fünf Dimensionen für die Pflege in der stationären Erwachsenenpsychiatrie definiert werden: Risikomanagement, Verständnis, Umgang mit Dysfunktionalitäten, physiologische Unterstützung und Umfeld. Die aufgezeigten Dimensionen können zukünftig als Orientierungsrahmen für die Aus- und Weiterbildung der Pflege mit dem Schwerpunkt „Psychiatrie“ genutzt werden. Dennoch besteht weiterer Forschungsbedarf. Die fehlenden Diagnosen und Interventionen müssen konzipiert und in die entsprechenden Klassifikationen integriert werden.

Wir führen dieses Interview anlässlich des «Year of the Nurse and Midwife» dass die WHO für das Jahr 2020 weltweit ausgerufen hat. Was glauben Sie, braucht es, um die Pflege in der Schweiz zu stärken?

Fritz Frauenfelder: Wir brauchen exzellente Mitarbeitende auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Pflege, sei es in der direkten Arbeit mit Patientinnen und Patienten, im Management, der Ausbildung oder der Forschung und Entwicklung. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass wir im Gesundheitswesen in erster Linie über die Qualität – im Sinne von Best Practice, mit den Betroffenen im Mittelpunkt – nachhaltig Kosten einsparen können. Für die Bewältigung der damit verbundenen Arbeiten brauchen wir Pflegefachpersonen mit sehr guten, wissenschaftlich fundierten Ausbildungen. Insbesondere in Führungsrollen werden in der Schweiz verstärkt Personen benötigt, die neben erforderlichen Persönlichkeitsmerkmalen auch über Wissen auf Hochschulniveau verfügen. Dabei meine ich nicht nur Führungspersonen im klassischen Managementbereich, sondern auch in der direkten Zusammenarbeit mit der Patientin oder dem Patienten (zum Beispiel  Advanced Practice Nurses) und im Bildungswesen.

Entscheidend für die Stärkung der Pflege ist eine systematische Nachwuchsförderung und Laufbahnentwicklung insbesondere in den Institutionen. Für Mitarbeitende gewinnt eine Arbeitsstelle an Attraktivität, wenn mit ihnen zusammen persönliche Perspektiven erarbeitet werden, die ihren Stärken und Schwächen aber auch ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Das gilt für alle Mitarbeitenden in der Pflege egal auf welcher Hierarchiestufe, in welchen persönlichen Altersabschnitten und spezifischen Fachbereichen. Im Weiteren braucht es verstärkt Überlegungen zu neuen Arbeits- und Dienstzeitmodellen im Zusammenhang mit dem Schichtbetrieb. Sie müssen zeitgemäss sein und den aktuellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden entgegenkommen, insbesondere der Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit.

Wenn es uns in der Pflege gelingt eine lern- und innovationsfreudige Kultur zu prägen, in der das Überdurchschnittliche eine zentrale Wertschätzung erfährt und in der Mut und Offenheit gelebt werden und in der Lorbeeren zwar entgegenbenommen werden aber darauf nicht ausgeruht wird, schaffen wir eine entscheidende Basis für die Weiterentwicklung der Pflegeberufe.

Ursula Reis ist Fachreferentin in der Hauptbibliothek – Medizin Careum

[1] Frauenfelder F, Müller-Staub M, Needham I, Van Achterberg T. (2011). Nursing phenomena in inpatient psychiatry. Journal of Psychiatric and Mental Health Nursing, 2011; 18, 221-235.

[2] Frauenfelder F, Müller-Staub M, Needham I, van Achterberg T. (2013). Nursing interventions in inpatient psychiatry. Journal of Psychiatric and Mental Health Nursing, 2013; 20, 921-931.

[3] Frauenfelder F, van Achterberg T, Needham I, Müller Staub M. (2016). Nursing Diagnoses in Inpatient Psychiatry. International Journal of Nursing Knowledge, 2016; 27(1), 24-34.

[4] Frauenfelder F, van Achterberg T, Müller-Staub M. (2018). Documented Nursing Interventions in Inpatient Psychiatry. International Journal of Nursing Knowledge, 2018; 29(1), 18-28.

[5] Frauenfelder F, van Achterberg T, Müller Staub M. (2018). Nursing diagnoses related to psychiatric adult inpatient care. Journal of Clinical Nursing 2018; 27(3):e463-e475.

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